H-alpha-Filamente (in Rot) aus der Balkenspiralgalaxie Messier 90, die Teil des Virgo-Galaxienhaufen ist.

Foto: Alessandro Boselli/LAM

Galaxienhaufen sind die größten bekannten Strukturen des Universums, die gravitativ verbunden sind. Im Zentrum dieser Ansammlungen mit Massen von bis zu 10.000 Milchstraßen befinden sich häufig riesige Galaxie. Jene des Virgo-Galaxienhaufens beispielsweise heißt Messier 87 und beherbergt ein supermassives Schwarzes Loch, dessen sensationelle Aufnahme vor wenigen Tagen um die Welt ging.

Aufgrund ihrer großen Masse ziehen Galaxienhaufen Materie ihrer Umgebung an. In der Folge stürzen Galaxien als Gruppen oder einzeln sowie Gas in den Gravitationstrog eines Haufens. Der überwiegende Teil der Galaxien im Haufen ist allerdings gasarm im Gegensatz zum "Feld", also außerhalb von Haufen. Durch welche Prozesse eine Galaxie in einem Haufen Gas verliert, untersucht eine internationale Forschergruppe unter Beteiligung von Gerhard Hensler von der Universität Wien. Die Ergebnisse erschienen kürzlich in der Fachzeitschrift "Astronomy and Astrophsics".

Der erdnächste Galaxienhaufen

Zur Untersuchung des Gasverlusts in Galaxienhaufen und zum Verständnis der dafür verantwortlichen Prozesse wurde von dem von französischen Wissenschaftern geführten Team ein Beobachtungsprogramm am Canadian-French-Hawaii Telescope (CFHT) initiiert. In diesem Projekt erforschen die Astrophysiker das H-alpha-Gas von Galaxien in dem mit "nur" 50 Millionen Lichtjahren Entfernung erdnächsten Galaxienhaufen im Sternbild Virgo. Das Projekt trägt daher den Namen "Virgo Environmental Survey Tracing Ionized Gas Emission" (VESTIGE).

Während das zum Galaxienhaufen gehörige Gas zig Millionen Grad heiß ist, kann im Gegensatz dazu das viel kühlere Gas in den Galaxien durch die Kollision von Gasströmen und durch Strahlungsprozesse aufgeheizt werden. Solche Aufheizprozesse lassen unter anderem das Wasserstoffgas, das bei weitem häufigste Element im Universum, diese Energie wieder abgeben, indem es in seiner H-alpha-Spektrallinie leuchtet.

Spektakuläre Gas-Filamente

In der Studie wurde die Zentralgalaxie des Virgo-Haufens M87, die als Paradeobjekt für die Wechselwirkungen eines aktiven massereichen Kerns mit seiner Umgebung gilt, detailliert untersucht. Im Zentrum besitzt M87 jenes Milliarden-Sonnen-schweres Schwarzes Loch, das nun den Namen Powehi erhalten soll und das erste Schwarze Loch darstellt, das man fotografisch festgehalten hat. Es fungiert als gewaltige "Energiemaschine", die riesige Gas-Jets auswirft.

Mit Hilfe von H-alpha-Bildern und von Gesamtspektren fanden die Forscher nun spektakuläre Filamente und Schwaden von ionisiertem Wasserstoffgas, die vom Zentrum rund zehn bis 25 tausend Lichtjahre in unterschiedliche Richtungen hinaus reichen und sich erst bei rund 60.000 Lichtjahren Abstand abschwächen. Zum Vergleich besitzt unsere Milchstraße selbst einen Durchmesser von etwa 100.000 Lichtjahren. Diese Gasstrukturen sind bereits in den innersten 9.000 Lichtjahren von Staub, d.h. festen Partikeln, durchsetzt. Besonders auffällig sind turbulente Strömungsgeschwindigkeiten von 700 bis 800 Kilometer pro Sekunde auf Längen von nur 3.000 Lichtjahren innerhalb des zentralen Bereichs. Aus Spektrallinien schließen die Wissenschafter, dass das Gas durch Stoßfronten geheizt wird, die aus der Interaktion der zentralen Jets mit wohl aus der Galaxienumgebung einfallendem Gas entstehen.

Fortlaufender Gasverlust durch "Gegenwind"

Neben diesen neuen Einblicken in den aktiven Kern der M87-Galaxie beschäftigen sich die Studien ebenso mit dem Verlust von Gas aus Galaxien, wie er bei NGC 4569 deutlich sichtbar ist. Ein Prozess, der dafür verantwortlich ist, entsteht durch die Bewegung der Galaxien durch das ruhende heiße Haufengas, bei der ein "Gegenwind" erzeugt wird – so ähnlich, wie wir ihn beim Radfahren verspüren, nur mit 1.000 Kilometer pro Sekunde ungleich kräftiger. Viele andere Galaxien im Virgo-Haufen werden durch diesen Gasverlust nicht nur "blutleer" – bei fehlendem Gas können auch keine Sterne mehr entstehen –, sondern erfahren andererseits, dass sich in manchen abgestreiften Gasklumpen Sternhaufen bilden, die dann im intergalaktischen Raum "umherfliegen", erkennbar als Knoten im Ultravioletten, beispielsweise um NGC 4254.

Unter welchen Umständen dies geschieht, wird in der Arbeitsgruppe an der Universität Wien anhand von numerischen Simulationen erforscht. Die Milchstraße erfährt keinen solchen Effekt. Ihre Sterne, wie unser Sonnensystem, in dem sich auch die Erde befindet, entstehen seit den letzten zehn Milliarden Jahren nur innerhalb der galaktischen Gasscheibe. "Der der Erde am nächsten gelegene Galaxienhaufen im Virgo bietet daher die beste Möglichkeit, das Verhalten von Galaxien bei vielfältigen und intensiven Umgebungseinflüssen zu studieren", so Hensler. "Die gleichen Untersuchungen werden wir am ebenso nahen Fornax-Haufen in weiteren Kooperationen fortführen, der am Südhimmel von den Teleskopen der Europäischen Südsternwarte (ESO) erfasst werden kann." (red, 15.4.2019)