Über ihm die strengen und lästigen Meistersinger, in ihm aber die neue Sangeskunst, die Regeln bricht:Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt) bringt die Welt der Tradition durcheinander.

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Richard Wagners Nürnberger Welt der künstlerisch ambitionierten Handwerker findet sich in ein Opernhaus gebeamt. Bei näherer Betrachtung weist die Einrichtung im Salzburger Festspielhaus – mit ihren weißen, goldverzierten Logen – lustige Verwandtschaft mit dem Inneren der Semperoper Dresden auf. Ebendort ist Christian Thielemann mit der Staatskapelle hauptberuflich tätig, wenn er nicht gerade mit dem Orchester die Salzburger Osterfestspiele bestreitet.

Schwer zu sagen, ob die Ausstattung (Mathis Neidhardt und Sibylle Gädeke) ein Statement in Sinne von "Wir sind in Salzburg, und lassen uns von hier auch nicht vertreiben" zu verstehen ist. Im Zuge der Bestellung des Münchner Opernintendanten Nikolaus Bachler zum zukünftigen kaufmännischen Direktor (und späteren künstlerischen Intendanten) ist ja die Vermutung aufgetaucht, das Orchester und Thielemann könnten weggeekelt werden, um eine Lücke zu hinterlassen, welche die Berliner Philharmoniker dann schließen sollten. Mit Bachler will Thielemann nicht zusammenarbeiten.

Beckmessers Hose

Abseits dieser ironischen Konflikt-Pointe bietet die Meistersinger-Inszenierung von Jens-Daniel Herzog (Staatsintendant des Staatstheater Nürnberg) wenig, immerhin aber die Möglichkeit, epochenübergreifend zu wirken: Herr Sixtus Beckmesser ist in altehrwürdiger Blähhose zu erleben, wie er kläglich für den Wettkampf übt. Der Sieg soll ihm Eva als Gemahlin zuführen.

Beckmesser trägt aber auch Smoking, wenn er nicht gerade, im Stile von Boxer Mike Tyson, David (glänzend Sebastian Kohlhepp) ein Ohr abbeißt.

Bisweilen geht es wild zu: David rammt seine Kauvorrichtung als Revanche in Beckmessers Wade, der schließlich als sichtlich lädierter Liedsänger sein Waterloo erlebt. Adrian Eröd, der seine vokale Glanzleistung mit klarem, edlen Klang würzt, gibt eine boshafte Figur. Der Einsatz slapstickartiger Mitteln lässt aber auch Assoziationen an den französischen Pannenkünstler Jacques Tati aufblitzen.

Robuster Junker

Als robuster Junker der Provinz wirkt Walther von Stolzing auch nicht zimperlich: Die ihn verhöhnenden Meistersinger gehen ihm gehörig auf den Wecker. Auf dem Zorngipfel zerfetzt er die Porträts der Regelwächter.

Zielstrebig sucht er aber mit seiner Eva (ein wenig herb im Klang, aber verlässlich Jacquelyn Wagner) als Entspannung in der Requisitenkammer kuschelige Glückseligkeit. Ein begabter Rüpel. Klaus Florian Vogt verleiht ihm zumindest mit strahlenden Höhen kantabel Kraft, während er seiner Umwelt ansonsten tendenziell eher nur in Form gestischer Opernstarre entgegentritt.

Fragen der Funktion

Während er also behäbig Richtung Meisterschaft geht, plant der melancholische Strippenzieher Hans Sachs, den blonden Unruheherd in eine höhere Opernposition zu hieven. In welche, bleibt in dieser Inszenierung allerdings im Nebel der Vieldeutigkeit. Es ist nicht einmal klar, was Hans Sachs in diesem Opernhaus für eine Funktion innehat. Einmal scheint er Chefregisseur, dann gar Direktor zu sein. Im Keller übt er sein Schusterhandwerk aus. Der Schuster als Operndirektor? Rätselhaft. In jedem Fall träumt sich Sachs die selbstbewusste Eva als Sehnsuchtsbild seiner Jugend herbei. Georg Zeppenfeld liefert als Sachs die vokal profunde und bis zum Schluss vitale Darstellung eines Einzelgängers, der für eine Versöhnung zwischen Tradition und Innovation steht.

Tolle Instrumentalarbeit

Christian Thielemann schafft mit der Sächsischen Staatskapelle die Fusion von Transparenz und Intensität. Ob die adagio-artigen Passagen zu Beginn des dritten Aktes oder die komischen Akzentuierungen der Parodistik: Hier bleibt alles in Balance und ist durchwirkt von instrumentaler Pointenkunst. Am Ende wirds es laut und klobig. In Summe jedoch eine tolle Umsetzung, die der konventionellen Regie Energie verleiht und die Sänger trägt. Also auch Christa Mayer (Magdalene), Vitalij Kowaljow (Veit Pogner), den soliden Dresdner Staatsopernchor und den Bachchor.

Wer wird der Beckmesser in der Causa Bachler gegen Thielemann? Wer wird der gefeierte Ritter? Wird er – wie in der Inszenierung – trotz Sieg auf eine Funktion verzichten? Vorerst ist nur klar, dass Thielemann 2020 Verdis Don Carlo dirigieren wird. Die Bachler-Causa wolle man "im stillen Kämmerlein" besprechen, so Aufsichtsratsvorsitzende Sarah Wedl-Wilson bei einer Pressekonferenz. Sie bestätigte aber, dass es auch mit Staatsoperndirektor Dominique Meyer Gespräche gebe. Thielemann sagte zum Konflikt nichts. (Ljubisa Tosic, 14. 4. 2019)