Blauer Dunst umwabert den Mercedes-Stern. Nach Volkswagen gerät Daimler immer tiefer in den Diesel-Abgasskandal.

Foto: Imago / Sven Simon

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Berlin/Wien – Das Bußgeldverfahren im Dieselskandal ist noch nicht abgeschlossen, schon steht Daimler erneut im Verdacht, Software für die Abgasreinigung manipuliert zu haben. Die deutsche Zulassungs- und Typprüfbehörde, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), habe ein formelles Anhörungsverfahren gegen den Stuttgarter Autohersteller wegen Verdachts auf eine weitere "unzulässige Abschaltvorrichtung" eingeleitet, berichtete Bild am Sonntag.

Es geht um rund 60.000 Fahrzeuge des Modells Mercedes-Benz GLK 220 CDI mit der Abgasnorm Euro-5, die in den Jahren 2012 bis 2015 produziert wurden. Ein Daimler-Sprecher bestätigte am Sonntag, dass es eine Anhörung in dieser Sache gebe, mit dem KBA liefen seit Monaten Gespräche. Das Unternehmen habe die verlangte Stellungnahme noch nicht abgegeben, das solle aber noch im April geschehen. Das Kraftfahrt-Bundesamt äußerte sich am Sonntag nicht zur Causa.

Verdächtige Software

Das Bundesverkehrsministerium unter Minister Andreas Scheuer (CSU) spielte die Sache herunter: Es handle sich um ein "altes", laufendes Verwaltungsverfahren vom Herbst 2018. Vor Abschluss dieses Verfahrens könne man zu dem Vorgang keine Stellung nehmen.

Die Behörde ist offenbar bereits im Herbst 2018 auf die verdächtige Software-Funktion beim Motor mit der Kennung OM 651 gestoßen. Weitere Emissionsmessungen bei einem GLK-Modell hätten den Verdacht erhärtet, heißt es.

Immer wieder Stickoxide

Demnach wird der gesetzliche Grenzwert für Stickoxide in dem bis September des Vorjahres gültigen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) nur eingehalten, wenn eine spezielle Temperaturregelung aktiv sei. Laut Zeitungsbericht soll die Software-Funktion den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter halten und so die Erwärmung des Motoröls verzögern. Im realen Straßenbetrieb werde die Funktion dann allerdings deaktiviert und der Grenzwert von 180 Milligramm pro Kilometer deutlich überschritten.

Das KBA, das Fahrzeugen europaweit gültige sogenannte Typprüfgenehmigungen erteilt, halte diese Software-Funktion für eine "unzulässige Abschaltvorrichtung", deshalb wurde Anfang April ein förmliches Verfahren eingeleitet und ein amtlicher Rückruf für die betroffenen Autos angedroht, heißt es. Daimler teilte mit, man kooperiere "vollumfänglich mit dem Kraftfahrt-Bundesamt" und prüfe den beschriebenen Sachverhalt.

Kühlmittel gekühlt

Dem Vorhalt, das KBA habe herausgefunden, dass Daimler die Programmierung der Kühlmittelfunktion bei laufenden Software-Updates unbemerkt entferne, widerspricht Daimler allerdings vehement. Der Sachverhalt sei Teil "der angekündigten freiwilligen Service-Maßnahme für über drei Millionen Mercedes-Benz Fahrzeuge im Feld". Dabei halte sich das Unternehmen an den mit Verkehrsministerium und KBA vereinbarten Genehmigungsprozess. "Die Behauptung, dass wir mit der freiwilligen Service-Maßnahme etwas verbergen wollen, ist unzutreffend", betonte man bei Daimler.

Wie auch immer dieses Verfahren ausgeht: Für das bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart anhängige Bußgeldverfahren sind die laufenden Untersuchungen zusätzlicher Stoff. Geprüft wird von den Strafverfolgungsbehörden dabei – wie im Fall Volkswagen und Audi -, ob die konzerninternen Aufsichts- und Kontrollfunktionen versagt haben und so die Dieselabgasmanipulationen erst ermöglicht wurden.

Volkswagen wurde bereits zu einer Milliarde Euro Bußgeld verdonnert, weitere 800 Millionen zahlte Audi, weil das Management den Abgasbetrug bei Dieselmotoren zuließ. Die Gerichte schöpften dabei einen Teil des Gewinns ab, den die Autokonzerne dank der Vorteile aus den Manipulationen einstreiften. Das eigentliche Bußgeld machte bei Audi lediglich fünf Millionen Euro aus.

Bußgeld und mehr

Wie viel Bußgeld auf Daimler aus dem Titel zu hohe Stickoxidemissionen zurollt, ist nicht abschätzbar. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln seit rund zwei Jahren gegen Daimler-Mitarbeiter wegen Verdachts des Betrugs und strafbarer Werbung. In Europa ordnete das KBA einen Rückruf von rund 700.000 Mercedes-Dieselfahrzeugen an, davon 238.000 in Deutschland. Die Behörde sieht es als erwiesen an, dass die Fahrzeuge wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu viel Stickoxid ausstießen. Daimler bekämpft den Bescheid unter Berufung auf die EU-Richtlinie, die zum Schutz des Motors Ausnahmen von der Abgasreinigung zulässt. Daimler betonte stets, mit den Ermittlungsbehörden vollumfänglich zu kooperieren.

EU-Kartellverfahren und US-Ermittlungen

So auch im Kartellverfahren der EU-Kommission. Seit 2017 stehen Daimler, Audi und BMW im Verdacht, sich bei Innovation und Preisen illegal verabredet zu haben. Diese Absprachen spielen tief in den Dieselskandal hinein, denn es geht unter anderem um die Einspritzsysteme für die Harnstofflösung ("AdBlue"), mit der die giftigen Verbrennungsrückstände gebunden und gereinigt werden. Um unerwünschte Ablagerungen, das Versotten der Motoren zu verhindern, sollen sich die Autobauer ab 2007 auf die Reduktion des AdBlue-Einsatzes, ja sogar den Einbau kleinerer Tanks verständigt haben. Womit man wieder bei Dieselgate ist, das 2015 in den USA begann. Seit 2016 wird dort gegen Daimler ermittelt, weil Mercedes-Diesel mehr Stickoxid ausstoßen als erlaubt.

(Luise Ungerboeck, 15.4.2019)