Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gab am Mittwoch in Brüssel den Spielverderber. Er hatte seine Gründe.

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Der Geduldsfaden hält noch, aber er wird dünner und dünner. "Wir müssen die Neugründung Europas durchziehen", twitterte Macron in Brüssel. "Ich glaube fest daran und will nicht, dass uns der Brexit diesbezüglich blockiert."

Der französische Präsident weiß, dass er den protestierenden Gelbwesten bald neue Geldgeschenke machen muss – was das Haushaltdefizit seines Landes hochtreiben wird. Dies schwächt die Position Frankreichs in der EU und gegenüber Deutschland. Die Schuld trägt laut Macron das "perfide Albion", wie England in Paris gerne genannt wird. Die europapolitischen Differenzen zwischen den beiden Ländern gehen tiefer als der Ärmelkanal: Während London den Ausstieg aus der EU anstrebt, will Macron "mehr Europa" und spricht von einer "europäischen Souveränität".

"Platz nicht in der EU"

Entsprechend gering war in Paris 2016 die Trauer über die Brexit-Abstimmung. "Sie haben endlich verstanden, dass ihr Platz nicht in der EU ist", lobte der Publizist Jean Quatremer die Briten sarkastisch am Tag nach der Abstimmung. Schon zwei Jahre zuvor hatte der Ex-Premier Michel Rocard den Briten empfohlen: "Bitte verlassen Sie die EU, bevor Sie alles kaputtgemacht haben."

Die kompromisslose Haltung der Franzosen ist auch dadurch bedingt, dass Frankreich keine Exportnation wie Deutschland ist und damit rechnet, wirtschaftlich kaum unter dem Brexit zu leiden. Und selbst wenn: In Frankreich herrscht der Primat der Politik, und dazu gehört auch der Glaube, dass Paris und Berlin die Geschicke der EU besser leiten könnten als zusammen mit London. Das hindert Macron aber nicht, verteidigungspolitisch an der Kooperation mit den Briten festzuhalten. Beide Länder verfügen über Atomwaffen und haben von der Libyen- bis zur Syrien-Krise gezeigt, dass sie gemeinsame Interessen auch gemeinsam umsetzen können.

Zugleich aber hält sich in Paris die Überzeugung, dass die Briten bis zu einem gewissen Grad ein "trojanisches Pferd" der Amerikaner seien. Dahinter steckt ein tiefes Misstrauen gegenüber dem einstigen Erzfeind des Hundertjährigen Kriegs (1337–1453).

Eigentümliches Verhältnis

Briten und Franzosen verbindet eine eigentümliche Hassliebe: Man ist sich in vielem sehr ähnlich, teilt ein Adelsgeschlecht (die Plantagenêts) und viel Nostalgie in Bezug auf den Verlust des eigenen Imperiums. Deshalb beneidet man einander insgeheim für das Commonwealth und die Frankophonie, für Churchill und Napoleon und hält sich gegenseitig für blasiert und egoistisch. Die "Entente cordiale" von 1904 war eher ein Zweckbündnis als herzlich, und noch in den 1960er-Jahren sträubte sich Charles de Gaulle jahrelang gegen den Beitritt Großbritanniens. Jacques Chirac giftete noch vier Jahrzehnte später: "Das Einzige, was die Briten der europäischen Landwirtschaft gebracht haben, ist der Rinderwahnsinn."

Hunderttausende Briten und Franzosen leben heute zwar im jeweiligen Nachbarland, die beiden Länder sind seit 1994 sogar durch einen Tunnel unter dem Ärmelkanal verbunden. In einer Umfrage von 2016 wünschten trotzdem 44 Prozent der Franzosen – weit mehr als andere Europäer – den Brexit. Heute schütteln noch mehr Franzosen den Kopf über die "rosbifs", wie sie die Briten mit relativer Zärtlichkeit nennen. Man darf fast annehmen, dass Frankreich heute mehrheitlich für den Brexit stimmen würde. (Stefan Brändle aus Paris, 12.4.2019)