"Das Jahr des Linux-Desktops": Was vor einigen Jahren noch ein von Open-Source-Verfechtern selbstbewusst vorgetragenes Ziel war, ist längst zu einem mäßig originellen Witz über den Status quo in der Computerwelt geworden. Denn während Linux mittlerweile in praktisch allen Bereichen zur dominanten Plattform aufgestiegen ist, spielt man auf Laptops und Workstations weiterhin nur eine Nebenrolle.

Der Glaube fehlt

Ein Umstand, der nun selbst langjährige Linux-Experten wie Steven J. Vaughan-Nichols von ZDNet zweifeln lässt. Der Linux-Desktop sei in Schwierigkeiten, resümiert dieser in einem aktuellen Kommentar – und kann dafür durchaus gute Argumente liefern. Dazu gehört etwa, dass selbst Linux-Gründer Linus Torvalds nicht mehr so recht daran glaubt, dass sich der klassische Linux-Desktop jemals durchsetzen wird. Der Weg zu Linux auf dem Desktop führe über Android und Chromebooks, zeigte sich Torvalds unlängst in einem Interview überzeugt. Diese setzen zwar auch auf eine Linux-Basis, haben mit klassischen Desktop-Umgebungen wie Gnome oder KDE aber herzlich wenig zu tun.

Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Probleme, die Linux auf dem Desktop im Weg stehen, sind dabei seit Jahren wohlbekannt. Ein entscheidendes Hindernis ist ausgerechnet jene Vielfalt, die Linux für manche so attraktiv macht. Das Fehlen eines einheitlichen Linux-Desktops führt dazu, dass es für Drittentwickler eine Pein ist, Linux als Plattform zu unterstützen – vor allem wenn ihre Entwicklungen nicht Open Source sind. Denn neben all den unterschiedlichen Desktop-Oberflächen und Toolkits gibt es unter der Haube auch zahlreiche verschiedene Arten, Software zu installieren und zu verwalten. Das macht es praktisch unmöglich, ein einheitliches Linux-Paket zur Verfügung zu stellen. Zwar gibt es mittlerweile gleich mehrere Projekte, die versuchen, dieses Defizite zu bereinigen, doch die Mehrgleisigkeit wird auch hier wieder zum Problem. Während viele Distributionen auf Flatpak setzen, beschreitet Ubuntu-Hersteller Canonical mit Snap lieber eigene Wege.

Kein Fokus

Dazu kommt, dass die Desktop-Entwicklung bei großen Anbietern wie Red Hat oder Canonical derzeit bestenfalls nebenbei mitläuft, aber keinen strategischen Fokus besitzt. Insofern sind auch die dafür zur Verfügung gestellten Ressourcen vergleichsweise gering. Das heißt, dass ein großer Teil der Entwicklung von unbezahlten Entwicklern übernommen wird, was eine kontinuierliche Weiterentwicklung schwierig macht.

Eine Alternative: Plasma 5.15 von KDE.
Grafik: KDE

Open-Source-Realität

Wie prekär die Verhältnisse dabei zum Teil sind, verdeutlicht ein aktueller Blogpost von Clement Lefebvre, Hauptentwickler von Linux Mint und damit einer der erfolgreichsten Desktop-Distributionen. In diesem spricht er offen über die Frustrationen und Motivationsprobleme, die mit einem solchen Unterfangen einhergehen. Oft sei es nicht einfach, die eigenen Ziele zu erreichen, aktuell kämpfe man etwa mit einer Überarbeitung des Fenstermanagers Muffin, die unglaublich viel Zeit fresse, da immer neue Probleme auftauchen. So etwas führe wiederum zu negativen Reaktionen der Nutzer, was die Entwickler belaste, die dann früher oder später eine längere Pause brauchen – oder das Projekt gleich ganz verlassen.

Linux Mint in der Version mit Mate-Desktop.
Grafik: Proschofsky / STANDARD

Einheit?

Für Vaughan-Nichols ist der Schluss aus all dem klar: Es ist an der Zeit, dass die unterschiedlichen Desktopprojekte endlich an einem gemeinsamen Strang ziehen. Sonst bleibe Linux am Desktop für immer ein Nischenphänomen – und zwar in einer immer kleiner werdenden Nische. (red, 14.4.2019)