Kajaken auf dem Gletschersee.

Foto: Franziska Zoidl

Eine landestypische Verkehrsbehinderung in Form von tausenden Schafen.

Foto: Franziska Zoidl

Eine ungewöhnliche Rettungsaktion mittels Boot und Toyota-Pick-up.

Foto: Franziska Zoidl

Wackelige Angelegenheiten.

Foto: Franziska Zoidl

Unvergessliche Ausblicke.

Foto: Franziska Zoidl

Ein Pick-up.

Foto: Franziska Zoidl

Ein Käfer.

Foto: Franziska Zoidl

Mit einem lauten Krachen ging Anne zu Boden. Steif wie ein Brett knallte sie erst gegen die Wand und dann, als diese nicht nachgab, auf den Holzboden. Innerhalb weniger Sekunden färbte er sich blutrot. Die sonst so energiegeladene Kanadierin lag mit dem Gesicht nach unten und zeigte keinerlei Regung. Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Tatsächlich waren aber erst ein paar Sekunden vergangen, seit Anne mit uns am Tisch gesessen war und den nächsten Tag geplant hatte.

Das rankt sicher in den Top-drei-Erlebnissen, die man nicht haben will – schon gar nicht, wenn man am anderen Ende der Welt und fernab von Zivilisation und Handyempfang urlaubt. Wir waren im chilenischen Teil Patagoniens und wanderten in neun Tagen 120 Kilometer im Nationalpark Torres del Paine im Süden des Landes. Wir, das war eine Gruppe bestehend aus meinem texanischen Mann Bryan und mir, drei Kanadierinnen und einer US-Amerikanerin, allesamt begeisterte Wanderinnen. Und Alvaro, unserem Guide, der auf jede noch so blöde Frage zu seinem wunderbaren Land eine Antwort hatte.

Notfallmediziner

Nun waren wir aber alle starr vor Schreck. Dann sprang ein junges Paar am Nebentisch auf. Die beiden stellten sich als Notfallmediziner bzw. Krankenschwester aus Denver, Colorado, vor, bevor sie sich neben Anne auf den Boden knieten und sie auf die Seite drehten. Anne wachte auf, beteuerte trotz blutender Nase und Cut überm Auge, dass sie "fine" sei und wäre wohl aufgestanden, hätten Ben und Sophie – die Namen der Retter erfuhren wir aber erst später, es musste alles schnell gehen – sie nicht davon abgehalten.

Während die beiden Anne aufhalfen, gingen wir in Gedanken unsere Möglichkeiten durch: Wir waren mehrere Autostunden vom nächsten Krankenhaus entfernt, hatten zwar ein klobiges Satellitentelefon, aber ein Rettungshubschrauber würde bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h nicht landen können. Und Straßen, um rauszukommen? Hatten wir seit Tagen nicht gesehen. Nur Trampelpfade. Statt Autos nur Pferde, die mit ihren Gauchos manchmal beim Wandern sogar in unwegsamstem Gelände in einem Höllentempo an uns vorbeizogen.

Annes Nase sah mittlerweile aus wie nach einem Boxkampf, rund um ihr Auge machte sich ein Veilchen bemerkbar. Ben und Sophie packten nicht nur den Erste-Hilfe-Koffer des Refugios, sondern auch ihren eigenen aus, den sie für genau so einen Moment mitgeschleppt hatten. Während die anderen Gäste der Schutzhütte am Nebentisch zu Abend aßen, nähte Ben Annes Wunde. Der Koch unterbrach die Essensausgabe nur, um ihr ein gefrorenes Hendlfilet zu bringen, mit dem sie sich die Wange kühlen sollte. Vegan kochen konnte er nachweislich zwar, aber das mit der fleischlosen Ersten Hilfe klappte noch nicht ganz.

Die Rettung läuft an

Schnell war klar, dass die Reise für Anne zu Ende war: Sie musste in ein Krankenhaus, um ein MRT zu machen. Aber wie? Guide Alvaro zückte sein Satellitentelefon und begann, die Rettungsaktion zu organisieren. Irgendwo am anderen Ufer des Lago Dickson, an dem wir nächtigten, war vor einigen Tagen ein Pick-up (ein Toyota Hilux, wie mir Kollege Stockinger viel später mit Kennerblick aufs Foto verraten würde) liegen geblieben. Den würde morgen jemand reparieren, der Anne (und ihre beiden kanadischen Begleiterinnen) mit in die nächstgrößere Stadt, Puerto Natales, nehmen könnte.

Während der verbleibende Rest der Gruppe am nächsten Morgen also die Rucksäcke schulterte und in gedrückter Stimmung weiter in Richtung Los Perros wanderte, lief die Rescue-Mission an: Ein Boot brachte Anne auf die andere Seite des Sees. Dort stand, gut hinter Bäumen versteckt, tatsächlich der versprochene Pick-up, den die zwei angereisten Arbeiter längst zum Laufen gebracht hatten – auch wenn das angesichts des katastrophalen Zustandes, in dem sich der Pritschenwagen befand, für die drei Kanadierinnen kaum zu glauben war: Er hatte Sprünge in der Windschutzscheibe und so ziemlich jedem weiteren Fenster, außerdem war er mit Dellen und Kratzern überzogen – und mit einer dicken Gatschschicht verziert.

Keine Gurte

Letztere stammte, wie sich später herausstellen sollte, von den zahlreichen Flüssen, die zwischen der Gruppe und dem Krankenhaus lagen. Dass es keine Straße und teilweise nicht einmal erkennbare Wege gab, war da noch das geringste Problem. Denn Sicherheitsgurte gab es auch keine. Anne war das egal. Sie wollte vom Fahrer lieber wissen, ob er in der Gegend schon einmal einen waschechten Puma gesehen hatte. Er sprach ein sehr chilenisch anmutendes Spanisch, sie nur kanadisches Englisch. Was er ihr während der Fahrt angeregt erzählte und ob es dabei tatsächlich um Wildkatzen ging, werden wir also nie erfahren.

Warum ich das alles so genau weiß? Weil Anne, Barb und Nancy drei Tage später überraschend wieder zu unserer fidelen Wandergruppe stießen. Diesmal reisten sie aber weitaus komfortabler per Boot an. Die Ärzte hatten Entwarnung gegeben, und Anne hatte großes Glück gehabt. Wir auch. Nun ging es zu Fuß weiter. Das war uns allen ohnehin am liebsten. (Franziska Zoidl, 13.4.2019)