Morbus Parkinson führt dazu, dass immer weniger Dopamin im kleinen Gehirnareal Substantia nigra ausgeschüttet wird. Der Botenstoff ist das Schmieröl für die Feinmotorik.

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Ob der englische Arzt James Parkinson wohl ahnte, dass die von ihm entdeckte Krankheit zur zweithäufigsten neurodegenerativen Erkrankung nach der Alzheimer-Demenz werden würde? In Österreich leiden aktuell rund 20.000 Menschen – mehr Männer als Frauen – an Parkinson, jährlich steigt die Zahl der Erkrankten um 1800. "Bis 2030 erwarten wir für Österreich eine Verdoppelung der Zahlen", sagt der Neurowissenschafter Klaus Seppi von der Uniklinik für Neurologie in Innsbruck. Weltweit soll sich die Zahl der Parkinson-Kranken bis 2036 gegenüber dem Stand von 6,1 Millionen im Jahr 2016 ebenfalls mindestens verdoppeln.

Das ist nicht verwunderlich, denn Parkinson zählt zu den Alterserkrankungen, und die Zahl älterer Menschen steigt. Allerdings erkranken zehn Prozent der Patienten bereits in jungen Jahren – bei vielen spielen genetische Faktoren eine Rolle. Außer den Einflussgrößen Alter, Geschlecht und Gene fördern Umweltfaktoren wie Pestizide, aber auch wiederholte Gehirnerschütterungen die Entstehung von Parkinson.

Gefährlicher Dopaminmangel

Die Erkrankung kündigt sich häufig durch unspezifische Symptome wie Geruchsstörungen, Verstopfung, Depressionen oder Störungen des Traumschlafs an. "Neun von zehn Menschen mit REM-Schlafverhaltensstörungen erkranken innerhalb von zehn bis 15 Jahren an Parkinson", sagt der Wiener Neurologe Willi Gerschlager.

Die typischen motorischen Symptome einer Parkinsonerkrankung wie zittrige Hände und ein kleinschrittiger Gang sind Folge eines Dopaminmangels. Wie entsteht er? Eine zentrale Rolle spielt das Eiweißmolekül Alpha-Synuclein. Ist es korrekt gefaltet, reguliert es die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin in den Nervenzellen eines kleinen Gehirnbereichs, der Substantia nigra. Ist jedoch dieses Eiweißmolekül fehlgefaltet, bilden sich Ablagerungen, sogenannte Lewy-Körperchen, aus verklumptem Alpha-Synuclein in den Dopamin produzierenden Nervenzellen. Diese sterben ab, und die produzierte Dopaminmenge wird nach und nach kleiner.

"Dopamin ist das Schmieröl für die Feinmotorik", sagt Seppi. Inzwischen ist bekannt, dass Ablagerungen von Alpha-Synuclein nicht nur im Gehirn, sondern auch in der Nasenschleimhaut und im Darm auftreten. Möglicherweise breiten sie sich über den Vagusnerv des vegetativen Nervensystems oder über den Riechnerv bis ins Gehirn aus.

Spiel- und Kaufsucht

Es wird spekuliert, ob Darmbakterien ursächlich beteiligt sind. Zumindest gibt es erste Hinweise darauf, dass Parkinson mit einer bestimmten Zusammensetzung der Darmflora assoziiert ist. Diese unterschiedliche bakterielle Signatur könnte aber auch einfach die Folge der oft bei Parkinson auftretenden Verstopfung sein. Sicher ist, dass die Ernährung die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflusst und verändert. "Eine Studie hat kürzlich ergeben, dass Menschen, die sich mediterran ernähren, weniger häufig in einer Frühphase der Parkinson-Erkrankung sind", erzählt Gerschlager.

Parkinson ist noch nicht heilbar. "Viele Patienten können mit den derzeitigen Therapieoptionen aber über viele Jahre gut leben", ergänzt Gerschlager. Die bisherige Therapie zielt darauf ab, den Dopaminmangel auszugleichen. Beispielsweise mit dem Wirkstoff L-Dopa, der im Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird. Nach mehreren Jahren mit L-Dopa können jedoch Spätkomplikationen (siehe Wissen) auftreten. Diese sogenannten Dopaminagonisten, die im Körper die Wirkung von Dopamin nachahmen, führen bei etwa 15 Prozent, vermutlich sogar mehr, der damit behandelten Patienten zu Impulskontrollstörungen.

Das bedeutet immens belastende, enthemmte Verhaltensweisen wie Spielsucht, Kaufsucht oder ein krankhaft gesteigertes sexuelles Verlangen. "Insbesondere jüngere und männliche Patienten haben ein erhöhtes Risiko, Störungen der Impulskontrolle zu entwickeln. Weitere Risikofaktoren sind frühere depressive Episoden oder Substanz- bzw. Alkoholmissbrauch", warnt Gerschlager.

Neue Therapieansätze

Die Tiefenhirnstimulation (THS), der "Hirnschrittmacher", kommt bei medikamentös schwer behandelbaren Spätkomplikationen der L-Dopa-Therapie zum Einsatz. Elektroden werden in einen motorikrelevanten Teil des Zwischenhirns eingepflanzt. Sie verändern mittels elektrischer Impulse die Funktion in den stimulierten Gehirnbereichen; die motorischen Fähigkeiten der Patienten verbessern sich. "Man sollte nicht zu lange mit dem Einsatz der THS warten", so Seppi.

Ein Ansatz, der direkt an der Wurzel der Erkrankung ansetzt, ist, dass sich fehlgefaltete Alpha-Synuclein-Moleküle überhaupt bilden. Das soll gelingen, indem die Bauanleitung für das "falsche" Alpha-Synuclein "unleserlich" gemacht wird. Auch die Ausbreitung von fehlgefaltetem Alpha-Synuclein ist im Fokus der Wissenschaft: Derzeit wird eine Behandlung mit maßgeschneiderten Antikörpern gegen Alpha-Synuclein in klinischen Studien getestet. Diese Antikörper sollen es unmöglich machen, dass sich gefährliches Alpha-Synuclein im Nervensystem ausbreitet. "Gelänge es, diesen Prozess zu verhindern, hätten wir eine Art Parkinson-Impfstoff zur Verfügung", sagt Karla Eggert von der Klinik für Neurologie des Uniklinikums Gießen und Marburg.

Was man selbst tun kann

Seppi und seine Innsbrucker Kollegen arbeiten in einem europäischen Konsortium daran, durch Eisenfänger, sogenannte Eisenchelatoren, einen Initiator der Verklumpung wegzufischen. Bei Parkinson kommt insbesondere in der Dopamin produzierenden Substantia nigra zu viel Eisen vor. "Es scheint beim Untergang der Nervenzellen als Verstärker zu wirken und die Verklumpung des Alpha-Synucleins zu fördern", erklärt Seppi. Mittels einer speziellen Magnetresonanztechnik konnte gezeigt werden, dass der Eisengehalt in der Substantia nigra mit Eisenchelatoren abnimmt. "Ob dies auch dazu führt, dass die Erkrankung langsamer fortschreitet, versuchen wir herauszufinden", sagt Seppi.

Patienten, bei denen sich die Erkrankung bereits ausgebreitet hat, könnten in ein paar Jahren ebenfalls von der aktuellen Forschung profitieren. Es ist bekannt, dass die Zellmüllabfuhr in den Nervenzellen in der Substantia nigra nicht mehr richtig funktioniert. "Ein Hustenmittel, das aus dem medizinischen Inhaltsstoff des indischen Lungenkrauts hergestellt wird, kann sie offenbar wieder aktiver machen", erzählt Seppi. Betroffene können aber auch selbst etwas tun: "Ausdauersport und andere körperliche Aktivitäten beeinflussen den Erkrankungsverlauf sehr günstig", so Gerschlager. Daneben können Physio- und Sprachtherapie die Lebensqualität steigern. (Gerlinde Felix, 10.4.2019)