Können Sie sich noch an den Sommer 2018 erinnern? Monatelanger Sonnenschein, der im April begann und im September auch noch nicht wirklich schwächer war, und nur wenig Regen. Selbst wohlstandsverwöhnte Mitteleuropäer, die Lebensmittel und Wasser jederzeit im Supermarkt kaufen können, stöhnten spätestens am Ende, als es endlich kühler wurde. Der Klimawandel war in ihren Köpfen angekommen. Von diesem Sommer erzählte die Meeresbiologin Antje Boetius am Sonntag, den 7.4., im Kleinen Haus des Berliner Ensembles.

Jürgen Holtz in der Rolle von Bert Brechts Galilei: ein alter, nackter Mann, der um die Anerkennung seiner Wissenschaft ringt.
Foto: Berliner Ensemble

Die Direktorin des zur Helmholtz-Gemeinschaft zählenden Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven war gekommen, um am Thementag "Theater trifft Wissenschaft" über Misstrauen und Verantwortung im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu sprechen. Zunächst einmal würde man sich ja als Durchschnittsbürger freuen, sagte sie. Sonne, Wonne, gute Laune – und man denke sich vermutlich: "Wozu braucht man eigentlich den blöden Winter?" Wenn es dann zu viel werde, sagte Boetius, dann brauche man gar nicht alarmistisch sein, sondern nur Fakten vertrauen. Landwirte kommen in höchste Not, müssen die Ernte vorziehen, große Teile vertrocknen: Und das sei erst der Anfang, meinte Boetius.

Das Eis und die Katastrophe

Die Frage ist, warum es so lange gedauert hat, bis man in Mitteleuropa den Klimawandel als Realität wahrgenommen hat. Boetius betonte, Wissenschafter und Wissenschafterinnen seien schon recht deutlich in ihren Botschaften, würden aber viel zu wenig gehört und ernst genommen werden. "Es ist schon erstaunlich, dass wir Menschen es schaffen, vor den Fernsehapparaten zu sitzen und Eis zu essen, während wir sterbende Kinder in Fernsehberichten sehen!", polemisierte sie. Und meinte in ihrem Aufruf an die Gesellschaft: Auch das sei Wissenschaft – zu erkennen, dass die Grenze der ertragbaren Klimaerwärmung, die wir hierzulande spätestens 2018 selbst erlebten, anderswo schon früher erreicht wurde.

Franz Raddatz, Dramaturg des Berliner Ensembles, ist einer der Kuratoren der Diskussionsreihe, die in Kooperation mit der Helmholtz-Gemeinschaft bereits zum dritten Mal in Berlin stattfand. Er sagte in seinem Statement, dass die Gegenwart vielleicht einmal als die Epoche in die Geschichte eingehe, in der die Menschen lebten, als würde sie "das alles" nichts angehen. Auf die Frage, wie die Kunst, genauer gesagt das Theater dabei helfen könnte, die drohende Klimakatastrophe, "die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts", darzustellen und glaubwürdig zu vermitteln, griff Raddatz nach drastischen Bildern: Sie sei über Menschenopfer auf die Bühne zu bringen.

Drastische Bilder

Das Theater ist bei der Darstellung von Szenarien aus der Zukunft auf Fantasie und drastische Bilder angewiesen. Aber wie wolle man sonst darstellen, was geschieht, fragte ein Gast aus dem Publikum im Foyer. Und erwähnte Dürreperioden, die Menschenleben fordern und künftig wohl auch vermehrt Europa betreffen können.

Eine Studie von 2018 zeigte auf, dass die Erwärmung um drei Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit das europäische Dürregebiet von 13 Prozent (im Zeitraum von 1971 bis 2000) auf 26 Prozent wachsen lassen wird.

Auch der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger war um klare Worte bemüht: Er berichtete von seiner Kollegin Naomi Oreskes von der Harvard University, die zwischen 1993 und 2003 publizierte wissenschaftliche Arbeiten analysierte und unter "global climate change" keinen einzigen Artikel fand, der daran zweifelte, dass es einen Klimawandel gebe und der Mensch daran zumindest einen Anteil habe. Dennoch gebe es zahlreiche Klimawandelskeptiker wie US-Präsident Donald Trump. Sie scharen Menschen um sich, die nur glauben können, was sie glauben wollen, weil sie falschen Experten, die sich gegen den Mainstream stellen, vertrauen.

Politischer Konsens gefordert

Rheinberger forderte politischen Konsens, wie er auch in der leichter zu regulierenden Gentechnik gelang. Man müsse hier und jetzt gesellschaftliche Regelungen treffen, um den schon geborenen oder noch ungeborenen Kindern und Enkelkindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen, lautete der Konsens unter den Diskutanten. Auch das sei Wissenschaft: Verantwortung zu zeigen und sie auch einzufordern.

Wie kann man Klimawandelskeptiker überzeugen? Kaum ein Theaterstück passt in dieser vertrackten, von Verschwörungstheorien begleiteten Situation besser als Bertolt Brechts Leben des Galilei: die Geschichte des Mannes, der die Erde und den Menschen aus dem Zentrum des Weltbilds rückte – wofür er vor die Inquisition musste. Heute würde niemand mehr daran zweifeln, dass er recht hatte. Heute würde niemand mehr anzweifeln, dass die Erde als Planet so ist wie der Mond, sein Trabant – zwei Himmelskörper, die vom Sonnenlicht angestrahlt werden. Eine Erkenntnis, von Galilei kommentiert mit der neuzeitlichen Formel: "Himmel abgeschafft!"

Ein Exzess

Am Abend war im großen Haus eine sechsstündige Fassung von Frank Castorf nach Brechts Galilei und nach Antonin Artaud zu sehen – mit dem 86-jährigen deutschen Schauspieler Jürgen Holtz in der Titelrolle: "Das Theater und die Pest", ein Exzess aus Leidenschaft und nachzuempfindender Verzweiflung. Wer ihn gesehen hat, weiß, was gemeint ist, wenn im Programmheft ein Zitat geschrieben steht: "Das theatralische Spiel ist wie die Pest eine Raserei."

Othmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, sagte zum Bemühen, wissenschaftliche Inhalte über Kunst und Kultur zu transportieren: "Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst." Die vom Austrian Institute of Technology (AIT) und Ö1 organisierten Alpbacher Technologiegespräche könnten 2020 einen Klimawandelschwerpunkt bringen – mit dem langjährigen Partner, eben der Helmholtz-Gemeinschaft.

Es ist zwar festgeschrieben, dass Kunst und Wissenschaft frei sind, man muss aber gewappnet sein, wenn politische Führer Fakten ignorieren, wie es einst bei Galilei die Fürsten taten, obwohl sie die Chance hatten, durch das Fernrohr der Forscher zu schauen. (Peter Illetschko, 10.4.2019)