Kann man das Nichts mit nach Hause nehmen? Choreograf Wim Vandekeybus und seine Tänzer behaupten es. Unter ihnen die hypermobile Maria Kolegova und der akrobatische Kit King.

Foto: Danny Willems

Da sind wir, das Publikum, ein bunter Haufen. Und dort, siehe da, ist – nichts. Aber, ha, was kann man mit diesem Nichts doch alles machen: drin schwimmen und untertauchen, es erschrecken oder ihm ein Bussi geben. Und man kann, behauptet ein Tänzer, ein Stück davon mit nach Hause nehmen. Was also hat es wirklich auf sich mit diesem Nichts? Selbst herausfinden, sagt Wim Vandekeybus.

Wie dies gehen kann, hat der belgische Choreograf am Sonntag zum Auftakt des Performanceprogramms im Osterfestival Tirol unter dem Titel Go Figure Out Yourself gezeigt. Im Sommer werden es die fünf brillanten Tänzer von Vandekeybus' Company Ultima Vez bei Impulstanz auch den Wienern vorführen.

Etliche Besucher kommen nicht ganz unbeleckt zu dieser Aufführung. Schließlich haben bereits Generationen im Reich Phantásien aus Michael Endes Unendlicher Geschichte mit Atréju und Bastian gegen das Nichts gekämpft. Und die eine oder der andere hat sich gar durch Jean-Paul Sartres Das Sein und das Nichts gegraben beziehungsweise mit Martin Heideggers philosophischer Phantasie genichtet, was das Zeug hielt.

Auch wenn die Weste des deutschen Philosophen deutliche Flecken trägt, können wir in seiner Metaphysik darüber streiten, wie viel Nichts im Sein wütet. Bei Go Figure Out Yourself steigt dazu passend ein kleiner giftiger "Führer" auf ein schwarzes Podest und hetzt das Publikum auf. "Ihr werdet meine Armee sein!", ruft er und teilt es in "Garnisonen" ein. Die sollen sich in den Kampf gegen das Nichts stürzen.

Manipulation durch Tänzer

Ein Zwiespalt tut sich auf: Mitmachen oder riskieren, als Spielverderber dazustehen? Die Besucher bewegen sich frei im Performanceraum, denn man befindet sich inmitten eines partizipativen Stücks. Aber natürlich sind sie nicht wirklich frei, sondern werden von den drei Tänzern und den zwei Tänzerinnen unentwegt manipuliert. Und wenn etwas so harmlos und einladend beginnt wie hier, lockert man sich mit der Zeit. Dann kann es ruhig ein bisserl heißer hergehen, man passt sich an und möchte ja auch Teil eines richtigen Erlebnisses sein.

Hier spielt Vandekeybus großartig den schlimmen Finger, der die Tastatur der Ambivalenz virtuos auf und ab hüpft. Und den freundlichen Strategen, der weder Tänzer noch Publikum richtig auflaufen lässt. Der angesagte Kampf findet nicht statt, denn kaum taucht das Dilemma der Führbarkeit auf, ist der kleine Diktator auch schon wieder weg. Über das fiktive Nichts schwappen Musik und Tanz. Das Tänzerquintett ist zwar richtig gut im Umgarnen, doch das Tiroler Publikum hat sich widersetzt, wo es nötig war. (Helmut Ploebst, 8.4.2019)