Wien – Ein Bündel von Vorschlägen zur Einsparung von Treibhausgasen im Verkehr haben Experten des Umweltbundesamts dem Verkehrsminister und damit der Bundesregierung vorgelegt. Die wirkungsvollsten Maßnahmen im "Sachstandsbericht Verkehr" sind besonders unpopulär, sie verursachten bereits im Herbst, als DER STANDARD erstmals berichtete, zu gehörig Aufregung: Tempo 100 auf Autobahnen statt Tempo 130 und die Erhöhung der Dieselbesteuerung um mindestens 8,5 Cent pro Liter. Welche Maßnahmen Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) ergreifen wird, ist offen. Dass er für Tempo 100 auf Autobahnen "nicht zur Verfügung" stehe, macht der Minister allerdings am Dienstag klar.

Der Forderung des Umweltbundesamtes nach Tempo 100 auf Schnellstraßen erteilt er eine Absage. "Wir setzen im Bereich der Mobilität auf Anreize und Förderungen. Für Maßnahmen, die Autofahrer schikanieren, wie eine flächendeckende Maut, City-Maut oder 100 km/h auf Autobahnen und Schnellstraßen, stehe ich allerdings nicht zur Verfügung", betonte Hofer.

Tempolimit

Quick Wins, also rasche Erfolge, sind im Klimaschutz dringend gesucht. Im Sektor Verkehr, dem aufgrund des massiven Anstiegs der Treibhausgasemissionen besondere Bedeutung zukommt, gäbe es einige zu holen. Mit Tempo 100 auf Autobahnen und Schnellstraßen könnte die Politik rasch Meter machen. Ausgenommen wären nur "Zero-Emission-Vehicles", also Elektroautos, sie dürften 130 km/h fahren.

In dem von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) beim Umweltbundesamt beauftragten Sachstandsbericht Verkehr wird einer Tempodrosselung großes Potenzial in der Intensität zugemessen: Die Maßnahme ist quasi ohne Zusatzkosten über Nacht umsetzbar, und es ließen sich 460.000 Tonnen an CO2-Äquivalenten einsparen. Angenehmer Nebeneffekt: Luft- und Lärmschadstoffemissionen würden sinken, aber die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes wäre weder kurz- noch langfristig beeinträchtigt.

Das Problem: Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen ein Tempolimit – obwohl der reale Zeitverlust kaum wahrnehmbar ist. 39 Prozent der Österreicher lehnen Tempo 100 laut einer GfK-Erhebung ebenso strikt ab wie der Verkehrsminister, der Tempo 140 testen lässt. Weitere 28 Prozent der Österreicher sind mehr oder weniger gegen ein Tempolimit.

Zahlen in der City

Um 36 Prozent oder 15,7 Millionen Tonnen sind Treibhausgasemissionen laut der #mission2030, also der Klima- und Energiestrategie der Bundesregierung, bis 2030 zu senken. Viel Zeit bleibt nicht mehr, bis Jahresende muss die Regierung nach Brüssel zu melden, mit welchen konkreten Maßnahmen der Zielpfad zu den Pariser Klimaziele zu unterfüttern ist.

Eine weitere Maßnahme, der die Experten des Umweltbundesamts großes Potenzial in der Intensität beimessen: der "Cordon-Charge", also eine fahrleistungsunabhängige Gebühr beim Einfahren in eine geografisch festgelegte Zone, besser bekannt als Citymaut. Sie funktioniert in London seit Jahren bestens (wird jetzt sogar erhöht). Ausgenommen wären im Modell des Umweltbundesamts lediglich Elektroautos, pro Einfahrt sind zwei Euro zu berappen, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit wäre dabei langfristig gering.

Allerdings würden die Betriebskosten von Benzin- und Dieselautos kurzfristig in die Höhe getrieben – bis die Fahrzeugflotten von Zustellfirmen und Handwerkern umgerüstet sind. Eine Citymaut gilt auch als Maßnahme der Verkehrsvermeidung, der Individualverkehr würde auf Öffis verlagert. Die CO2-Einsparung würde zwischen 230.000 bis 410.000 Euro liegen.

Vorzug für Diesel

Ähnlich wenig Aussicht auf Umsetzung wie das Tempolimit haben in Österreich Forderungen von Wirtschaftsforschern und Umweltschützern, dem sogenannten Dieselprivileg den Garaus zu machen. Die Abschaffung der Dieselförderung allein würde zwar den "Tanktourismus", der Österreich bei den Klimazielen behindert, kaum in großem Stil zurückdrängen, den Fiskus – bei einer Förderung von aktuell 8,5 Cent pro Liter – jährlich aber rund 640 Millionen Euro an Einnahmen kosten. Um das Tanken des ausländischen Schwerverkehrs ernsthaft unattraktiv zu machen, wäre der doppelte bis dreifache Einsatz notwendig, also eine höhere Besteuerung um 15 bis 20 Cent pro Liter notwendig.

Betroffen von einer Mineralölsteuererhöhung um 8,5 Cent wären 37 Prozent der Privathaushalte, sie haben Dieselausgaben von durchschnittlich 103 Euro pro Monat, die um neun Euro steigen würden. Erhöht werden könnte auch die motorbezogene Versicherungssteuer, was aber deutlich mehr Haushalte, nämlich 72 Prozent, betreffen würde. Sie geben im Schnitt 33 Euro dafür aus.

"Ohne starke ökonomische und fiskalische Signale wie die Erhöhung der Mineralölsteuer wird es nicht gehen", bekräftigt der Experte im Umweltbundesamt, Gunther Lichtblau, im Gespräch mit dem STANDARD.

Ab, auf die Schiene

Von Oberleitungen auf Autobahnen und Schnellstraßen für Lastkraftwagen träumt die Fahrzeugindustrie, denn dann wäre der Lkw-Transport auf der Straße weiterhin attraktiv. Um bei der vielbeschworenen Verlagerung auf die Schiene rasch etwas zu bewirken, müsste die jährliche Förderung bis 2030 auf 3,2 Millionen steigen. Damit könnten zehn Millionen Tonnen Güter zusätzlich auf die Schiene verlagert werden. Mit einer Fördererhöhung auf 4,8 Mio. Euro würde die auf die Bahn verlagerte Gütermenge auf 15 Mio. Tonnen steigen.

Daran sieht man: Anschlussbahnförderung, Subventionierung des kombinierten Verkehrs könnten mit relativ geringem Aufwand eine Verlagerung bewirken. Die Kostenstruktur der Schiene verbessert sich dadurch aber kaum, dazu müsste es Kostenwahrheit geben, eine CO2-Steuer für Lkw-Transporte – und vor allem eine fahrleistungsabhängige Lkw-Maut auch auf Bundes- und Landesstraßen.

Radeln oder gehen

Dem Fahrradfahren hat sich das Umweltbundesamt auch verschrieben. Genauso wie dem Zufußgehen. Allerdings: Die in der österreichischen Klimastrategie postulierten Ziele halten die Experten für nicht realistisch, zumindest nicht mit den derzeit vorliegenden Maßnahmen. Die Regierung strebt die Steigerung des Fahrradanteils am Verkehr von derzeit sieben auf 13 Prozent im Jahr 2025 an. Dieses Ziel könne allein durch Attraktivitätssteigerung nicht erreicht werden, heißt es im Sachstandsbericht. "Ohne Maßnahmen, die den Motorisierungsgrad bis 2030 drosseln, ist eine Verdoppelung des Radverkehrs nicht möglich", halten die Experten fest.

Wichtigste Faktoren zur Erhöhung der Akzeptanz im Radverkehr sind laut Umfragen die Verbesserung der Infrastruktur, verstärkte Sicherheit und kürzere Distanzen, beispielsweise zur Arbeit oder zum Einkaufen. Ähnlich sind die Ergebnisse betreffend Zu-Fuß-Gehen. (Luise Ungerboeck, 9.4.2019)

Anmerkung: Dieser Artikel wurde um die Reaktion von Verkehrsminister Norbert Hofer ergänzt.

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