Die Welt und ihren Zustand durchblicken kann optimistisch wie pessimistisch stimmen – hier die Installation "Hot Spot" der Künstlerin Mona Hatoum.

Foto: Imago / Bettina Strenske

Es sei nicht gerade die beste Zeit, um ein Buch über historische Fortschritte zu schreiben, meint der amerikanische Kognitionspsychologe Steven Pinker – und tut es trotzdem: Unsere trostlose Auffassung über den Zustand der Welt sei falsch, schreibt er in seinem neuen Buch Aufklärung jetzt.

Zusammen mit Bill Gates und Ola Rosling (der mit seinem Vater und seiner Frau das Buch Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist verfasste) gehört er zu einer Gruppe von Denkern, die als "The New Optimists", die neuen Optimisten, bezeichnet werden.

Mithilfe simpel gehaltener Statistiken, deren Verlauf meist eine Abnahme – von Gewalt, Armut oder etwa des globalen Hungers – darstellt, wollen sie zeigen, dass das Leben seit der industriellen Revolution um einiges besser geworden ist.

Und dass die Art, wie wir und insbesondere wie die Medien über die Welt reden, meist ein zu negatives Bild zeichnet. Geht unsere Wahrnehmung der Welt an der Realität vorbei?

Nachhaltigkeitsziele

Ein Weg, um Fortschritte zu definieren und zu messen, sind die 17 Sustainable Development Goals, kurz SDGs. Ein internationales Symposium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigte sich mit Fragen rund um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in einer von Massenmedien geprägten Welt.

"Die SDGs sind der größte globale Wandlungsprozess, den wir uns je vorgenommen haben", sagt die Mitorganisatorin Verena Winiwarter, ÖAW-Mitglied und Umwelthistorikerin an der Universität für Bodenkultur (Boku) – und sieht allein darin schon einen Fortschritt.

Österreich setzt diese Ziele in einem sogenannten Mainstreaming-Prozess um. Zuständig sind die jeweiligen Ministerien. So könne niemand die Verantwortung abschieben, sagt Winiwarter. "Es gibt aber auch den Anreiz, das, was man schon tut, als Erfolg zu berichten." Blickt man auf den Status quo der Fortschritte, liegt Österreich laut einem Bericht der deutschen Bertelsmann-Stiftung auf Platz zwölf aller UN-Länder. Besonders gut schneidet das Land etwa in den Bereichen Industrie, Innovation und Armut ab.

Kritik von Klimaaktivisten

Doch bei Maßnahmen für den Klimaschutz, Hungerbekämpfung und bezahlbarer sauberer Energie belegt Österreich lediglich den 15. Rang im EU-28 Vergleich – DER STANDARD berichtete. Bereiche, die auch zu den sogenannten Biosphärenzielen gehören und eine Grundlage für alle anderen SDGs bilden, so Winiwarter.

Sie habe aber Hoffnung: "Die Biosphärenziele sind im Laufe meiner Karriere viel wichtiger geworden. Es ist uns schon viel gelungen." Macht es deshalb Sinn, sich wie die neuen Optimisten auf diese Fortschritte zu konzentrieren? "Ich denke, dass wir weiter aktiv sein müssen. Die Welt ist weder so gut, wie uns manche glauben lassen wollen, noch ist sie so schlecht, wie es andere meinen", sagt die Umwelthistorikerin.

Gerade in Sachen Klimawandel sei er immer wieder auf Kritik gestoßen, erzählte Ola Rosling im Gespräch mit Stephen Pinker Ende März in der Londoner Cadogan Hall. Klimaaktivisten – darunter auch der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore – würden ihnen vorwerfen, Ängste zu ignorieren, die aber notwendig seien, um die Dringlichkeit der Sache zu unterstreichen.

Doch laut Rosling sei ein solches "Jetzt oder nie" gefährlich. Der Dringlichkeitsinstinkt bringe uns dazu, Entscheidungen vorschnell zu treffen und Nebeneffekte zu ignorieren.

Dem stimmt auch die Soziologin Alison Anderson, Vortragende beim SDG-Kongress und Autorin des Buches Media, Environment and the Network Society, zu: "Es ist ein Balanceakt, Aufmerksamkeit auf ein Problem zu lenken, ohne Panik zu erzeugen – und sich trotzdem an die Fakten zu halten." Die Komplexität der Dinge, insbesondere wissenschaftlicher Inhalte und Datenmengen, lasse sich oft nicht so einfach in die öffentliche Sphäre übersetzen.

Begrenzter Pool für Sorgen

"Die SDGs umfassen sehr viele verschiedene Aspekte", sagt Anderson, "die meisten Menschen haben aber nur ein limitiertes Reservoir für Sorgen." Die Stärke Pinkers und der Roslings liegt laut vielen Experten darin, diese Fülle an Informationen herunterzubrechen und leichter verständlich zu machen.

Die Gefahr sei jedoch, Fakten übersimplifiziert darzustellen, so Anderson. Sie halte es für am effektivsten, Geschichten von positiven Beispielen zu erzählen, in denen Menschen bereits Maßnahmen ergriffen haben, und andere so mit Lösungsansätzen zu inspirieren.

Auch müssten Berichte mit den Sorgen und Emotionen der Menschen übereinstimmen. "Wir sehen, dass den Menschen Dinge, die sie direkt und persönlich betreffen, wichtiger sind als zukünftige Probleme wie der Klimawandel." Das könne man auch nützen: Studien zeigen, dass Leute offener auf Veränderung reagieren, wenn Klimawandel als ein Gesundheitsthema aufgearbeitet wird.

Dazu komme die Rolle von sozialen Medien. "Oft werden jahrelang Kampagnen durchgeführt, bevor sie plötzlich durch die Decke gehen – wie es etwa beim Verbot von Mikrokügelchen in Kosmetika war. Wenn soziale Influencer am richtigen Punkt auftauchen, kann das eine große Wirkung haben." Das konnte auch bei der "Fridays for Future"-Bewegung und Greta Thunberg beobachtet werden.

Unbequeme Wahrheiten

Auch Matthias Karmasin, Medien- und Kommunikationswissenschafter an der ÖAW und der Universität Klagenfurt, glaubt an das Potenzial sozialer Medien. Es müsse aber eine kognitive Dissonanz überwunden werden. Denn Daten zum Klimawandel gebe es schon lange.

"Wir neigen aber dazu, unbequeme Wahrheiten – im Sinne Al Gores – auszublenden, und entwickeln Strategien, um sie nicht so ernst zu nehmen." Die Tendenz der Medien, Dinge zuzuspitzen und zu skandalisieren, habe außerdem dazu beigetragen, Klimawandelskepsis und Politikverdrossenheit zu fördern. Dazu komme die inhärente Tendenz des Journalismus, immer eine Meinung und Gegenmeinung zu suchen.

Das führe zu der Auffassung, dass es trotz unmissverständlicher Datenlage eine öffentliche Debatte über die Existenz des Klimawandels gebe. Die Frage nach einer positiven oder negativen Formulierung ist für ihn aber irrelevant: "Mir geht es weder darum, etwas besonders konstruktiv oder besonders negativ darzustellen. Das Einzige, was zählen sollte, ist, dass etwas wissenschaftlich belegt ist – selbst wenn es unangenehm ist." (Katharina Kropshofer, 13.4.2019)