Die Identitäre Bewegung Österreich bei einer Demonstration am Samstag, 11. Juni 2016.

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Das griechische LAMBDA-Symbol ist das Zeichen der Identitären. Die Spartaner der Antike hätten das Zeichen auf ihren Schildern getragen, als sie versuchten, das viel größere Heer der Perser zurückzuschlagen.

Illustration: DER STANDARD / Armin Karner

Sie sind muskulös überzüchtete Krieger, die ihr Volk vor der feindlichen Invasion beschützen. Nur 300 von ihnen braucht es, um den Angriff fremder Mächte auf ihre Heimatstadt zu verhindern. Gemeint ist nicht die rechtsextreme Identitäre Bewegung, sondern deren großen Vorbilder, die fiktionalisierten Spartaner aus dem Film 300, der bei seinem Erscheinen 2006 teilweise als antiislamische Hetzpropaganda – im übertragenen Sinn – kritisiert wurde. Aus internen Papieren der Identitären wird deutlich, dass "die Comic-Verfilmung sie zu diesem Selbstbild inspirierte, weniger historisches Wissen", sagt der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit zum STANDARD – so starben die 300 Spartiaten in der realen Schlacht von Thermopylen.

"Die Spartaner erscheinen als edle Krieger, die Perser als dekadente Eindringlinge. Diese Motive steigern sich in ihrem Selbstbild zum politischen Soldaten, der Heimat und Identität vor der vermeintlichen Überfremdung oder Islamisierung retten muss", sagt Speit, der das Buch Das Netzwerk der Identitären veröffentlicht hat. InterneAufzeichnungen der Rechtsextremen belegen, dass die Begeisterung für 300 sogar so weit ging, dass ihre Hierarchie in "Spartiaten" und "Hopliten" unterteilt ist – was Andreas Mölzer, FPÖ-Urgestein und Burschenschafter, als "sektoid" bezeichnet.

Streng hierarchisch aufgebaut

Das 2018 bei Patrick Lenart, dem Co-Chef der Identitären, beschlagnahmte Dokument listet akribisch auf, wie die Identitäre Bewegung Wien aufgebaut werden sollte: An der Spitze der Organisation stehen "Hopliten", benannt nach den wichtigsten Soldaten der altgriechischen Heere, die in einer "Phalanx" kämpften. Die eng geschlossene Kampfformation inspirierte die Identitären zum Namen ihres Merchandising-Shops "Phalanx", in dem man T-Shirts (für 19,90 Euro im Rabattangebot) und Bekenner-Buttons ordern kann.

Die Hopliten bilden "das Herz" der Identitären, der Leiter der Bewegung ist "erster Hoplit". Wer Hoplit werden will, muss die Zustimmung der übrigen Identitären in diesem Rang gewinnen. Dann ist man "Hoplit bis zum Tod" und muss sein "gesamtes Leben nach der IB ausrichten". Hopliten dürfen "kein bürgerliches Leben anstreben".

Eine Stufe unter den "Hopliten" stehen die sogenannten "Spartiaten", die "Fäuste der IB". Sie müssen unter dreißig Jahre alt sein und dürfen bei Demos immerhin "das Spartiatenhemd" tragen. Auf der untersten Stufe stehen die "Sympathisanten", die zwar "Mitglied im Förderverein" sein dürfen, aber weder "Rechte noch Pflichten" besitzen. Engagierte ältere Sympathisanten sollen in einem "Block Identitär Wien" mitmachen und etwa Veranstaltungen organisieren. Die Aufstellung belegt mit weiteren Papieren, dass die Identitäre Bewegung nicht einfach nur eine verstreute rechtsextreme Spaßguerilla ist, als die sie oft beschrieben wird, sondern eine "professionelle Struktur" aufgebaut hat, wie auch der Verfassungsschutz (BVT) schreibt. Laut Recherchen von ZiB 2 und Salzburger Nachrichten nahmen die Identitären seit 2012 über drei Fördervereine mindestens 700.000 Euro ein.

Das Finanzstrafverfahren der Staatsanwaltschaft Graz läuft indes weiter, wie ein Sprecher der Behörde dem STANDARD am Freitag auf Nachfrage mitteilte. Geprüft werden drei Vereine und ein Versandhandel bzw. deren Konten. Erst müsse die Frage, "ob einen Gemeinnützigkeit besteht, geklärt werden", so der Staatsanwaltschaftssprecher, "wenn das geklärt ist, wird vor diesem Hintergrund wegen Steuerhinterziehung ermittelt". Auch wenn es zum Teil um Spendengelder geht, bezweifeln die Staatsanwälte die Gemeinnützigkeit des Vereins.

Professionelle Strukturen

Aus dem Protokoll einer identitären Landesleitersitzung 2018 wird deutlich, dass die rechtsextreme Bewegung sich nicht nur die Protestformen von etablierten Organisationen wie Greenpeace abgeschaut hat. Man wolle "die Struktur einer professionellen NGO" übernehmen und diese "langfristig wie eine Firma strukturieren und bezahlte Mitarbeiter anstellen". Aufgaben werden dabei autoritär hierarchisch verteilt. Neben einem Thinktank soll ein "Altherrenverband" entstehen. "Die IB ist keine klassische Jugendbewegung", sagt Rechtsextremismus-Experte Speit. "Die Dokumente offenbaren, dass nicht jeder einfach so mitmachen darf. Sie verstehen sich als politische Elite."

Als diese vermeintliche Elite wollen die Identitären die Grenzen des Sagbaren in der Gesellschaft schrittweise verschieben. Das geht aus einem Strategiepapier für eine Kampagne hervor. Eine wichtige Rolle spielen soziale Medien, durch die Botschaften rasch multipliziert werden können. Ist das Feld dann bereitet, könne im Zuge eines "Anlasses (Terroranschlag, Massenvergewaltigung, Mord)" eine "finale Kampagne" einsetzen. Diese solle "ein Bürgerparlament ausrufen". Bevor es so weit ist, soll die Themenkampagne den "harten aktivistischen Kern" aktivieren und dem "neutralen Teil" der Bevölkerung eine "gute Show" bieten. Den "feindlichen Teil" – laut Lenart "20 Prozent SPÖ- und Grün-Wähler" solle man meiden, solange diese "keine Gegner" seien. Zur Durchsetzung der Ziele sei eine "Lobbyarbeit mit der FPÖ sehr wichtig".

Überhaupt zeigen die internen Dokumente, wie eng die Identitären aus ihrer Sicht mit der FPÖ zusammenarbeiten. So heißt es in einer IB-Leitungssitzung, dass man "aus Rücksicht auf die FPÖ als Regierungspartei" für 2018 das Thema "Offene Debatte" wählen werde. Ziel sei es, den Diskurs auf Verbindungen der Parteien zu vermeintlichem "Extremismus aller Art" zu verlagern.

Deutlicher ausgeführt wird die Kooperation mit FPÖ-nahen Medien. In der Kampagnenplanung für das Jahr 2016 heißt es, dass die "Gegenöffentlichkeit mit 'Berichten' gefüttert werden" müsse. Sie diene als "Verstärker". Beispiele: Info-Direkt, das zwei FPÖ-Mitarbeitern gehört, die Facebook-Seite von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, das parteinahe unzensuriert.at und FPÖ-TV. Als "Lobby", die "Druck" aufbauen soll, sehen die Identitären etwa die "FPÖ" und "Korporationen". Tatsächlich gibt es sogar personelle Überschneidungen: Die Gründerin des Identitären Vereins in Oberösterreich engagiert sich bei den Freiheitlichen Frauen. Auf einer Spendenliste, die vom Verfassungsschutz recherchiert wurde, sollen sich FPÖ-Politiker wie der Grazer Gemeinderat Heinrich Sickl befinden, der auch langjähriger Vermieter der Identitären-Zentrale in Graz war. Auf Standard-Nachfrage will Sickl die angebliche Spende nicht kommentieren. Er verstehe die Frage zwar als journalistisches Anliegen, "aber für mich das sind Stasi-Methoden, das ich gefragt werde, ob ich dem Roten Kreuz oder sonst wem gespendet habe oder nicht. Dass die Identitären, mit denen er den Mietvertrag auf politischen Druck hin vor einigen Tagen auflöste, überhaupt Miete gezahlt hätten, bejaht er jedoch vehement: "Ich bin ja kein Hausbesitzer oder kein reicher Mensch, das war ein ganz normales Mietverhältnis. Selbstverständlich mit einer normalen Miete."

Auch beim als "Vernetzungstreffen Rechtsextremer" kritisierten "Kongress Verteidiger Europas" waren die Identitären wesentlich stärker beteiligt als bisher bekannt. Sie sollten 2018 fünf bis sechs Mitglieder als Security-Mitarbeiter abstellen. Damals hielt der Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ) eine Rede – er distanzierte sich zuletzt erst nach langer Wartezeit von den Identitären.

Boxtraining ist Pflicht

Um fit für Aufgaben wie Sicherheitsdienste zu sein, ist Sport für die rechten Aktivisten Pflicht. Mindestens einmal in der Woche müssen sie an Übungen teilnehmen, etwa am Boxen oder am "Demotraining". Wie martialisch die Gesinnung ist, geht aus Notizen von Identitären-Chef Martin Sellner für eine Rede hervor: "Es existiert Krieg, ein Kampf bis aufs Messer. Damit dieser Krieg gewonnen werden kann, müssen wir ihn beginnen." Der Verfassungsschutz sieht hier das Zeichnen eines "Bedrohungsbilds".

Gegen Sellner, das bekannteste Gesicht der Bewegung, wird wegen Terrorverdachts ermittelt. Auslöser ist eine Spende, die Sellner vom mutmaßlichen Attentäter von Christchurch erhielt, der am 15. März dieses Jahres 50 Muslime ermordet hatte. Die Identitäre Bewegung beeilte sich daraufhin zu betonen, dass man friedlich und niemals gewalttätig agiere. Zum Bekenntnis der Gewaltlosigkeit mag das Vorbild, die blutrünstigen Spartaner aus dem Film 300, nicht ganz passen. Den Spartanern abgeschaut haben die Identitären auch ihr Zeichen, das griechische Lambda. Unter dieser Flagge fordern sie eine "Reconquista" wie 1492, als die Spanier endgültig die Mauren vertrieben. Heute will man die muslimische Bevölkerung zurückdrängen, diesmal mit Worten. Wie Martin Sellner in einer Rede 2017 sagte: "Wir wissen, dass Gewaltfreiheit besser ist und besser wirkt."

Die Schlagstöcke, die sie zu Demos mitnehmen, dienten freilich allein der Selbstverteidigung. Oder, wie Speit auf eine Passage aus Sellners Buch Identitär hinweist: "Wenn die Identitären wollten, könnte ihnen 'die Antifa' nichts entgegenhalten." Laut einem Bericht des BVT besitzen 75 Identitäre eine Schusswaffe. (Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 12.4.2019)