Es ist nicht Faulheit und schon gar nicht Selbstschutz, wie man nach den folgenden Zeilen meinen möchte, dass ich nicht alle Postings lese, die zu meinen Artikeln geschrieben werden. Ich derfolge es mitunter gar nicht. Dabei ist das Erste und das Letzte, was ich jeden Tag mache, Postinglesen.

Vorsicht, liebe Autonarren, heute fahren wir mit dem Zug. Gleich ist Abfahrt.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Ganz anders verhält sich das mit Leserbriefen. Handgeschriebene sind überhaupt eine Sensation. Hab ich bis heute nur einen bekommen. Der hängt daheim, gerahmt, im Büro. Leser-E-Mails sind auch rar. Denen wird auch mehr Aufmerksamkeit zuteil als einem Posting. Diese Schreiben sind selten, wirklich nur sehr selten, ein Grund zur Freude. Aber unlängst, da hab ich mich wirklich gewundert. Und damit war ich nicht allein, wie sich schnell zeigte.

Die Mail:

"Ich wundere mich täglich neu, warum Sie offensichtlichen Spätpubertierenden wie Gluschitsch Gelegenheit geben, ihre Kleinkind-Gedanken über Autos (möglichst über 350 PS) und Amateurfotos im STANDARD wiederzugeben. Dieser Herr ist ein intellektueller Dinosaurier einer Pseudojournalisten-Spezies, der nichts anderes will, als mit ultrastarken Autos zu fahren. Koste es die Umwelt, was es wolle. Ein Zwergerl, das seine sprachlichen und emotionalen Defizite mit dem Tritt aufs Gaspedal kompensieren und nicht einmal beschreiben kann, wie viel Sprit die zur Verfügung gestellte Karre real verbraucht. Dümmer geht's kaum noch", schrieb Herr K. (den Namen habe ich natürlich komplett verändert), ein Technik-Fachautor, wie er sich selbst bezeichnet.

Im Netz fand ich schnell ein paar vielversprechende Fotos von ihm. Vor Loks. Vor rauchenden Loks. Aber noch einmal zurück zu seinem Schreiben: Er endet vor seinen freundlichen Grußworten mit: "Ich bitte Sie: Hören Sie auf mit diesem Schwachsinn. Petrolheads: Benzin im Blut und Stroh im Hirn. Das passt nicht zum STANDARD."

"Dieser Herr ist ein intellektueller Dinosaurier einer Pseudojournalisten-Spezies, der nichts anderes will, als mit ultrastarken Autos zu fahren." Und Zügen. Denn vom Benzinbruder zum Ferrosexuellen ist es nur ein kurzer Weg. Eine Fahrt durch den Wienerwaldtunnel im Führerstand der 8.700 PS starken Taurus bringt jeden auf Schiene.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Sie erkennen, die Mail war gar nicht in erster Linie für mich bestimmt, sondern wohl eher für die Chefredaktion. Ich fühlte mich trotzdem dazu angespornt, zu antworten.

"Oh, lieber Herr K., vielen Dank für Ihre nette Mail. Ich freue mich sehr, dass auch Freunde der rußenden Eisenbahn und der Dieselloks meine Texte so aufmerksam lesen, dass sie unglaublich schlüssige Psychogramme zeichnen können."

Wer viel auf Eisenbahnschienen unterwegs ist, kann auch gut Psychogramme machen.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Mehr hat Herr K. nicht gebraucht. Er antwortet: "Ihre Texte lese ich schon lange nicht mehr, da sie mehr Selbstdarstellung sind und der Nutzwert gegen null geht." Und weiter – jetzt wird es echt süß: "Übrigens: Eine Lok mit 6,4 Megawatt, rund 8700 PS, werden Sie niemals fahren. Ich schon." Meine Antwort fiel eher kurz aus: "Wette angenommen." Am Telefon hatte ich bereits Gux, eine Freundin, die mich auch nur von der widerlichsten Seite kennt, aber trotzdem das Telefon abhebt, wenn ich anrufe – und bei der ÖBB arbeitet. Noch bevor eine weitere Beleidigung durch diesen werten Leser eintraf, bin ich nicht nur schon mit dem Taurus gefahren, sondern auch längst wieder aus ihm rausgeflogen.

Raum-Zeit-Maschine von Siemens

Einsteigen durfte ich am Hauptbahnhof in Wien. Lokführer Peter Schattauer war so unvorsichtig, mir, wie besprochen, die Tür zur Taurus zu öffnen. Vorbei am surrenden Herz des Triebfahrzeugs ging es zum Führerstand. Er wies mir den Platz neben sich zu. Eh gut. Vielleicht sollte man erst einmal zuschauen, wie man dieses 6400 kW starke Gefährt bedient.

Lokführer Peter Schattauer zeigt mir, wie man eine Taurus steuert.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Minuten später rasen wir durch den Wildschweintunnel unter dem Tiergarten Lainz durch, kurz darauf stechen wir durch den Wienerwaldtunnel. Die Spitzengeschwindigkeit, die wir auf dem Weg nach St. Pölten erreichen, beträgt 230 km/h.

Jenseits der 160 km/h übernimmt aber ohnedies ETCS, das europäische Zugbeeinflussungssystem, die Kontrolle, weil der Bremsweg des Zuges ab diesem Tempo viel länger ist, als die sichtbaren Signale ein sicheres Fahren ermöglichen. Wie gut das System funktioniert, sehen wir nicht zuletzt, weil in einem der Tunnel tatsächlich eine Baustelle ist. Für Lok und Lokführer ist das Pipifax. Die beeindruckt es auch nicht im Ansatz, wenn man mit jenseits der 200 km/h über Weichen donnert. Wer das je sieht, schluckt erst einmal trocken. Der alte Ford Taunus, mit dem ich sonst unterwegs bin, wenn ich nicht im Führerstand einer Taurus stehe, hat schon mit Bahnübergängen seine liebe Not.

Tunnelblick.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Und obwohl ich ein handzahmer Gast war, bat man mich in Linz freundlich aus der Lok. Das Foto von mir am Führerstand, gleich da unten, das gibt es natürlich in Wirklichkeit gar nicht. Aber dass Sie es sehen können, hat ein wenig damit zu tun, dass ich aus dem Zug geflogen bin und kein Lokführer werde. Niemals! Auch wenn die ÖBB grad welche suchen. Hauptsache, ich hab die Wette gewonnen. (Guido Gluschitsch, 18.4.2019)

Kein Gaspedal, kein Lenkrad, und auch die Blicktechnik ist in der Taurus eine ganz andere als im Taunus. Nur Fahrwerk und Bremsweg sind ziemlich ähnlich.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Anmerkung 19.4.2019, 10:40: Nachdem sich mit diesem Artikel inzwischen die Anwälte beschäftigen, nahm ich den guten Rat an, den Namen des Leserbriefschreibers noch unkenntlicher zu machen. Zudem löschte ich alle Postings die einen Hinweis auf den ursprünglich genannten Namen im Text hatten. (glu)