In Berlin gab es am Samstag Demonstrationen gegen das rasante Wachstum der Mieten. Ein Volksbegehren soll den Weg für Enteignungen ebnen.

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Am ersten Wochenende haben bereits 15.000 Menschen das Berliner Volksbegehren für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen unterschrieben. Ein halbes Jahr haben die Initiatoren an sich Zeit, die notwendigen 20.000 Unterstützungserklärungen zu sammeln. Dieses Ziel dürfte bereits viel früher erreicht werden. Am Wochenende gab es außerdem Demonstrationen in mehreren deutschen Städten für leistbare Mieten.

Die deutsche Politik ist jedoch gespalten ob des Forderungskatalogs. Während CDU, CSU und FDP es ablehnen, private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu enteignen, gab es von den Grünen vorsichtige Zustimmung. Bundesvorsitzender Robert Habeck sagte der Welt am Sonntag, er halte Enteignungen prinzipiell für denkbar. Wenn etwa Eigentümer brachliegender Grundstücke weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollten, müsse die Enteignung notfalls erzwungen werden. Aber es müsse auch gefragt werden, ob Gelder, die zur Entschädigung bei einer Enteignung eingesetzt werden, nicht mit größerem Effekt anders verwendet werden könnten.

Seine Kollegin Katrin Göring-Eckardt sagte in der Passauer Neue Presse, auch Genossenschaften und die öffentliche Hand sollten Anreize haben, in den Wohnbau zu investieren. Sie brachte das Beispiel Wien, wo 60 Prozent der Wohnungen geförderter oder gemeinnütziger Wohnbau seien.

Sozialwohnungen verkauft

Auch viele andere deutsche Politiker blicken immer öfter in Sachen Wohnbau neidvoll nach Wien. Die Unterschiede sind allerdings groß. In Österreich ist die Gemeinnützigkeit unumstritten, in Deutschland wurde sie schon vor knapp dreißig Jahren, kurz nach der Wende, abgeschafft. Seit ein paar Jahren treten Grüne und SPD für die Wiedereinführung ein. Denn jedes Jahr fallen mehr Wohnungen aus der Preisbindung hinaus, als neue dazukommen. Von 2002 bis 2017 ging die Zahl der deutschen Sozialwohnungen von 2,57 Millionen auf nur noch 1,22 Millionen zurück. Zum Vergleich: In Österreich mit etwa einem Zehntel der deutschen Bevölkerung halten alleine die Gemeinnützigen einen Bestand von fast 900.000 Wohneinheiten, zwei Drittel davon Mietwohnungen; dazu kommen noch fast 300.000 Gemeindewohnungen, die meisten davon in Wien. Dieser Bestand wird jedes Jahr größer.

Sieht man von den Buwog-Wohnungen im Jahr 2004 ab, wurden in Österreich kaum größere Bestände an Sozialwohnungen verkauft. In Deutschland gingen allein im Jahr 2004 rund 90.000 kommunale Wohnungen an Investoren, zwischen 1999 und 2011 waren es insgesamt 380.000. Weitere 530.000 Wohnungen wurden von Bund und Ländern verkauft.

Für das rot-grüne Wien sind Enteignungen auch aufgrund der Geschichte kein Thema. "Ich verstehe die Berliner aber", sagt Peter Kraus, Planungssprecher der Wiener Grünen. "Man hat dort den Fuß nicht in der Türe", sprich: keine Möglichkeiten der politischen Einflussnahme auf die Mietpreisgestaltung. In Wien hingegen schon. Und man entwickle die Vorgaben ständig weiter.

Flächenwidmungskategorie "geförderter Wohnbau"

Kraus ist sogar der Meinung, dass das Wiener Modell "härter als Enteignung" ist. Im März trat eine Novelle der Bauordnung in Kraft. Sie beinhaltet die Flächenwidmungskategorie "geförderter Wohnbau". Bei größeren Neubauprojekten ist nun ein Zwei-Drittel-Anteil für den geförderten Wohnbau vorzusehen. Während laut Berliner Vorstoß die Kommunen die leerstehenden Gebäude oder brachliegenden Flächen ablösen müssen, seien in Wien also von vornherein hohe Vorgaben zu erfüllen.

Wohnbauförderung wie in Österreich gibt es zwar auch in Deutschland, sie ist aber seit Jahrzehnten wesentlich geringer dotiert als in Österreich. Im Vorjahr hat die deutsche Regierung angekündigt, bis 2021 fünf Milliarden Euro lockerzumachen, damit 1,5 Millionen Wohnungen in den nächsten drei Jahren errichtet werden können. Schon jetzt fehlen in Deutschland allerdings bis zu vier Millionen Sozialwohnungen. Dazu kommt, dass das deutsche Mietrecht liberaler gestaltet ist als das österreichische – zumindest was Altbauten betrifft. (Martin Putschögl, Rosa Winkler-Hermaden, 8.4.2019)