Chrystia Cabral alias Spellling.

Foto: Sacred Bones Records

Thomas de Mahy, der Marquis de Favras, wurde 1790 zum Tode verurteilt, weil er versucht hatte, die königliche Familie vor den Schrecken der Französischen Revolution zu retten. Als man ihm das schriftliche Urteil aushändigte, meinte er lapidar: "Ich sehe, dass Sie drei Rechtschreibfehler gemacht haben."

Diese sehr weit draußen in paradoxen Interventionen des menschlichen Geistes angesiedelte anekdotische Kombination aus Schrecken, Terror, der Sehnsucht nach Schönheit und der Forderung nach Klarheit findet sich musikalisch auch auf Mazy Fly, dem zweiten Album der kalifornischen Künstlerin Spellling wieder. Und ja, Chrystia Cabral aus Oakland schreibt ihren Namen mit drei L absichtlich falsch, damit man sie gleich richtig versteht. Zusätzliche Wortbedeutung, siehe: "I put a spell on you, because you're mine!" Hexenzauber, Verwünschungen, Fluch, Voodoo, Nadeln ins Telefonbuch stecken.

Im ansonsten doch sehr zur musikalischen Gleichförmigkeit neigenden und ohne übertrieben eingesetzte künstlerische Alleinstellungsmerkmale auskommenden Genre des R 'n' B stellt Spellling aktuell eine Ausnahme dar. Mehr Klirr-Klirr als Bling-Bling.

Verpeilt und verdrogt ...

Immerhin mischt sie in ihre großteils im Alleingang eingespielten Songs nicht nur Schrottklänge. Die würden entstehen, wenn man Tom Waits für einen souligen Bluesstampfer statt an elektrische Gitarren aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs zu lassen, einen Nintendo Game Boy in die Hand geben würde. Dazu mimt Spellling etwa im Song Red in der Mitte zwischen Ausnahmesängerinnen wie Diamanda Galas oder Karin Dreijer von The Knife und Fever Ray sowie Solangé und den Schrecken der Medusa das hinterfotzig-gutturale Liebeswerben einer Gottesanbeterin: "That's my heart beating in your hand/ In your hand ..."

Sacred Bones Records

Noch wäre Zeit zu flüchten. Auf Pantheon of Me, ihrem noch schauriger, allerdings gitarrenlastiger angelegten Album von 2017, hört man im Song Nine of Nights das jeden Horrorfilm schmückende, mit fitzeligem Freistil-Lärm behübschte bluesige Verstörungsmantra: "I'm not goin' back to him/ I’m not goin' back again/ I'm not goin' back again/ I'm not goin' back to the grave."

Im Gegensatz zum sinistren Schattenreich von Pantheon of Me handelt es sich bei Mazy Fly um eine zugleich luftigere, allerdings auch verstrahltere Variante des "Psychedelic Soul", einer Musik, die ab Ende der 1960er-Jahre mit Bands wie Sly & The Family Stone, Funkadelic oder Parliament gestartet wurde, sich allerdings als wenig langlebig, weil womöglich auch zu sehr Richtung Rock gehend erwies.

... und ziemlich verstrahlt

Apropos, Prince als gelehrigster Schüler dieser "Bewegung": Dessen Verehrerin Janelle Monáe wiederum legte im Vorjahr mit Dirty Computer eine wuchtige und kommerziell äußerst erfolgreiche Neudeutung dieses Stils vor. Da hat es Chrystia Cabral alias Spellling mit ihrem antiken Synthesizer-Equipment aus dem Alleinunterhaltergenre, mit früher Computerspielmusik und verdrogten Beats sowie mit käsigen Horror-Soundtracksounds von John Carpenter aus den 1980er-Jahren etwas schwerer.

Sacred Bones Records

Dennoch ist es nachgerade entzückend, wenn Spellling oft von Wolke sieben aus verstrahlt und verpeilt den Soul singt (Under The Sun!), oder auch einmal spiritistisch wird und in Haunted Water das afroamerikanische Trauma des Sklavenhandels verhandelt, inklusive breitbeinig in den Song bratzender Metallica-Gitarre.

Schließlich muss auch Spaß sein. In Real Fun schickt Spellling Aliens auf einen Wochenend-Trip runter zur Erde in die Ü40-Disco: "Joyride past the sun/ Aliens looking for real fun/ Earth sending all those signals/ Are you ready for real fun?/ We’re gonna sway to Holiday/ groove to Billie Jean, Raspberry Beret/ Drive a Yellow Submarine, wow/ Ooh, oh, now/ You sound so Friday fun!" (Christian Schachinger, 9.4.2019)