"Drill gibt es in unseren Modellen sicher nicht", sagt Dittrich.

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Moser: "Jeder junge Mensch soll genug Freiraum bekommen."

Wien – Drill? "Drill gibt es in unseren Modellen sicher nicht", sagt Kurt Dittrich und bezieht sich auf die Schlagzeilen, in die wegen Misshandlungsvorwürfen die Ballett-Akademie der Wiener Staatsopfer geriet. Dittrich war selbst Spitzenschwimmer, wovon viele Rekorde und die Olympiateilnahme 1980 zeugen, später wurde er Lehrer, aktuell koordiniert er neunzig Talente, die am ORG Karajangasse (1200 Wien) den Leistungssportzweig besuchen. "Bei den meisten weiß ich, wie es ihnen geht und ob es vielleicht irgendwo ein Problem gibt."

Die Karajangasse ist im Verband Österreichischer Nachwuchsleistungssportmodelle (VÖN) eine von 15 Einrichtungen, zu denen auch die Skigymnasien Stams und Saalfelden, die Ski-Akademie Schladming und das Leistungszentrum Südstadt zählen. Diese speziellen Schulen gehen auf die Trainingsbedürfnisse der jungen Sportlerinnen und Sportler ein, dafür dauert die Oberstufe im Regelfall ein Jahr länger als üblich. Derzeit werden unter dem VÖN-Dach mehr als 2500 Talente aus 58 Sportarten betreut, also gut zwei Drittel aller, die in Nachwuchskadern erfasst sind.

Dittrich will nicht in Abrede stellen, "dass Disziplin zum Leistungssport dazugehört. Das betrifft etwa die Ernährung, die Einstellung zum Training, den Lebenswandel." In Einzelsportarten würde er sogar auf "eiserne Disziplin" erhöhen, ohne die das Erreichen der Weltspitze jedenfalls ausgeschlossen sei. "Allein Talent reicht, wenn überhaupt, in Österreich zur Spitze." Die Weltspitze, sagt Dittrich, sei aber nicht das oberste Ziel. "Wir wollen drauf schauen, dass einer neben der sportlichen auch eine schulische Ausbildung kriegt. Denn wie viele schaffen es wirklich, durch den Sport auszusorgen?"

Wolfgang Moser, der seit knapp zwölf Jahren das Leistungszentrum Südstadt leitet, ist wie Dittrich ehemaliger Spitzensportler. Er war Vorschoter von Roman wie von Andreas Hagara, mit dem er 1999 zu Tornado-WM-Silber segelte. Im Rahmen des "Neuen Wiener Schulmodells" erwarb Moser die Berechtigung, in der Lehrerfort- und -ausbildung zu arbeiten. Mit dem Wort Drill fängt auch Moser nichts an. "Alle, die mit 14 zu uns kommen, haben die gleiche Vorstellung. Sie wollen Nummer 1 werden."

Doch das relativiere sich. Dann stünde "die Freude am Sport im Mittelpunkt". Natürlich sollen junge Sportler und auch deren Trainer ehrgeizig sein, sagt Moser. "Aber der Ehrgeiz des Sportlers dient nicht dem Ehrgeiz des Trainers. Sondern der Ehrgeiz des Trainers unterstützt den Ehrgeiz des Sportlers. Jeder junge Mensch soll genug Freiraum bekommen, um seine Persönlichkeit zu entwickeln." In jedem Nachwuchsleistungssportmodell ist sportpsychologische Betreuung angesagt, zu diesem Behufe wurde im Vorjahr die ehemalige Spitzenschwimmerin Judith Draxler-Hutter in der Südstadt angestellt.

Nachdem Missbrauchsfälle an der Skihauptschule Neustift und in Stams öffentlich geworden waren, sah sich auch die Südstadt mit einem Vorwurf konfrontiert. Nach einem Presse-Artikel war es Moser, der Anzeige gegen Unbekannt erstattete. Monate später erfuhr er, dass die Ermittlungen eingestellt wurden, weil nicht nur kein Täter, sondern auch kein Opfer eruiert werden konnte.

Moser will Spitzensport nicht unbedingt mit Ballett verglichen wissen. Im Sport, sagt er, können Große und Kleine, Starke und Dünne ihre Rolle finden und reüssieren. "Im Tennis kannst du den ersten Satz 0:6 verlieren, aber das Match gewinnen. Eine Prima Ballerina muss in jedem Akt voll auf der Höhe sein." Im Ö3-Wecker wurde der Südstadt-Leiter auf die Synchronschwimmerinnen angesprochen, die sich vielleicht mit Tänzerinnen vergleichen lassen, weil sie eine ähnliche Leichtigkeit an den Tag und Aufmerksamkeit auf ihre Ernährung legen müssen. "Wir wissen das", sagt Moser, "und wir begleiten das." (Fritz Neumann, 12.4.2019)