Im Khartum belagern seit dem Wochenende tausende Regierungskritiker das Hauptquartier der Armee.

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Szenen eines Bürgerkriegs vor dem Hauptquartier der Armee in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Zu hören ist das Geknatter automatischer Gewehre, immer wieder dröhnen auch Schüsse aus größerem Kaliber. Zivilisten, vor allem junge Männer, suchen Schutz hinter Fahrzeugen, Bäumen oder Gebäuden. Zwischen ihnen Soldaten, die sich auf die Seite der Demonstranten geschlagen haben. Seit vier Tagen versuchen Einheiten des sudanesischen Geheimdienstes NISS und der Spezialeinheit Rapid Security Forces (RSF) immer wieder vergeblich, die Tausenden von Oppositionsmitgliedern zu zerstreuen, die sich vor dem Hauptquartier der Streitkräfte versammelt haben. Ihnen kommen immer wieder Soldaten zu Hilfe, die auch nicht davor zurückschrecken, das Feuer auf Geheimdienstler zu eröffnen. "Ihre Freiheit ist auch unsere Freiheit", ruft ein Soldat: "Wir sind auf ihrer Seite."

Militär bietet Zuflucht

Wird der Angriff der Geheimdienstler zu heftig, öffnen die Soldaten die Tore zu ihrem Hauptquartier: Hunderte von Demonstranten fanden so am Dienstagmorgen Zuflucht vor der Zentrale der Marine, die wie ein Schiff gebaut ist. Allen ist klar, dass auf der Buri-Straße zwischen dem Flughafen und dem Blauen Nil derzeit der Showdown um die Zukunft des Sudan ausgefochten wird: Entweder der seit 30 Jahren regierende verhasste Präsident Omar al-Bashir tritt ab – oder es kommt zu einem Blutbad und einer noch schärferen Repressionswelle. Mindestens 15 Menschen haben während der Kraftprobe schon ihr Leben eingebüßt – Hunderte wurden verletzt, rund 2500 Demonstranten verhaftet. Die umliegenden Krankenhäuser riefen die Bevölkerung zu Blutspenden auf: Immer wieder flammen Zusammenstöße zwischen NISS- und RSF-Einheiten auf der einen sowie Soldaten und Demonstranten auf der anderen Seite auf, immer mehr Verletzte werden eingeliefert. Unter den Toten sollen sich auch zwei Soldaten und ein Geheimdienstler befinden.

Auf welcher Seite die Führung der Streitkräfte steht, ist noch ungewiss. Die Armee verstehe die Forderungen der Demonstranten, sagte General Awad Ahmed Benawf laut der staatlichen Nachrichtenagentur Suna: "Aber wir werden kein Chaos zulassen." Sowohl Armee-Chef Kamal Abdel-Marouf wie auch Verteidigungsminister Ahmed Awad Ibn Auf gelten als loyal gegenüber dem einst selbst durch einen Putsch an die Macht gekommenen General al-Bashir: Die Revolte des Militärs wird von einfachen Soldaten und Offizieren der niederen Ränge getragen. "Ein Volk, eine Armee", skandieren die Demonstranten vor dem Streitkräftesitz: "Wenn die Armee hinter uns steht, dann kann uns nichts passieren."

Die oppositionelle "Vereinigung der Beschäftigten im Sudan" (SPA) hatte für Samstag zur jüngsten Protestrunde aufgerufen: dem Tag, an dem vor 34 Jahren der Militärdiktator Jaafar Nimeiri durch einen Volksaufstand von der Macht hinweggefegt wurde. Die symbolische Terminwahl sollte sich als wirksam erweisen: Eine Menschenmenge so groß wie auf der Buri-Straße hatte sich im Verlauf der seit vier Monaten anhaltenden Proteste noch niemals eingestellt. Angefeuert wurden die Demonstranten auch von den jüngsten Vorgängen in Algerien: Dort sorgten Massenproteste in den vergangenen zwei Wochen dafür, dass der greise Präsident Abdelaziz Bouteflika seinen Hut nehmen musste. Manche sprechen bereits von einem zweiten Arabischen Frühling: eine womöglich trügerische Wetterprognose.

Plan für Übergangsregierung

Die SPA will Gespräche mit der Streitkräfteführung aufnehmen, um danach eine Übergangsregierung zu bilden. "Wir appellieren an die Armeeführung, in einen Dialog einzutreten", sagte der Chef der oppositionellen "Allianz", Omar El-Digeir. Eine Reaktion aus dem Hauptquartier der Streitkräfte blieb bislang allerdings aus: Stattdessen geht vor den Gebäuden die Machtprobe zwischen den Soldaten und dem Geheimdienst weiter. "Wir sind mitten in einer ausgewachsenen Revolution", meint der sudanesische Politologe Muhamed Osman: Ob sie in einem Blutbad oder mit dem Abtritt des vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag des Völkermords angeklagten al-Bashir enden wird, ist noch offen. (Johannes Dieterich, 9.4.2019)