Die gebürtige Amerikanerin Joy Pertile bildet hauptberuflich klinische Pflegeexperten an der Universität Tasmaniens in Sydney aus.

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Bondi Beach gehört zu den touristischen Hotspots rund um Sydney.

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Der Strand verzeichnet fast drei Millionen Besucher jährlich.

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Die Strömungen am Bondi Beach werden so manchem Schwimmer oder Surfer zum Verhängnis.

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Das rote Rettungsboot wird liebevoll "Rubber Ducky" – Quietscheentchen – genannt.

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Pertile mit ihren Kollegen am Strand ernsthaft und ...

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... manchmal weniger ernsthaft.

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Joy Pertile weist ihre Kollegen im Schlauchboot an.

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Die Rettungsschwimmerin mit ihrem Sohn Luca.

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Nicht zu übersehen: Markant in Gelb und Rot wacht Joy Pertile über "ihren" Strand.

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"Schau mal Luca, Mama ist wieder unterwegs!" Der Zweieinhalbjährige, der gerade dabei ist, eine große Sandburg zu bauen, schaut noch rechtzeitig auf, um seine Mutter Joy Pertile zu sehen: Die rennt, ein drei Meter langes Surfbrett in den Armen, über den Sand. Am Wasser angekommen, wirft sie das Board vor sich in die Wellen, mit einem gekonnten Sprung kniet sie obenauf, paddelt, gleitet vorwärts durch das unruhige Meer, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.

Links und rechts von ihr weichen die Schwimmer aus, schauen Joy auf ihrem Board nach – bis die ihr Ziel erreicht hat: eine dunkelhaarige Frau, die in den Wellen um ihr Leben strampelt, panisch winkt – und schließlich erlöst nach Joys Surfbrett greifen kann. Erschöpft, erschüttert, noch immer heftig atmend klammert sie sich fest, während die Rettungsschwimmerin sie an Land bringt.

Strömung unterschätzt

Als sie wieder Boden unter den Füßen hat, presst sie ein kurzes, fast beschämtes "Dankeschön" hervor und geht mit hängenden Schultern in Richtung ihrer Freunde. "Sie hat ganz einfach die Strömung unterschätzt. Das passiert häufig," meint Joy gelassen.

Das Wasser tropft von ihrer Badekappe während sie zurück zur Zentrale geht und mit einem Marker einen weiteren Strich unter "Rettungen" setzt: bereits die dritte an diesem Tag. Joy trocknet sich kurz ab und geht wieder an ihren Posten am Bondi Beach, Australiens berühmtestem und meistbesuchtem Strand.

Laut australischem Tourismusverband sind die Besucherzahlen innerhalb der letzten sechs Jahre um mehr als 50 Prozent gestiegen. Sydney gilt als Reiseziel Nummer eins, Hauptstationen der Urlauber sind das Opernhaus, die Harbour Bridge und der Bondi Beach. Der Strand verzeichnet fast drei Millionen Besucher jährlich. "Einige der Touristen können nicht oder kaum schwimmen. Sie wollen aber unbedingt zuhause erzählen, dass sie im Wasser von Bondi Beach in Australien waren. Und da kommen wir ins Spiel," erzählt Joy.

Nebenberuf Rettungsschwimmerin

Die gebürtige Amerikanerin bildet hauptberuflich klinische Pflegeexperten an der Universität Tasmaniens in Sydney aus. Von Oktober bis April, im australischen Sommer, findet man die 47-Jährige als ehrenamtliche Retterin bei den Bondi Surf Bathers’ Life Saving Club am Strand. "Es ist im Prinzip eine Fortsetzung meines Jobs. Ich bilde Krankenpfleger aus, damit sie Leuten helfen. Hier am Strand helfe ich."

Das Motto ihres Vereins: "No Lives Lost at Bondi Beach" – Keiner verliert am Bondi Beach sein Leben. Rettungsschwimmer werden darf nur, wer 400 Meter in weniger als neun Minuten schwimmen kann und den neunwöchigen Kurs mit anschließendem Test besteht. Joy gibt offen zu: "Das erfordert Hingabe."

Während Österreich den Winter im Schneechaos verbrachte, hatte die Südhalbkugel in derselben Zeit mit einer Hitzewelle zu kämpfen. Die fatalen Folgen: In diesem australischen Sommer sind in Australien fast doppelt so viele Menschen ertrunken wie zur selben Zeit im vergangenen Jahr. Ein weiterer Grund für Joy, ihre Zeit dem Club zu widmen. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, was ohne uns alles passieren könnte."

Bis zu 40.000 Besucher

Joys Outfit ist weit entfernt von Pamela Andersons tief ausgeschnittenem Badeanzug aus Baywatch-Tagen. Aber die Uniform ist gut sichtbar und bietet wichtigen Sonnenschutz, auch an diesem besonders heißen Samstag am Strand von Bondi. Das Thermometer zeigt 34 Grad, der Sand brennt unter den Füßen. Die Sonne reflektiert so sehr, dass Joy trotz Sonnenbrille und Schirmmütze die Augen zusammenkneift.

In der "Zentrale" der Rettungsschwimmer, einem mobilen gelb-roten Zelt, beobachtet Joys Mann Stefano Redo das Geschehen eher entspannt und baut mit Sohn Luca die Sandburg weiter. An heißen Wochenenden wie diesem tummeln sich am Meeresufer von Bondi bis zu 40.000 Sonnenanbeter, Schwimmer und Surfer. An solchen Tagen leisten Joy und ihr Team bis zu 100 Rettungen am Tag, darunter viele Nichtschwimmer, viele davon Touristen. Aber auch die erfahrenen Surfer und langjährigen Bewohner Sydneys erwischt es immer wieder. "Die Strömungen, vor allem im Süden des Strandes, sind enorm gefährlich. Hier vertun sich sogar Profis und werden plötzlich von der Brandungsrückströmung in Richtung Pazifik gezogen." Unter Einheimischen wird diese südliche Strömung als "Backpackers-Rip", Rucksacktouristen-Strömung, bezeichnet.

Regeln beachten

"Bevor ich Rettungsschwimmerin wurde, habe ich die Schilder und Warnungen am Strand nicht unbedingt beachtet. Ich dachte mir, 'Hey, ein warmer Tag, perfekt zum Schwimmen' und sprang ins Wasser", meint Joy. "Heute bin ich mir der Gefahren und der Regeln sehr bewusst und versuche dieses Wissen sowohl den Ortsansässigen als auch den Durchreisenden beizubringen."

Die meisten Menschen fürchten einen Angriff vom Hai, aber Strömungen sind die wahren Killer. An den bewachten Stränden Australiens gilt deswegen die Regel "Swim between the Flags" – Schwimmen Sie zwischen den Flaggen. Zwei rot-gelbe Fahnen markieren den Ort, an dem tückische Strömungen am mildesten sind. Dieser Wasserbereich wird von den Rettungsschwimmern sorgfältig ausgesucht und anschließend besonders gut bewacht. Wer dort schwimmt, hat sehr gute Chancen auf eine entspannte Zeit im Wasser.

"Viele meinen, dass man am besten dort ins Wasser geht, wo die Wellen am ruhigsten sind. Genau das ist falsch," erklärt Joy und zeigt auf die Stelle im Meer, wo sich die Wellen kaum brechen. "Wellen erreichten den Strand auf ganzer Breite. Wenn man beobachtet, dass Wellen an einem Ort kaum oder gar nicht brechen, dann ist das der Punkt, an dem das ganze angeschwemmte Wasser vom Strand wieder zurück ins Meer gezogen wird. Die sogenannte Brandungsrückströmung."

Gefährliche Unkenntnis

Es entsteht ein kräftiger Sog, gegen den man nicht anschwimmen kann. "Wer jetzt in Panik gerät und versucht in Richtung Strand zurück zu schwimmen, dem geht schnell die Puste aus." Stattdessen, empfiehlt Joy, sollte man sich von der Strömung zunächst treiben lassen und anschließend parallel zum Strand schwimmen, um aus dem Sog herauszukommen. Wer Glück hat und in Bondi zu patrouillierten Zeiten im Wasser ist, dem genügt es, die Hand hochzuhalten und zu winken, um die Rettungsschwimmer zu alarmieren.

Auch jetzt sind wieder einige Schwimmer im Meer, die sich bedrohlich nah an dem Backpackers-Rip aufhalten. Joy schreitet von ihrem Posten vorwärts in Richtung Gischt und pfeift zweimal in ihre Trillerpfeife. "Hey, genau dort habe ich vor kurzem noch jemanden aus dem Wasser ziehen müssen," ruft sie vier Teenagern zu. Überrascht schaut die Gruppe vom Wasser Richtung Strand. "Die Strömungen hier sind gefährlich und es sind zu viele Surfer unterwegs," setzt Joy nach. Sie winken kurz, als Zeichen von Verständnis und schwimmen gemeinsam weiter nördlich.

Aber nicht immer sind präventive Maßnahmen erfolgreich. Joy erinnert sich an ihre schwerste Rettung bislang, die in der Hitze der letzten Saison vorkam. Ein Mann schwamm mitten in den berühmt-berüchtigten Backpackers-Rip am Südende des Strandes. "Er hatte keine Ahnung, in was er sich begab. Ich sah, wie er sofort von der Unterströmung hinausgezogen wurde. Die Wellen waren noch dazu ziemlich hoch an dem Tag," schildert Joy und zeigt auf ihr Rettungsboard, das drei Meter lange signalgelbe Surfbrett mit roter Aufschrift Surf Rescue. "Ich schnappte mir mein Board und eilte zu ihm hinaus in die Wellen."

Kritische Situation

Als sie ihn erreichte, griff er nach dem Brett und hielt sich mit Mühe und Not fest. Es stellte sich heraus, dass er Tourist aus Nepal war und kaum Englisch konnte. "Schwimmen hatte er auch nie gelernt. Glücklicherweise ist im Meer der Auftrieb größer und trägt den menschlichen Körper, so dass er über Wasser blieb, bis ich bei ihm war", erinnert sie sich.

Vollkommen entkräftet versuchte der Mann panisch auf Joys Surfboard zu klettern, doch er verlor andauernd die Balance und riss somit auch Joy immer wieder hinunter. Das alles mitten in den turbulenten Wellen und dem Sog der Strömung. Für Joy eine kritische Situation: ihr eigenes Leben stand nun auch auf dem Spiel. Mit viel Mühe und Ruhe brachte sie den Nepalesen dazu, sich an ihrem Brett festzuhalten, statt darauf zu klettern, und begann mit aller Kraft parallel zum Strand aus der Strömung heraus zu schwimmen. Sicher an Land angekommen, machte sie einen kurzen Gesundheitscheck mit dem Herrn. Routine für Joy, als klinisch ausgebildete Pflegefachperson.

Mindestens 14 Leute patrouillieren am Wochenende gleichzeitig, oft sind es aber über 20 Freiwillige. Immer mit dabei und schon von weitem sichtbar ist das knallrote Schlauchboot, vom Team liebevoll "Rubber Ducky" – Quietscheentchen – getauft. Fast einen Kilometer Strand gilt es zu sichern. Allerdings gibt es auch bezahlte Lebensretter, die sowohl unter der Woche als auch an Wochenenden und Feiertagen vor Ort sind. So teilen sich die zwei Clubs den Strand.

Wachsame Augen

Die festangestellten Lebensretter vom Bondi Beach haben in Australien schon Kultstatus: Sie sind die Helden in der auf Netflix ausgestrahlten Reality-TV Serie "Bondi Rescue." Joy kann darüber schmunzeln: "Meistens werden wir fotografiert oder um Autogramme gebeten, weil die Leute uns mit ihnen verwechseln." Ob Verwechslung oder nicht, die Uniform gibt Joy Autorität, selbst wenn sie kurz Kaffee holen geht. "Leute grüßen immer freundlich und fragen nach meiner Arbeit. Ab und zu wird uns auch ein Kaffee geschenkt, als Dankeschön für unsere Leistungen."

Für die Zukunft erhofft sich Joy, dass ihr Sohn auch einmal Freiwilligendienst leisten wird. Für den Buben ist das unmittelbare Zukunftsziel klar: Erst mal die große Sandburg fertig bauen und anschließend schwimmen gehen. In den Wellen des berühmten Bondi Beach unter dem wachsamen Auge seiner Mutter. (Katharina Kotrba, 10.4.2019)