Alle Wege führen über Wels, die meisten auch wieder hinaus.

Foto: APA

"Linz is a Stadtl und Wean is a Stodt / In Linz fressen s' Bratl und in Wean an Salod." Ganz abgesehen davon, dass die jungen urbanen Leute von heute ganz versessen auf Essen sind, das vegetarisch bis tief hinein in ein Salatherz ist: Im oberösterreichischen Gstanzl steckt viel Wahrheit. Allerdings lauert hinter dem Reimzwang auch eine wesentliche Grundverfasstheit des Landes, die Provinzialität. Die Großstadt ist böse, die Kleinstadt ist gut.

Es gibt 99 Gründe, die Großstadt zu hassen. Der hundertste ist der Stern, dem alle Menschen folgen, die noch halbwegs ihre sieben Zwetschken beisammen haben: Je größer die Stadt, desto weniger Nachbarn. Oder wie John Cale und Lou Reed es in ihrer Warhol-Hommage "Songs for Drella" auf den Punkt bringen: "When you're growing up in a small town / You know you'll grow down in a small town / There's only one good use for a small town / You hate it – and you'll know you have to leave."

Ein Leben im Reihenhaus

In der Kleinstadt sind die Fenster der Nachbarhäuser schwarze Höhlen, aus denen heraus einen der Teufel betrachtet. Der Luzifer mit seiner Teififrau will einen ins Unglück stürzen. Niemand darf hier Spaß haben. Du lebst in einem Reihenhaus; dein Leben ist vorbei! Jeder am Sonntag zu Mittag angeworfene Rasenmäher ein Zivilprozess. Gäste nach 22 Uhr im Garten? Ruhestörung, Klagenhagel. Nach nebenan hinüberwachsende Thujen? Das bedeutet Krieg. Lustig, dass ausgerechnet die Thuje auch Lebensbaum genannt wird.

Es wäre übrigens gut, wenn alle Mistkübel hier in der Siedlung die gleiche Farbe hätten. Wir brauchen keine Außenseiter! Davon wohnen eh schon genug drüben im Hochhaus am Autobahnzubringer. Das halbe Leben bedeutet Ordnung, die zweite Hälfte starren wir aus den Fenstern ins Grauen drüben hinter der Hecke.

Ein Leben ohne Sehenswürdigkeiten

In die anonyme, laute, schiache, dreckige und kriminelle Großstadt ziehen immer nur die Gfraster und mit sittlicher Ordnung nicht unbedingt mühselig Beladene. Dort lassen sie dann mit Abkömmlingen der United Colors of Benetton das multikulturelle Experiment scheitern. Die Kleinstadt aber bleibt dennoch die schlimmste menschliche Siedlungsform, die wir fähig waren uns auszudenken. Sie schnürt einem schlichtweg die Luft ab – selbst wenn diese meist zart bessere Werte als im Moloch Großstadt aufweist. Wobei die Feinstaubbelastung auf dem Land ... Mur/Mürz-Furche, Inntal, die Gegend zwischen Linz und Wels ...

Elliott Marx

Konkretes Beispiel: Wels. Was kann eine Kleinstadt? Kann sie überhaupt etwas? In Wels soll sich jetzt also entscheiden, wo wir gerne leben wollen. Wels hat gerade, ziemlich unerwartet für eine Stadt ohne Sehenswürdigkeiten, einen eigenen "Stadtführer Wels" bekommen. Im Gegensatz zum vielbesungenen New York schläft Wels nämlich nicht nie, sondern regelmäßig – und das gesund vor Mitternacht. Im Fernsehen läuft eh schon wieder nichts Gescheites.

Mit 61.000 Einwohnern ist Wels, im Gegensatz zu handelsüblichen Kleinstädten wie den nahen Vergleichsorten Traun oder Marchtrenk, vielleicht etwas groß geraten. Wels bietet aber gerade noch die für eine gute Lebensqualität zumindest kleine Chance, dass nicht jeder jeden kennt – woran man sich etwa in Wien sehr gut und schnell gewöhnt.

Ein Leben am Autobahnzubringer

Wels bildet neben den urbanen Dörfern Steyr (das Venedig an der Enns), Traun (das Nichts), Linz (die Voest, immerhin) sowie Marchtrenk (Ikea!) die wirtschaftliche Kernzone Oberösterreichs. Heutzutage obligat, ist diese prototypische und deshalb untersuchungswerte Kleinstadt von ziemlich viel Autobahn umgeben. Man kommt daher zügig zurück nach Salzburg, München oder Wien. Der eins zu eins mit jenem in Schärding, Ried oder Vöcklabruck austauschbare Hauptplatz mit seinen pastellfarbenen Bürgerhäusern ist gewöhnlich leer und leicht begehbar (Hochsaison im Eissalon, Raika, Pizza, H & M). Kein Wunder, vor den Einkaufszentren draußen am Autobahnzubringer sind die Parkplätze gratis zu haben.

Ein Leben mit Baumärkten

Es gibt diverse Kulturinitiativen nicht wegen, sondern trotz der Stadtregierung. Thomas Bernhard kam ab und zu zum Kaffeetrinken, wenn er gerade wieder böse auf die Nazis in Gmunden war. Es gibt jährlich diverse Messen. Wels ist eine Messestadt. Charlie Watts von den Rolling Stones ist schon öfters gekommen, um hier Pferde zu kaufen. Kaiser Maximilian ist in Wels gestorben. In der Römerzeit nannte sich Wels Ovilava, nicht zu verwechseln mit dem OBI-Baumarkt in Wels-Nord gegenüber von Feinkost Hofer.

Es gibt viele Städte, über die es eigentlich nichts zu schreiben gibt. Viele Autoren tun es trotzdem. Meist handeln ihre Romane von einer traumatischen Jugend oder schlichtweg unendlicher Langeweile oder davon, dass man davongekommen ist. Gerade noch. Eine alte indische Weisheit besagt: Die Götter leben in der Stadt, die Teufel auf dem Land. Schönes Aufsatzthema. Dieser Text wurde in Wien geschrieben. (Christian Schachinger, 10.4.2019)