Auch wenn man argumentieren kann, dass die Hochphase von Musikvideos vorüber ist und ihre Bedeutung in der Musikindustrie in den letzten Jahren abgenommen hat, so sind sie dennoch ein zentraler Bestandteil westlicher Popkultur. Und hier spielt Religion, oft in der Form christlicher Inhalte, immer wieder eine wichtige Rolle – sowohl auf den Ebenen der Produktion und Distribution als auch in der Inszenierung selbst sowie in der Rezeption.  

Musikvideos früher und heute

Vorläufer von Musikvideos finden sich bereits in den 1940er-Jahren in den Soundies oder aber auch in den 1960er-Jahren in den Kurzfilmen der Scopitones. In diesen Automaten konnten nach Münzeinwurf in ungefähr dreiminütigen Kurzfilmen Darbietungen von unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstler angesehen werden.

Soundies Central

Musikvideos, wie wir sie im heutigen Sinne verstehen, wurden in den 60ern auch als Ersatz für Live-Auftritte konzipiert und von Bands wie den Beatles eingesetzt. Bald jedoch hatten Musikvideos einen eigenen Stellenwert für die und in der Musikindustrie. Darüber hinaus begann mit dem Sendestart von MTV am 1. August 1981 endgültig eine neue Ära. Wie die Kunsthistoriker Henry Keazor und Thorsten Wübbena festhielten, stieg damit vor allem die Verschränkung von "Musikindustrie, Werbung, Fernsehen, Unterhaltung"¹.

Sünde und Gebet

In den 80ern zeigte sich immer wieder, dass mit dem gezielten Einsatz von religiösen Elementen oder Inhalten Aufmerksamkeit erregt werden kann. So erinnerte die Inszenierung der Pet Shop Boys im Musikvideo zu It’s a Sin aus dem Jahre 1987 stark an die erfolgreiche im Vorjahr erschienen Romanverfilmung Der Name der Rose mit Sean Connery und Christian Slater. Inhaltlich setzte sich Neil Tennant in diesem Liedtext jedoch mit seiner katholischen Erziehung auseinander.

Sean Connery untersucht die mysteriösen Morde in einer Benedektinerabtei in "Der Name der Rose"
Foto: Columbia Pictures
PetShopBoys Parlophone

Von Madonna bis Lady Gaga

Die eingangs schon erwähnte enge Verbindung von Musik und Werbung zeigte sich ein Jahr später in Madonnas Like a Prayer. Durch einen Werbevertrag mit Pepsi wurde ihre Single im Rahmen eines Werbespots des Unternehmens veröffentlicht. Als Madonna kurze Zeit später ihr eigenes Musikvideo dazu herausbrachte, kam es aufgrund der Inszenierung christlicher Elemente zu Kontroversen, auch wenn Regisseurin Mary Lambert und Madonna vor allem die Bedeutung von Rassismus als zentrales Thema für das Musikvideo betonten.²

Madonna Madders
Madonna

Bereits der Pepsi-Werbespot bedient sich christlicher Symbole und Elemente (zum Beispiel Kreuz als Kettenanhänger, Darstellung eines Gottesdienstes), das Musikvideo der Künstlerin jedoch zeigte brennende Kreuze, einen afro-amerikanischen Heiligen, der zum Leben erweckt wird, sowie Madonna selbst mit Stigmata. Angebliche Verwechslungen des Musikvideos mit dem Werbespot führten dazu, dass Pepsi letzteren nicht weiter ausstrahlte.

Diese beiden Beispiele aus den 80ern liegen natürlich einige Zeit zurück. Lady Gaga bewies mit ihrem Musikvideo zu ihrem Titel Judas jedoch, dass diese Art der Inszenierung auch 2011 noch Reaktionen hervorrufen kann – insbesondere wenn das Musikvideos vor Ostern veröffentlicht wird.

LadyGagaVEVO
Fox News Insider

Konzerte, Glaube und Gottesdienste

Musikvideos können aber auch Interpreten, die sich öffentlich zu einer Religionsgemeinschaft bekennen oder von religiösen Gruppierungen selbst produziert und veröffentlicht werden. Ausgehend von christlichen Konzerten in den 80ern entwickelten sich besonders in christlich-charismatischen Gruppierungen stärker Performance-orientierte Konzepte. Damit sollten vor allem junge Bevölkerungsschichten angesprochen werden. Darüber hinaus hatten und haben Medien wie Film und Fernsehen, Musik oder auch das Internet im Kontext von Megachurches und Fernsehpredigern einen zentralen Stellenwert.

Hillsong Church

Die christliche Religionsgemeinschaft Hillsong Church ist hier als ein interessantes Beispiel zu nennen. Sie wurde in den 80ern in Australien gegründet und kann im charismatisch-evangelikalen-pentekostalen Bereich angesiedelt werden kann³. Durch mehrere Bands der Megachurch (Hillsong United, Hillsong Worship sowie Hillsong Young & Free) wird Musik unterschiedlicher Genres veröffentlicht und vermarktet.

Religiöse Inhalte werden durch die verschiedenen Musikgruppen der Gemeinschaft nicht nur in den Liedtexten vermittelt, sondern auch in der Art und Weise der Inszenierung. Während auf eindeutige christliche Symbole, wie das Kreuz, oft verzichtet wird, ist in den Musikvideos von Hillsong United und Hillsong Worship eine starke Inszenierung spiritueller Erfahrung zu erkennen.  

Hillsong Worship
Hillsong Young & Free

Diese Darstellungen stellen den Anspruch eine authentische Erfahrung christlich-charismatischer Gemeinschaften aufzugreifen. Diese kann in Konzerten und Gottesdiensten rund um den Globus – und dank Internet und Musikvideo auch von zuhause aus – erlebt werden. Dass der Inhalt der Lieder auch hier eine zentrale Rolle spielt, wird immer wieder deutlich. So wird der Text vor Ort auf Leinwände projiziert, was in den meist auf Live-Mitschnitten basierenden Musikvideos zu sehen ist, und teilweise auch durch die Postproduktion betont.

Religion und Musikvideos

Auch wenn diese Beispiele nur einige Ausschnitte der Verschränkung von Religion und Musikvideos behandeln, so zeigen sie doch unterschiedliche Aspekte dieser Beziehung auf. Während in Produktionen von christlichen Megachurches, wie der Hillsong Church, ein konkretes religiöses Publikum angesprochen werden soll, zeigt sich bei einer breiteren Betrachtung westlicher Popmusik, dass Religion hier oftmals als Inszenierungselement und gerne auch zur Provokation eingesetzt wird. (Lisa Kienzl, 25.4.2019)

¹ Henry Keazor, Thorsten Wübbena: "Pictures came and broke your heart": Zur Vor- und Frühgeschichte des Videoclips. In: Video thrills the radio star. Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen. H. Kreazor, T. Wübbena (Hg.), Bielefeld: transcript, 2005, 55-78, 67.

² Carla Freccero: Our Lady of MTV: Madonna's "Like a Prayer". In: boundary 2, Feminism and Postmodernism, Sommer 1992 (Vol. 19, Nr. 2) 163-183.

³ Tanya Riches, Tom Wagner (Hg.): The Hillsong Movement Examined. You Call Me Out Upon the Waters. Cham: Springer International Publishing, 2017.

Weitere Beiträge im Religionswissenschaftsblog