Mozarts beliebte Oper "Die Zauberflöte" thematisiert Suizidgedanken. Drei Knaben zeigen Papageno, getrieben von Angst, seine geliebte Papagena zu verlieren, Alternativen auf – so überwindet er die Krise. Daher der Name "Papageno-Effekt" für Medienberichte, die helfen können, Suizide zu verhüten.

Foto: APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Die Autorin Saskia Jungnikl hat ihren Vater durch Suizid verloren und darüber ein Buch geschrieben. Im Gastkommentar erklärt sie, worauf Medien in der Berichterstattung achten müssen: Hilfe aufzeigen, Menschen Mut zu machen, das kann manchmal einen Unterschied machen.

Suizidberichterstattung ist heikel. Es gibt den Werther-Effekt, so benannt nach der Suizidwelle, die einsetzte, nachdem Goethe sein Buch Die Leiden des jungen Werthers veröffentlicht hatte. Eine falsch geratene Berichterstattung kann einen Nachahmungseffekt erzeugen. Das ist keine Mär, das manifestiert sich in Zahlen. Nachdem sich der deutsche Nationaltorwart Robert Enke 2009 getötet und die Berichterstattung darüber jede Bodenhaftung verloren hatte, nahm die Zahl der Suizide auf Bahnstrecken in Deutschland zu.

Als mein Vater sich 2008 das Leben genommen hat, waren die ersten Jahre nach seinem Tod ein Albtraum, bestehend aus Trauer, Wut, Angst, Fassungslosigkeit und vor allem anderen Sprachlosigkeit. Wie darüber reden? Wie all den Mitredern und Besserwissern entgegentreten, wie den Vorwürfen begegnen, wie mit der Trauer umgehen, wie die Stille um dieses Tabu brechen? Fünf Jahre nach seinem Tod habe ich mich mit einem Buch freigeschrieben, ich durfte Worte für etwas finden, wofür es in unserer Gesellschaft zu wenige Worte gibt. Denn es gibt einen guten Grund, warum über Suizide geschrieben werden sollte: Den Papageno-Effekt, der bei gelungener Berichterstattung dafür sorgt, dass die Zahl an Suiziden sinkt. Ausschlaggebend ist nicht, ob darüber geschrieben wird, sondern wie darüber geschrieben wird. Die Art und Weise, wie Medien berichten, kann entweder helfen und unterstützen, oder aber allein lassen und anlassgebend dafür sein, sich etwas anzutun. Sprache ist mächtig, Berichterstattung ist es auch.

Nicht tabuisieren

Vermieden werden sollten Schlagzeilen auf dem Cover, zu emotionale Sprache, Interviews mit willkürlich aus allen Ecken gezerrten Augenzeugen und Experten, ein Rätseln über mögliche Motivationen, Spekulationen – all das kann eine Nachahmung wahrscheinlicher machen. Je mehr Details beschrieben werden, desto größer wird eine mögliche Identifikation und desto schlechter ist die Vorbildwirkung des Textes. In der Suizidberichterstattung können Berichte über Hilfsangebote, Auswege aus der Krise, Gespräche mit Betroffenen, die Unterstützung gesucht und erhalten haben, eine ermutigende Botschaft sein. Berichte über Todesfälle durch Suizid sind möglich, ohne weitere Suizide auszulösen – wenn Medienrichtlinien beachtet werden. Für Menschen, die an Suizid denken, und auch für jene, die mit Menschen zu tun haben, die über Suizid reden, ist es wichtig, dass Suizidalität nicht tabuisiert und verschwiegen wird, sondern dass informiert wird.

Kein Randthema

Suizid ist kein Randthema. Weltweit tötet sich alle vierzig Sekunden ein Mensch selbst. Suizid ist die zweithäufigste Todesursache unter den 15- bis 29-Jährigen, Suizidversuche sind um vieles häufiger. Nicht darüber zu schreiben löst gar nichts. Unkundig, nur auf Sensationslust aus, darüber zu schreiben, verletzt Menschen und kann im schlimmsten Fall zur Nachahmung führen. Richtig darüber zu schreiben, kann Hoffnung geben und Menschen dazu bringen, sich zu öffnen.

Suizidberichterstattung kann eine Chance sein. Eine Chance, den Platz und die Aufmerksamkeit, die Sensibilisierung zu nutzen, um Positives zu bewirken. Um von Menschen zu erzählen, die Krisen überwunden haben. Um Fehler im System anzusprechen. Um Hilfe aufzuzeigen. Um Menschen Mut zu machen. Dafür sind solche Richtlinien wie jene des Kriseninterventionszentrums oder der WHO da. Es wird nie keine Suizide mehr geben – aber manchmal kann man einen Unterschied machen. Gute Berichterstattung kann das. Und dann kann sie Leben retten. (Saskia Jungnikl-Gossy, 10.4.2019)