Die Grafik zeigt das Ergebnis bei einem Auszählungsstand von 35 Prozent.

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Tel Aviv – Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen – bis zuletzt. Bei Morgengrauen, als rund 97 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, lagen Premier Benjamin Netanjahu und Herausforderer Benny Gantz gleichauf: Auf je 35 Sitze kommen sowohl die Likud-Partei als auch das Bündnis Blau-Weiß.

Noch bis voraussichtlich Donnerstag könnten die Ergebnisse um wenige Stimmen abweichen. Doch schon jetzt deutet alles darauf hin, dass nur Premier Benjamin Netanjahu in der Lage sein wird, eine Regierung zu bilden – und wohl demnächst seine insgesamt fünfte Amtszeit antreten wird.

Netanjahu kündigt Regierungsbildung an

Es ist das beste Ergebnis, das Netanjahu als Spitzenkandidat mit seinem Likud je eingefahren hat – trotz drohender Anklage in drei Korruptionsfällen. Schon am Wahlabend verkündete er, gewonnen zu haben: "Der vom Likud geführte rechte Block hat einen klaren Sieg errungen", twitterte Netanjahu nach den ersten Hochrechnungen. "Ich werde noch heute Abend anfangen, eine rechte Regierung mit unseren natürlichen Partnern zu bilden."

Zu diesen zählen die beiden orthodoxen Parteien Shas und Vereinigtes Torah-Judentum, die auf jeweils acht Sitze kommen, Avigdor Liebermans Israel Beitenu und die ultra-nationalreligiöse Vereinigung Rechter Parteien, die es beide auf voraussichtlich je fünf Sitze schaffen, sowie Moshe Kachlons Partei Kulanu mit vier Sitzen.

Somit käme der rechte Block auf 65 von 120 Sitzen in der Knesset. Nicht über die 3,25-Prozent-Hürde schaffte es bis zum frühen Mittwochmorgen die Neue Rechte von Ajelet Shaked, bisherige Justizministerin, und Naftali Bennett, bisherige Bildungsminister, der Verteidigungsminister werden wollte. Sie hoffen noch auf die Stimmen der Soldaten, die am Morgen ausgezählt werden.

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Geringe Chancen für Gantz

Da die ersten Hochrechnungen nach Schließung der Wahllokale um 22 Uhr dem Bündnis-Blau-Weiß einen kleinen Vorsprung prognostizierten, verkündeten auch Benny Gantz und Jair Lapid zunächst ihren Sieg: "Wir haben gewonnen. (…) Diese Wahlen haben einen klaren Gewinner und einen klaren Verlierer. Netanjahu hat 40 Sitze versprochen und verloren."

Doch Herausforderer Gantz dürfte kaum Chancen haben, eine Koalition zustande zu bringen: Das rechte Lager steht derzeit noch hinter Netanjahu, im linken Lager werden die Stimmen nicht reichen: Die ehrwürdige Arbeiterpartei, einst stärkste Kraft des Landes und Partei von Staatsgründer Ben-Gurion, fiel auf nur sechs Sitze ab. Die kleine Linkspartei Meretz kommt auf fünf Sitze.

Gantz hatte bereits angedeutet, nicht mit den arabischen Parteien koalieren zu wollen – doch selbst wenn, würde auch das nicht reichen: Das Bündnis Chadasch-Ta’al kommt auf sechs Sitze, und Ra’am-Balad könnte es knapp über die 3,25-Prozent-Hürde ins Parlament schaffen – mit vier Sitzen. Nicht ins Parlament schaffen wird es aller Voraussicht nach die rechte Zehut-Partei von Moshe Feiglin, der die Legalisierung von Marihuana versprochen hatte und als Königsmacher gehandelt wurde. Bis zu sechs Sitze sagten die Prognosen ihm voraus.

Noch am Montag, dem Wahltag, kämpften die Kandidaten bis zur letzten Minute und versuchten die Bürger zu mobilisieren: Nahezu alle Parteien warnten, sie seien dabei, zu verlieren, und bräuchten nun jede Stimme. Die beiden Hauptkonkurrenten, die Likud-Partei und das Bündnis Blau-Weiß, beriefen am späten Nachmittag deshalb sogar Notfallsitzungen ein.

Wie schon bei den Wahlen 2015 schürte Benjamin Netanjahu auch dieses Mal die Angst vor dem politischen Einfluss arabischer Israelis: In einem Video warnte er vor einem angeblichen Deal des Blau-Weiß-Bündnisses mit der Arbeiterpartei, um die arabischen Parteien in ihre Regierung mit aufzunehmen. Diesen Deal gelte es zu verhindern, sagte Netanjahu in dem Video: "Geht raus, wählen! Bleibt nicht am Strand und nicht zu Hause, stimmt ab, um die Entstehung einer linken Regierung zu verhindern." Der Blau-Weiß-Kandidat Ofer Shelach, der im Netanjahu-Video zu hören war und angeblich über den Deal gesprochen haben soll, konterte am Dienstag: "Der verzweifelte Netanjahu verbreitet Lügen, die er aus Teilen heimlicher Aufnahmen zusammenbraut, auch aus meinen Gesprächen."

Die letzten politischen Manöver am Wahltag waren der Höhepunkt eines harten, polarisierten und schmutzigen Wahlkampfs. Dominiert wurde er von der Frage, ob Netanjahu nach zehn Jahren an der Macht noch einmal gewinnen und damit demnächst den Rekord des am längsten regierenden Premiers brechen würde – trotz der drohenden Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue. Die Ankündigung des Generalstaatsanwalts Avichai Mandelblit, Netanjahu in drei Fällen anklagen zu wollen, spielte jedoch nur eine untergeordnete Rolle im Wahlkampf.

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Am Dienstag wurde gewählt, mit einer neuen Regierung ist bis Anfang Juni zu rechnen.
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Allerdings bekam Netanjahu mit Benny Gantz und dessen Bündnis Blau-Weiß ernsthafte Konkurrenz: Der ehemalige Armeechef hatte sich mit zwei weiteren Ex-Generälen und dem Politiker der Mitte, Jair Lapid, zusammengeschlossen und versprach den Wandel: Einheit und Gemeinsinn statt Korruption und Spaltung. Bis zuletzt sagten die Umfragen dem Bündnis gute Chancen voraus, stärkste Kraft zu werden. Die schlechten Umfragewerte vor Augen, ging Netanjahus Wahlkampfteam in den vergangenen Wochen in die Vollen und warnte vor dem Bündnis des Ex-Generals als Gefahr für die Sicherheit Israels: Blau-Weiß sei "links und schwach", er, Netanjahu, hingegen "rechts, stark und erfolgreich".

Misslungene Fernsehinterviews von Benny Gantz schlachtete Netanjahus Team aus und unterstellte Gantz, unfähig und mental labil zu sein. Zuletzt versuchte Netanjahu, mit rechten Parolen auf Stimmenfang zu gehen: Wenige Tage vor der Wahl kündigte er an, im Falle eines Sieges in der nächsten Legislaturperiode mit der Annexion des Westjordanlands zu beginnen. Er versprach, keine einzige Siedlung zu räumen. Ansonsten aber tauchten die Themen Konflikt und mögliche Verhandlungen mit den Palästinensern kaum im Wahlkampf auf.

Neue Regierung bis Anfang Juni

Der Wahltag selbst verlief nicht ohne Ungereimtheiten. Für Aufregung sorgten Berichte über versteckte Kameras in Wahllokalen arabischer Gemeinden. Netanjahus Likud-Partei soll rund 1200 eigene "Wahlbeobachter" mit kleinen Kameras losgeschickt haben. Die Likud-Partei verteidigte ihr Vorgehen: Das eigentliche Problem sei das Verhalten der Menschen in den arabischen Gemeinden, der Likud wollte nur eine "faire Wahl" sicherstellen, sagte ein Mitarbeiter des Wahlkampfteams israelischen Medien.

Außerdem beschwerten sich mehrere Parteien über beschädigte und versteckte Stimmzettel. In Israel stecken Wähler einen Zettel mit den Kürzeln der jeweiligen Partei in einen Umschlag. Diese Zettel liegen in den Wahlkabinen aus und gelten als ungültig, wenn sie beschriftet oder beschädigt sind. 6,3 Millionen wahlberechtigte Israelis konnten am Dienstag ihre Stimme in einem von mehr als 10.000 Wahllokalen abgeben. In Israel ist der Wahltag ein arbeitsfreier Tag.

Wer nun mit der Regierungsbildung beauftragt wird, darüber entscheidet Präsident Reuven Rivlin. Dieser hört sich zunächst die Empfehlungen aller Parteien an und erteilt den Auftrag dann an jene Partei, welche die größten Chancen hat, eine Koalition zustande zu bringen. Meist ist es die Partei mit den meisten Stimmen. Bis Anfang Juni könnte es dauern, bis eine neue Regierung gebildet ist. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 10.4.2019)