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War der Himmel über der koreanischen Hauptstadt früher noch blau, hängt nun die meiste Zeit ein grauer Schleier über der Metropole.

Foto: REUTERS/Kim Hong-Ji

Mit dem Frühling kommen in Seoul meist nicht nur angenehme Temperaturen, sondern auch der Feinstaub. Seit Wochen gehört der Blick auf die Handy-App zum Checken der Smogwerte zur obligatorischen Morgenroutine. Was die Hauptstadtbewohner dort erblicken können, ist erschreckend: Immer wieder rangieren Seouls Feinstaubwerte weltweit an erster Stelle – noch vor Dhaka, Delhi und Peking. An mehreren Tagen im März war die Luft an keinem Ort der Welt schmutziger als in Seoul.

Für den 40-jährigen Herrn Kim lässt das Feinstaubproblem die Kassa klingeln. Der Inhaber einer Apotheke trägt einen weißen Arztkittel, eine runde Nickelbrille und stets ein freundliches Lächeln im Gesicht. Er arbeitet nur einen Steinwurf vom Seouler Rathaus entfernt und verkauft auf kaum mehr als zehn Quadratmetern Medikamente an die gestressten Kunden, die vor allem während der Mittagspause zu ihm strömen. Derzeit geht vor allem ein Produkt weg wie warme Semmeln: Atemschutzmasken.

"Am Montag allein waren es weit über 100 Stück. Wenn ich es mit dem Vorjahr vergleiche, dann konnte ich meinen Umsatz locker verdoppeln", sagt er und verweist auf seine Produktpalette: Atemschutzmasken in schlichtem Weiß oder Schwarz, mit bunten Aufdrucken, verstellbaren Verschlüssen für Kleinkinder, als Wegwerfmasken oder in wiederbenutzbarer Form.

Alle tragen Masken

Ein Blick durch die Glasfront der Apotheke belegt: Ob der Banker in Anzug mit Krawatte, die ältere Dame vom Obststand nebenan oder die Lieferanten auf ihren Mopeds – gut die Hälfte aller Passanten in der Seouler Innenstadt tragen Atemschutzmasken.

Ob die gesteigerten Verkäufe im erhöhten Gesundheitsbewusstsein der Koreaner begründet sind? Apotheker Kim winkt ab: "Das hat einen viel einfacheren Grund: Die Luft ist einfach viel schlechter geworden. Noch vor zehn Jahren hatten wir gar kein Smogproblem, da strahlte der Himmel meist blau."

Problematischer Energiemix

Jeong Yeon-mi, Umweltforscherin an der Seouler Nationaluniversität, zeichnet ein komplexeres Bild: "Bis Anfang der 2010er-Jahre sind die Feinstaubemissionen in Seoul sogar gesunken, aber seit 2012 können wir eine Zunahme beobachten." Vor allem Südkoreas Energiemix ist ein Problem. Der Anteil an erneuerbaren Energien liegt gerade einmal bei acht Prozent, noch immer stammen 46,2 Prozent des Stroms aus Kohlekraftwerken.

Die südkoreanische Regierung greift bislang zu unkonventionellen Gegenmaßnahmen: Im Jänner entsandte das Land mehrere Flugzeuge, um über dem Gelben Meer Chemikalien in die Wolken abzugeben. Auf diesem Wege sollte künstlicher Regen erzeugt werden, um die Luft vom Feinstaub zu säubern. Die Resultate des Experiments nannte die koreanische meteorologische Behörde jedoch "enttäuschend". Zu mehr als ein paar Minuten Nieselregen habe es nicht gereicht.

Sondergesetz verabschiedet

Doch aufgrund wachsenden öffentlichen Drucks hat die Regierung Anfang März bereits ein Sondergesetz verabschiedet, das Feinstaub als "soziales Desaster" klassifiziert. Damit einher geht ein Budget von rund 2,5 Milliarden Euro für Gegenmaßnahmen, darunter etwa verpflichtende Luftreinigungsapparate in öffentlichen Klassenzimmern. Gleichzeitig werden an bestimmten Tagen Fahrverbote für alte Dieselautos ausgesprochen sowie Kohlekraftwerke zu Kernzeiten lahmgelegt.

Und doch können die Maßnahmen der Regierung die Feinstaubbelastung kaum reduzieren. Die heimische Wirtschaft ist nämlich nur zu einem gewissen Teil für das wachsende Problem verantwortlich: Im Jahr 2017 hat die Nasa eine Studie durchgeführt, die belegt, dass die Hälfte der Schadstoffe von der chinesischen Ostküste durch die Winde herüberweht. "Der Klimawandel verursacht zunehmend nordwestliche Luftströmungen am Nordpol, dadurch hat sich die Situation in Südkorea verschärft", sagt Umweltforscherin Jeong.

Doch sämtliche Versuche von Präsident Moon Jae-in, die chinesische Regierung zu Zugeständnissen zu drängen, sind bislang gescheitert. "Ich weiß nicht, ob es eine ausreichende Grundlage dafür gibt, dass der Feinstaub in Südkorea aus China kommt", sagte der Sprecher des Pekinger Außenministeriums Lu Kang trocken. Die kommunistische Partei verweist darauf, dass China seit 2013 seine Luftqualität um 40 Prozent verbessert hat. Damit scheint die Diskussion für Peking beendet.

Was also tun?

An der östlichen Küstenstadt Gangneung, etwa drei Stunden von Seoul entfernt, führt Immobilienmakler Hong Song Yeol durch eine Apartmentwohnung, die am nächsten Morgen verkauft werden soll. Zwei Frauen mit Haarnetz und Gummihandschuhen polieren die Schrankwände und Fensterscheiben, bevor die neuen Besitzer einziehen. Vom Panoramafenster sieht man die schnörkellosen Wohntürme mit ihren 28 Stockwerken. Im vergangenen Jahr haben hier die Athleten der Winterspiele gehaust – im einstigen olympischen Dorf. Die neuen Bewohner werden nicht zuletzt durch die schlechte Luft aus der Hauptstadt angespült.

"Die meisten meiner Kunden sind pensionierte Ehepaare aus Seoul. Da sie nicht mehr arbeiten müssen, sind sie ortsunabhängig: Hier in Gangneung haben sie im Gegensatz zur Hauptstadt saubere Luft", sagt Hong. Dies sei einer der Hauptgründe für den Umzug. Das Taebaek-Gebirge, das die Koreanische Halbinsel von Nord nach Süd durchzieht, hält als natürliche Barriere ein Gros der verschmutzten Luft fern.

Geschlossene Fenster

Die deutsche Sabrina Ream wohnt ausgerechnet an der entgegengesetzten Westküste und damit in der Nähe chinesischer Industriestädten. Vor zwei Jahren folgte sie ihrem Mann, der als US-Soldat an der Militärbasis in Pyeongtaek stationiert ist. Gemeinsam haben sie eine dreijährige Tochter. Der Feinstaub hat sie gezwungen, ihren Alltag vollkommen umzustellen.

"Ich bin ein Naturmensch, liebe es draußen zu sitzen und mein Kind im Garten spielen zu lassen", sagt die 27-Jährige, "doch all das geht mittlerweile nicht mehr." Die Fenster bleiben auch tagsüber verschlossen, die Zimmer werden von mehreren Luftreinigern gesäubert.

Länger als zehn Minuten am Stück darf die Tochter nicht mehr aus dem Haus: "Ich muss sie regelrecht drinnen einsperren. Natürlich versteht sie als Dreijährige nicht, warum sie nicht rausgehen darf." (Fabian Kretschmer, 9.4.2019)