Matthew Caruana Galizia: "Wir leben mit dem Krebs Maltas, Zyperns, Ungarns, Rumäniens. Oder wir stellen sicher, dass nicht mehr passieren kann, was meiner Mutter passierte."

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Kundgebung für die Aufklärung des Mordes an Aufdeckerin Daphne Caruana in La Valetta 2018.

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Matthew Caruana Galizia war nach der Explosion der Erste beim brennenden Wrack jenes Autos, mit dem seine Mutter Daphne Caruana Galizia Minuten zuvor aufgebrochen war. Eine Autobombe tötete die Aufdeckerin politischer Korruption und Misswirtschaft in Malta am Nachmittag des 16. Oktober 2017.

Matthew Caruana Galizia ist selbst investigativer Journalist, er arbeitete für das Internationale Konsortium für Investigativjournalismus an den großen Enthüllungen wie Offshore Leaks, Luxembourg Leaks, Panama Papers und Paradise Papers. Den in den Panama Papers entdeckten Offshore-Firmen des Kabinettchefs von Maltas Premier Joseph Muscat und des Energieministers widmete sich zuletzt auch seine Mutter. Über Maltas Wirtschaftsminister enthüllte sie gar einen Bordellbesuch fast in Echtzeit. Einige Dutzend Verfahren führte dieser Minister Christian Cardona gegen sie, er ließ ihr Konto sperren. Deshalb eilte sie am 16. Oktober 2017 zu ihrer Bank.

Matthew und seine zwei Brüder Andrew und Paul sowie ihr Vater Peter drängen auf Aufklärung der Hintergründe des Mordes an Daphne. Zuletzt untersuchte der Europarat das politische System Maltas und fand ein in der Korruptionsbekämpfung unwirksames "Arsenal an Behörden".

STANDARD: Eineinhalb Jahre seit dem Mord an Ihrer Mutter. Sind die Verantwortlichen für diesen Mord an Maltas Aufdeckerin der Nation ermittelt, eingesperrt, verurteilt?

Caruana Galizia: Nein. Bisher hat die Polizei nur drei Kriminelle festgenommen, die meine Mutter über Wochen beobachtet, die Bombe unter ihrem Sitz platziert und diese mit einem Handy gezündet haben. Sie sind Teil der organisierten Kriminalität in Malta. Aber sie sind kleine Kriminelle, Schmuggel, Schutzgeld etwa. Sie haben die Tat ausgeführt. Sie haben nicht einmal die Bombe selbst gebaut. Über ihnen waren einige Ebenen bis zu den Auftraggebern. Die Regierung wird versuchen, die Vermittler als Auftraggeber darzustellen. Wir wissen, dass sie das nicht waren. Meine Mutter hat über die Menschen zuletzt vor acht Jahren geschrieben.

STANDARD: Ihre Mutter hat zuletzt über Minister, Kabinettschefs und den Premier von Malta recherchiert und geschrieben.

Caruana Galizia: Sie hat in den letzten Jahren über politische Korruption auf höchster Ebene recherchiert – und nicht etwa Treibstoffschmuggel, wie die Regierung das darzustellen versucht.

STANDARD: Haben Sie noch Hoffnung, dass die Auftraggeber des Mordes an ihrer Mutter dafür verantwortlich gemacht werden?

Caruana Galizia: Ja. Aber nur, weil wir weiter dahinter sind. Jeder europäische Bürger muss sich fragen: Warum hängt alles an den Familienmitgliedern des Opfers? Europa muss daraus seine Schlüsse ziehen, das ist eine Überlebensfrage für die EU. Die EU braucht Mechanismen für toxische Staaten wie Malta, die sich nicht selbst in Ordnung bringen können.

STANDARD: Sie fordern eine multinationale Behörde dafür.

Caruana Galizia: Der Fall meiner Mutter ist das extremste Beispiel, warum es solche Mechanismen braucht. Wenn die EU solche supranationalen Mechanismen hätte, hätte sich Malta nicht so katastrophal bis zu jenem Punkt entwickeln können, als meine Mutter umgebracht wurde. Eine übernationale EU-Behörde zur Strafverfolgung in den Mitgliedsstaaten hätte gegen jene Menschen ermitteln können, über die meine Mutter recherchiert hat. Ohne diese Behörde blieben diese Menschen in Malta unbehelligt – und wurden so geradezu ermutigt, meine Mutter umzubringen.

STANDARD: Nimmt die EU die Missstände im kleinen Mitgliedsland Malta wahr?

Caruana Galizia: Die Größe eines EU-Mitgliedsstaats steht in keinem Verhältnis zum Schaden, den ein korruptes politisches System anrichten kann. Nur weil ein kleiner Staat die Rechtsstaatlichkeit missachtet, ist das kein kleines Problem für die übrige Union. Die großen Finanzskandale der vergangenen Jahre passierten alle in kleinen Mitgliedsstaaten: Estland, Lettland und Malta. Und Geldwäsche ist in kleinen Ländern offenkundig einfacher – es ist einfacher, sich politischen Einfluss zu verschaffen.

STANDARD: Das klingt nicht nach ausreichender Aufmerksamkeit Brüssels.

Caruana Galizia: Die EU schaut derzeit sehr genau auf Ungarn. Mir erscheint das irrational. Ja, Ungarn ist ein Problem. Aber es wirkt ein bisschen beliebig ausgewählt aus all den Mitgliedsstaaten, die offen die Rechtsstaatlichkeit verletzen – Polen, Rumänien, Bulgarien, Zypern, Malta, da gibt es eine Menge Fälle. Das zeigt, wie schwach die Mechanismen der EU dafür sind. Einen Staat zur Verantwortung zu ziehen, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, ist keine politische Aufgabe. Das sollten unabhängige richterliche Behörden übernehmen.

STANDARD: Klingt ein wenig nach einer Institution wie dem internationalen Gerichtshof der UNO in Den Haag.

Caruana Galizia: Wenn Kriegsverbrechen von einer politischen Institution verhandelt würden, hätte das weit weniger Gewicht als beim internationalen Gerichtshof.

STANDARD: Ein wesentlicher Teil der EU-Staaten scheint eher an der Schwächung der Union zu arbeiten – oder zumindest wenig Interesse an ihrer Stärkung zu haben.

Caruana Galizia: Das ist eine Skepsis gegenüber politischer Macht. Gegen eine solche Behörde kann niemand seriös argumentieren. Die USA haben mit dem FBI eine effiziente, bundesstaatenübergreifende Behörde. Wenn Europa keine solche Behörde entwickelt, dann wird es sich in Richtung Russland entwickeln. Heute haben wir ein Paradies für organisierte Kriminalität in der Europäischen Union: offene Grenzen für Waren, Personen, Geld – aber niemand, der diese offenen Grenzen überwacht. Meine Mutter hat über politische Korruption in Malta recherchiert; korrumpiert haben dieses System aber Player außerhalb Maltas – sie kamen aus Aserbaidschan in die Eurozone und nach Malta. Malta, das hat sich gezeigt, ist nicht in der Lage, diese Korruption zu bekämpfen – es hat sie nur noch schlimmer gemacht.

STANDARD: Es scheint am Willen zu fehlen, die Korruption zu bekämpfen.

Caruana Galizia: Malta hebt die Hände und sagt: Wir können nichts machen, wir müssen damit leben. Wir müssen leben mit diesem Krebs Malta, dem Krebs Zyperns, Ungarns, Rumäniens. Oder wir tun etwas und stellen sicher, dass nicht mehr passieren kann, was meiner Mutter passiert ist.

STANDARD: Der Europarat hat sich mit dem politischen System und der Korruption auf Malta gerade intensiver beschäftigt – und ob Politik und Behörden den Mord an Ihrer Mutter hätten verhindern können.

Caruana Galizia: Malta hat sein Möglichstes getan, um die Untersuchung zu behindern. Es war die erste öffentliche Untersuchung gegen ein EU-Mitgliedsland, die beiden vorangegangenen beschäftigten sich mit dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja und des Oppositionspolitikers Boris Nemzow in Russland.

STANDARD: Maltas Premier Joseph Muscat wurde als EU-Kommissionspräsident gehandelt.

Caruana Galizia: Eine schreckliche Vorstellung. Er ist hauptverantwortlich für den Zustand Maltas und seines politischen Systems. Muscat hat seinen Kabinettschef und seinen Energieminister im Amt belassen, als die Recherchen über die Panama Papers ihre Offshore-Firmen und Geldflüsse aufdeckten. Er hat zugelassen, dass meine Mutter ermordet wurde, indem er diese Atmosphäre der Straffreiheit geschaffen hat. Es wäre Zeit für Ermittlungen gegen Muscat, nicht für eine Schlüsselposition der EU.

STANDARD: Sie waren der erste am Tatort, am brennenden Auto ihrer Mutter. Hat Sie dieser Mord nicht zögern lassen, ob Sie sich weiterhin mit politischer Korruption und organisierter Kriminalität befassen?

Caruana Galizia: Viele haben uns das geraten. Aber wenn man nachgibt, davon ablässt, dann hat dieses korrupte System gewonnen. Es nützt jede Schwäche, um seinen Druck auf dich noch zu erhöhen. Und: Wir haben keine andere Wahl. Wenn wir Gerechtigkeit für unsere Mutter und für ihre Arbeit wollen, dann müssen wir damit weitermachen. Europa hat keine Mechanismen dafür.

STANDARD: Nach der Ermordung Ihrer Mutter haben sich Journalisten aus vielen Ländern zusammengetan, um ihre Arbeit, ihre Recherchen im "Daphne Project" fortzusetzen. Als Zeichen, dass man sie zum Schweigen bringen kann, aber nicht ihre Recherchen stoppen.

Caruana Galizia: Journalisten sind die letzte Chance der Ermittlung – wenn alle Behörden versagen. Wenn der Staat seine Aufgabe voll erfüllen würde, würde es keine investigativen Journalisten brauchen. Wir kommen ins Spiel, wenn Politik und Behörden versagen und wegschauen. Das ist ein Zeichen, dass Systeme nicht so funktionieren, wie sie sollten. In Malta haben wir wieder und wieder gesehen: Selbst wenn Journalisten Misstände aufdecken, hat das keine Folgen für die Täter.

STANDARD: Aber für die Journalisten.

Caruana Galizia: Die Täter bleiben nicht nur ungestraft, sie greifen auch noch die Journalisten an, die ihre Taten beschreiben. (Harald Fidler, 10.4.2019)