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Die Callao-Höhle im Norden der Insel Luzon, wo die Fossilien der neuen Menschenart gefunden wurden.
Foto: Reuters

Sah die Stammesgeschichte des Menschen Ende des 20. Jahrhunderts noch vergleichsweise übersichtlich aus, hat sie in den letzten Jahren einiges an Komplexität gewonnen. Zum Neandertaler, unserem nächsten Verwandten, gesellte sich 2010 der nach wie vor rätselhafte Denisova-Mensch, der vor gut 50.000 Jahren noch in Südsibirien lebte. Mittlerweile wissen wir auch, dass sich der moderne Mensch mit beiden anderen Menschenformen erfolgreich paarte: Unterschiedlich starke genetische Spuren sowohl der Denisovaner wie auch der Neandertaler finden sich in der DNA heute lebender Menschen jenseits von Afrika.

Stark verändert hat sich aber auch unser Wissen, wann die Vertreter der Gattung Homo Afrika verlassen haben. Zum einen dürfte sich der Auszug von Homo sapiens in mehreren Wellen vollzogen haben und früher als gedacht, nämlich erstmalig schon vor rund 150.000 Jahren. Zum anderen legen neue Funde in Afrika und Europa nahe, dass zuvor immer wieder Menschenarten aus Afrika ausgewandert sind – und nicht nur Homo erectus vor mehr als einer Million Jahren.

Rätselhafte "Hobbits"

Eine der erstaunlichsten Entdeckungen war in dem Zusammenhang jene des Homo floresiensis im Jahr 2004. Diese Menschenart lebte noch vor zumindest 60.000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores, wurde kaum einen Meter groß (daher auch die Bezeichnung "Hobbit") und vereinigte einige moderne, aber auch sehr primitive Merkmale. Wann und wie er auf die Insel gelangte, ist nach wie vor unklar.

Im Jahr 2007, wenige Jahre nach dem spektakulären Hobbit-Fund, stießen Forscher in der Callao-Höhle im Norden der Philippinen auf einen Fußknochen, der auf ein Alter von 67.000 Jahren geschätzt wurde. Die Forscher um Florent Détroit (Musée de l'Homme in Paris) vermuteten schon damals, dass dieser Knochen von einer bisher unbekannten Menschenart stammen könnte.

Es dauerte einige Zeit, ehe Détroits Team in mühevoller Arbeit weitere Hand- und Fußknochen, den Teil eines Oberschenkels sowie Zähne in den gleichen Sedimentschichten der Höhle auf der Hauptinsel bergen konnte.

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Grabungsarbeiten in der Callao-Höhle ganz im Norden der Philippinen und zugleich rund 2.500 Kilometer nördlich der indonesischen Insel Flores.
Foto: Reuters

Damit wurde es möglich, Homo luzoniensis definitiv als neue Art "anzumelden". Doch ähnlich wie beim Homo floresiensis, der knapp 2500 Kilometer südlich lebte, bleiben einige der spannendsten Fragen offen.

Kleine Zähne, geringe Größe

Doch beginnen wir damit, was die Forscher herausfanden: Wie die im Fachblatt "Nature" publizierten Analysen zeigen, weisen die Backenzähne Eigenschaften sowohl von Homo sapiens als auch von Homo erectus auf.

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Die eher modernen Backenzähne von Homo luzoniensis.
Foto: Reuters

Allerdings sind die Zähne sehr klein, was auf eine insgesamt eher geringe Körpergröße des neuen Menschen hindeutet: Détroit und seine Kollegen schätzen den Homo luzoniensis auf eine Körperhöhe von 1,20 Meter.

Sind die Zähne also vergleichsweise modern, so weisen die gefundenen Hand- und Fußknochen überraschende Ähnlichkeiten mit jenen von Australopithecinen auf, die vor rund drei Millionen Jahren – noch vor den erster Vertretern der Gattung Homo – in Afrika lebten.

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Die Hand- und Beinknochen deuten darauf hin, dass die Menschenart auch auf Bäumen recht flott unterwegs war.
Foto: Reuters

Die Forscher vermuten daher, dass die neue Menschenart zwar aufrecht ging, aber auch auf Bäumen behände unterwegs war. Aufgrund der nur fragmentarisch erhaltenen Skelettteile sei aber offen, wie sich Homo luzoniensis genau bewegte.

Viele unbeantwortete Fragen

Das ist aber nur eine von vielen Fragen rund um den spektakulären Fund, die noch unbeantwortet sind. Völlig unklar ist, wann die Menschenart auf die philippinische Insel gelangte: Funde wie Steinwerkzeuge und ein geschlachtetes Nashorn lassen vermuten, dass Vorfahren des Homo luzoniensis schon vor rund 700.000 Jahren auf der Insel lebten. Mysteriös ist zudem, wie sie auf die Insel gelangten, die – ähnlich wie Flores – seit Ewigkeiten nur über das Meer zu erreichen ist.

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Wie aber kamen sie dorthin? Die Insel Luzon war wie die Insel Flores auch zu dieser Zeit nur über den Seeweg zu erreichen. Faktum ist, dass es nun eine zweite Homo-Spezies gibt, die vor etwa 70.000 Jahren auf einer abgelegenen asiatischen Insel lebte – also zu dem Zeitpunkt, als Homo sapiens-Populationen gerade begannen, sich von Afrika aus in Asien und Europa auszubreiten.

Neuer Denisovaner-Zweig

Der neue Fund macht jedenfalls offensichtlich, dass Südostasien für die Erforschung der Menschheitsgeschichte sehr viel mehr zu bieten hat, als bisher gedacht. Das legt auch eine weitere Studie nahe, die am Donnerstag in der Fachzeitschrift "Cell" veröffentlicht wurde: Ein Forscherteam um Murray Cox (Massey University in Neuseeland) hat die Genome heute lebender Bewohner Indonesiens und Papua-Neuguineas analysiert.

Die Genetiker stießen bei den Bewohnern Papua-Neuguinea auf DNA-Fragmente, die vermutlich zu einer zweiten Denisovaner-Linie gehören, die sich von der bereits bekannten vor Hundertausenden von Jahren getrennt haben muss. Der Unterschied ist so groß, dass die Forscher von einer weiteren eigenen Vormenschenart ausgehen.

Menschen aus Neuguinea und den nahegelegenen Inseln, wie diese Kinder von der Insel Kei, tragen Belege für eine Abstammung von mehr als einer Gruppe von Denisovanern in ihrem Erbgut.
Foto: Isabella Apriyana

So ist auch dieser neue Denisova-Zweig, für den es freilich noch keinerlei fossile Evidenzen gibt, ein weiterer Hinweis darauf, dass wir für die Evolution des Menschen weniger die traditionelle Metapher des Stammes als die des Strauches bemühen sollten. Die Menschheitsgeschichte ist mit den neuen Erkenntnissen jedenfalls nicht nur um einiges komplizierter, sondern auch spannender geworden. (Klaus Taschwer, 11.4.2019)