Robert Koopman ist Chefökonom der WTO und leitet deren Forschungs- und Statistikabteilung. Auf Einladung des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) sprach er in Wien über die Zukunft des Welthandels.

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Wien – Die Tachonadel fällt beim Welthandel in den roten Bereich. Das Wachstum der globalen Exporte hat sich stärker verlangsamt als erwartet: Die Welthandelsorganisation (WTO) geht in ihrer jüngsten Prognose nur noch von 2,6 Prozent Zuwachs aus – vorigen April lamentierte man über geschätzte vier Prozent Wachstum 2019.

Dahinter steht die allgemeine Konjunkturflaute, aber auch der Handelskonflikt zwischen den USA und China macht sich immer stärker bemerkbar, erklärt Robert Koopman, Chefökonom der WTO, im Gespräch mit dem STANDARD. "Seit Ende des Vorjahrs schlägt dieser Effekt stärker zu."

Die Sorge besteht, dass die Zölle, mit denen sich die beiden größten Volkswirtschaften gegenseitig überzogen haben, nicht nur die Kosten von Handelswaren erhöhen, sondern auch dem Geschäftsklima schaden. "Wenn Unternehmen verunsichert sind oder finden, dass diese Handelspolitik das Wirtschaftswachstum bremst, verstärkt das den negativen Effekt."

Dieser Teufelskreis hat in China bereits auf die Investitionslaune und den Konsum gedrückt. Das wiederum habe zu dem schwachen Wirtschaftswachstum in Deutschland beigetragen, da die Bundesrepublik viel nach China verkauft.

Autozölle wären schlimmer

Der Elefant im Raum sind die von US-Präsident Donald Trump erwogenen Zölle auf Autos. "Wir haben bereits Einzelberichte, dass Investitionen auf Eis liegen", sagt Koopman. Die Auswirkungen wären viel größer als die bisheriger Zollschranken, die sich auf die USA und China konzentrierten. Der Handel zwischen den Ländern entspricht drei Prozent der Weltwirtschaft. Der globale Autohandel ist mehr als doppelt so groß. Führte Washington Autozölle ein, schlügen viele Länder zurück. "Grob geschätzt wären die Folgen zwei- bis dreimal so groß wie die des aktuellen Handelsstreits."

Der aktuell bilateral ausgetragene Handelsstreit wirft die Frage auf, ob die WTO noch für ihre 164 Mitglieder Konflikte lösen kann. Seit dem Beitritt Chinas im Jahr 2001 hat sich die Hoffnung des Westens zerschlagen, dass sich die Volksrepublik deutlich einer liberalen Marktwirtschaft annähert. Stattdessen setzt Peking auf Kontrolle und verzerrt so den Wettbewerb, wie der Vorwurf der USA, aber auch Europas oder Japans lautet.

War also der Strategiewechsel Washingtons, China mit Strafzöllen die Stirn zu bieten, statt sich auf WTO-Verfahren zu beschränken richtig?

Das will der Ökonom nicht bewerten. "Es liegt wohl im Auge des Betrachters." Aber: "China war in vielerlei Hinsicht immer ein guter Bürger der WTO." Wenn es Urteile gegen Peking gab, hat sich die Regierung daran gehalten.

Ob US-Strafzölle Peking dazu bringen, sein Wirtschaftsmodell zu überdenken, bleibt offen. Doch die Herausforderungen für die weltgrößte Nation zeigen sich längst im Landesinneren: Chinas Produktivitätswachstum bremse sich ein, die Wirtschaft hänge zunehmend von weniger effizienten staatsnahen Konzernen ab. Somit habe die Volksrepublik genug interne Anreize, sich zu wandeln.

Zukunft des Welthandles

Doch auch in anderen Teilen der Welt geht man abseits der WTO Handelsfragen an: Die EU hat etwa mit Kanada und Japan eigene Handelspakte geschlossen. Die Transpazifische Partnerschaft ging auch ohne die USA über die Bühne.

Die Sorge, dass im Trubel des Handelsstreits und der Regionalisierung von Handelsverträgen die WTO obsolet werde, teilt Koopman aber nicht: Wenn einige Staaten untereinander Handelsschranken abbauten, sei das positiv. "Oftmals wird damit auf Probleme reagiert, die erst später auf multinationaler Ebene angegangen werden können."

Koopman hat schon einige internationale Überwerfungen erlebt. Als ausgebildeter Experte für die Sowjetunion musste er sich nach deren Zusammenbruch ein neues Feld suchen. Ob es nun um den Welthandel ähnlich düster bestellt ist? "Der wird uns erhalten bleiben." Einen neuen Job brauche er nicht. (Leopold Stefan, 12.4.2019)