Der CSU-Politiker Manfred Weber hat gute Chancen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten – als erster Deutscher seit mehr als 50 Jahren. Er wäre damit Nachfolger von Jean-Claude Juncker.

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Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die EU-Wahlen, könnte einer der Geschädigten des neuerlichen Brexit-Aufschubs sein. Bisher konnte der CSU-Politiker aus Niederbayern darauf zählen, dass die EVP wieder stärkste Kraft im EU-Parlament wird – und er EU-Kommissionspräsident. Die wahrscheinliche Teilnahme der Briten an der EU-Wahl könnte die Machtverhältnisse aber verschieben.

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STANDARD: Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU ist abermals aufgeschoben. Wenn Premierministerin Theresa May es nicht schafft, das Austrittsabkommen vor der EU-Wahl durchs Parlament zu bekommen, wählen die Briten mit. Ist das nicht absurd?

Weber: Zunächst ist wichtig, dass wir einen ungeordneten Brexit vermeiden. Auch für uns Europäer wäre das mit enormen Unsicherheiten verbunden. Ich kann dieses Ergebnis gut nachvollziehen. Ich sage aber auch dazu: Ich tue mir schwer damit, dass die Europawahl jetzt in Mitleidenschaft gezogen wird und ein Land, das die Europäische Union verlässt, über die Zukunft Europas mitbestimmen soll. Deswegen hoffe ich nach wie vor, dass Theresa May und Jeremy Corbyn in den nächsten Tagen Lösungen finden. Es wäre sehr wünschenswert, dass die Briten dem Deal noch vor den Europawahlen zustimmen.

STANDARD: Das will Theresa May auch. Aber ist es wahrscheinlich?

Weber: Die Annahme des Austrittsvertrags würde Stabilität geben. Als Kontinentaleuropäer haben wir es uns aber abgewöhnt, über die britische Innenpolitik zu spekulieren. Das Wichtigste angesichts des Brexits ist der Weckruf an die Europäer, nicht den Populisten zu folgen. Denn genau das ist in Großbritannien passiert. Die leeren Versprechungen der Populisten haben verfangen. Nach dem Referendum waren sie dann plötzlich verschwunden und konnten keine Auskunft mehr geben, wie es weitergeht. Wir dürfen nicht riskieren, dass das britische Chaos auf Europa überschwappt. Dass eine Mehrheit der Abgeordneten auch im Europäischen Parlament öfter Nein anstatt Ja zum Kompromiss sagen würde. Dann wäre Europa gestoppt. Mit nachhaltiger negativer Wirkungen für jeden Bürger.

STANDARD: Trotzdem sind die Populisten weiter auf dem Vormarsch. Machen die so viel richtig oder die Pro-Europäer so viel falsch?

Weber: Die Populisten profitieren von den Sorgen der Menschen bezüglich der Zukunftsentwicklungen. Die Antwort auf diese Sorgen ist, dass Politik wieder Führung zeigen muss und Antworten geben. Und wir müssen in aller Härte deutlich machen, dass die Links- und Rechtspopulisten keine Antworten haben. Zum Beispiel Matteo Salvini in Italien: Er gibt keine Antwort auf die wirtschaftlichen Sorgen der Italiener.

STANDARD: Bisher konnten Sie auf Basis der Umfragen darauf bauen, dass Ihre Partei, die Europäische Volkspartei, wieder stärkste Kraft im EU-Parlament wird, womit Sie wohl EU-Kommissionspräsident würden. Wenn die Briten mitwählen, könnten die britischen Labour-Abgeordneten die sozialdemokratische Fraktion stärken. Müssen Sie sich Sorgen machen?

Weber: Das ist Wettbewerb. Und den nehme ich an. Wir arbeiten dafür, dass wir gewinnen, aber die Wähler entscheiden. Wir bieten starke und konkrete Inhalte an. Ich werde zum Beispiel klarmachen, dass ich als Kommissionspräsident die Gespräche mit der Türkei beenden werde. Ich werde weiter dafür sorgen, dass die Europäische Union faire Handelspolitik betreibt. Und ich möchte sicherstellen, dass wir selbst entscheiden, wer nach Europa kommt, und nicht die Schlepper.

STANDARD: In der Migrationsdebatte sind die EU-Mitglieder extrem uneinig. Was würden Sie anders machen als Jean-Claude Juncker?

Weber: Ich werde die Migrationsfrage, die politisch offene Wunde Europas, zur Chefsache machen. Ich werde mich direkt einbringen und sagen: "Freunde, wir müssen jetzt zu Potte kommen und eine Lösung finden." Kein Staat der Europäischen Union kann sagen, dass ihn das nichts angeht. Kein Staat kann diese Herausforderung allein lösen. Jeder muss nach seinen Kräften einen Beitrag leisten. Jetzt muss eine Phase beginnen, die sich um die Zukunft kümmert. (12.4.2019)