Ein 41-Jähriger verrichtet auf dem Gelände des Gerichtsgebäudes von Ibadan Reinigungsarbeiten. Er wird des Diebstahls bezichtigt.

Foto: Katrin Gänsler

Abuja – Der Vater von vier Kindern zieht das hellblaue Leibchen etwas widerwillig über den Kopf. Kurz vor 14 Uhr ist es höchste Zeit, mit dem Dienst zu beginnen. Er nimmt einen Handbesen, kehrt auf dem Boden Sand zusammen und aus den Ecken die Spinnweben weg. Dass er das nicht freiwillig macht, zeigt die Aufschrift "Community Service Offender" auf dem Shirt.

Der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist Ende Jänner zu drei Monaten Sozialstunden verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er einer Mitarbeiterin Geld gestohlen hat. Er selbst streitet das bis heute ab: "Sie hat doch mich bestohlen", sagt er. Zugleich ist er froh, dafür nicht ins Gefängnis zu müssen. Stattdessen muss er die Räume des Iyaganku-Gerichts, das im Zentrum der Millionenstadt Ibadan im Südwesten Nigerias liegt, kehren und die Grünanlagen säubern.

Acht Jahre Kampf

"Es ist eine alternative Form der Bestrafung", sagt Olajumoke Oladoyinbo. Die Juristin arbeitet für das Programm "Community Service" des Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC). Wer ein Verbrechen wie etwa Diebstahl begeht, das mit weniger als drei Jahren Haft bestraft wird, kann stattdessen die nigerianische Variante der Sozialstunden ableisten. Für diese Einführung hat JDPC im Bundesstaat Oyo acht Jahre lang gekämpft. Von Juli 2017 bis Jänner 2019 haben zwar mittlerweile 124 Personen an dem Programm teilgenommen, dennoch bleibt der Dienst eine Besonderheit. Oyo und Lagos sind die einzigen Bundesstaaten, die ihn eingeführt haben. In den westafrikanischen Nachbarländern existiert ein solches System überhaupt nicht.

Völlig neu ist es dennoch nicht, sondern knüpft an eine in Vergessenheit geratene Tradition an. Im Südwesten Nigerias, wo die Yoruba die größte Ethnie bilden, wurden Täter vielfach nicht eingesperrt, sondern mussten rund um den Königspalast Gras schneiden oder den Marktplatz schrubben.

Olajumoke Oladoyinbo will zeigen, warum sich ihre Organisation für eine Wiedereinführung in Form des Community Service starkgemacht hat. Es geht zum Agodi-Gefängnis, das mitten in Ibadan liegt. Keine 200 Meter entfernt von einer Hauptstraße gelegen, fällt das Gebäude anfangs nicht weiter auf, bis sich schwere, grüne Türen auftürmen. Minuten vergehen, ehe sie von innen aufgeschlossen werden.

Völlig überfüllte Zellen

Fotos und Gespräche mit den Häftlingen sind streng verboten. Doch die große Tafel am Eingang macht das Problem deutlich: 1189 Personen sind inhaftiert, obwohl das Gefängnis nur Platz für 390 hat. Der Männertrakt ist völlig überbelegt. Auch wurde das Budget nie angepasst. Es ist gut möglich, dass einige der Inhaftierten unschuldig sind. Zur Zeit des Besuchs waren nur 159 Insassen verurteilt. Manche warten seit Jahren auf ihren Prozess. In ganz Nigeria befinden sich rund 72.000 Menschen in Haft.

Mit dem Community Service werden die Gefängnisse Schritt für Schritt weniger überfüllt sein, hofft Olajumoke Oladoyinbo. Es kann aber noch etwas anderes leisten, sagt Soyebi Oluwatobi. Mit drei weiteren Kollegen teilt er sich am Iyaganku-Gericht ein kleines Büro und koordiniert mit ihnen die Sozialstunden. Gemeinsam besprechen sie den Einsatzort des Verurteilten, überprüfen die Arbeit und tauschen sich aus. Der entscheidende Vorteil aus Oluwatobis Sicht ist, dass die Täter nicht mit anderen Häftlingen in Kontakt kommen. "Viele geraten erst im Gefängnis in schlechte Kreise und richten nach ihrer Entlassung richtigen Schaden an." Im Fall der Sozialstunden gehen sie nach der Arbeit wieder nach Hause. "Später sind sie außerdem nicht stigmatisiert", so Juristin Oladoyinbo.

Große Armut im Land

In der Millionenstadt Ibadan wird der Dienst vorerst auf dem Gerichtsgelände abgeleistet. In kleineren Kommunen, wo sprichwörtlich jeder jeden kennt, ist die soziale Kontrolle aber so groß, dass auch andere Einsatzorte möglich sind. Für doppelte Sicherheit soll ein Bürge sorgen. Im Vorfeld wird zudem die Kommune einbezogen, damit die Akzeptanz steigt.

"Wir erklären, dass es sich nicht um Menschen handelt, die Gewaltverbrechen begangen haben", sagt Oluwatobi. Der Lebensmitteldiebstahl ist nicht zuletzt der großen Armut geschuldet. Laut der "World Poverty Clock" leben in Nigeria mehr als 91,2 Millionen Menschen in absoluter Armut. (Katrin Gänsler aus Ibadan, 15.4.2019)