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Die Idee ist einfach: Wir geben armen Menschen in armen Ländern Zugang zu Krediten, sie kaufen sich damit ein paar Kühe oder investieren in einen kleinen Betrieb. Aus den Erlösen zahlen sie den Kredit zurück oder bauen ihn weiter aus, nach und nach kommen sie so aus der Armut – ganz ohne Almosen, aus eigenem Antrieb. Klingt doch gut, oder?

So gut, dass der Bangladescher Muhammad Yunus für seine Idee, Mikrokredite an Arme zu vergeben, 2006 den Friedensnobelpreis erhielt. Und jeder von uns kann mitmachen, Organisationen wie kiva.org oder Oikocredit lassen uns Geld anlegen, das über Kleinstkredite an Arme geht. Ich habe das vor Jahren gemacht und 1.000 Euro veranlagt. Aber was bringt das Ganze wirklich?

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Erhielt 2006 den Friedensnobelpreis: Muhammad Yunus.
Foto: AP / Themba Hadebe

Fangen wir von vorne an. Lange hatten viele Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Krediten. Es war für Banken einfach zu riskant. In Österreich hat fast jeder eine fixe Adresse und Sozialversicherungsnummer, es gibt Infos über unsere Bonität, wir legen Einkommensnachweise vor – und wenn wir wirklich nicht zahlen wollen, kann die Bank vor Gericht ziehen und uns pfänden lassen.

Vieles davon funktioniert in ärmeren Ländern nicht. Die Idee hinter Mikrokrediten: Wenn die Bank die Bonität nicht prüfen kann, lassen wir das die Menschen vor Ort selbst tun. Sie nehmen also Kredite auf, für die sie gemeinsam in Gruppen haften. Weil sich die Leute untereinander kennen, wissen sie, wer verlässlich ist – und machen Druck, dass auch jeder zurückzahlt. Das Konzept schlug ein – 2011 gab es 195 Millionen Mikrokreditnehmer.

Oft auf eigene Rechnung unterwegs: Rikschafahrer in Amritsar, Indien.
Foto: APA/AFP/NARINDER NANU

Die Nachfrage nach Krediten von zehn, 20 oder 100 Dollar ist also da. Wie sehr hilft es Menschen aber dabei, der Armut zu entkommen? Das überraschende Ergebnis neuer Studien: wahrscheinlich gar nicht. Wie kann das sein?

Abhijit Banerjee vom MIT erklärt es so: Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass arme Menschen geborene Unternehmer sind, so wie Mohammed Yunus das immer wieder behauptete. Selbstständig zu arbeiten ist riskant, wer nahe am Existenzminimum lebt, will eher weniger als mehr Risiken eingehen. In Indien wünschen sich 80 Prozent der Eltern, dass ihre Kinder Beamte werden.

Viele ärmere Menschen, so Banerjee, machen sich selbstständig, weil sie keinen anderen Job finden. Die meisten sind in denselben Branchen tätig: In den Städten verkaufen sie Früchte, Snacks und betreiben kleine Läden. Auf dem Land haben sie ein paar Kühe oder Ziegen und bauen Getreide an. Verkaufen alle dasselbe, sind die Profite gering.

Wie sehr helfen Mikrokredite wirklich?
Foto: APA/AFP/NOAH SEELAM

Der Hype – die UN rief 2005 das Jahr der Mikrokredite aus – brach aber nicht ohne Grund aus. Studien bescheinigten dem Konzept zunächst, gut zu funktionieren. Schon 2011 aber zeigte eine von DFID, der britischen Entwicklungshilfe, finanzierte Evaluierung der Forschung, dass die bisherigen Studien nicht verlässlich sind.

Seither sind zahlreiche bessere Arbeiten erschienen. Eine Übersicht der Forschungsinstitute IPA und J-Pal zu den einflussreichsten neuen Studien zeigt, dass Kredite nicht dazu führten, dass die Einkommen der Menschen stiegen.

Einige Finanzinstitute und NGOs erklärten sich bereit, sich von Wissenschaftern begleiten zu lassen, unter anderem nach Indien, Äthiopien oder Bosnien. Manche bauten mit dem Geld ein Geschäft aus, ihre Profite sind aber selten gestiegen. In fünf von sieben Ländern ist nicht einmal ihr Umsatz gestiegen. In Marokko haben Kreditnehmer mehr Gewinn gemacht, arbeiteten dafür aber weniger in anderen Jobs. Unter dem Strich hatten sie nicht mehr Geld.

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Anbieter von Mikrokrediten richten sich in erster Linie an Frauen.
Foto: AP / Manish Swarup

Bei Oikocredit gibt man sich den Studien gegenüber skeptisch. "Wir vergeben nur Kredite, die Einkommen generieren", sagt Helmut Berg, Sprecher des Österreich-Ablegers. "Die klassische Mikrokreditnehmerin ist eine Frau, die dadurch einen Job kreiert." Es gäbe aber mittlerweile viele kommerzielle Anbieter, die keine soziale Ausrichtung hätten und Kredite auch für Konsum vergäben.

Neue Untersuchungen aus Marokko und Äthiopien bestätigen aber die wenig positiven Ergebnisse auch für NGOs, die nur Kredite an potenzielle Unternehmer vergaben. Sind die Kleinstkredite von NGOs effektiver? Britta Augsburg vom Institute for Fiscal Studies, die eine Studie in Bosnien begleitete, sagt: "Ich kenne keine rigorosen Studien, die diese Aussage decken würden."

Unter dem Strich hätten Mikrokredite wohl keinen Effekt auf Armut, schreibt David Roodman vom Center for Global Development, der ein Buch zum Thema verfasste.

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Ist eine Kuh genug, um aus der Armut herauszukommen?
Foto: AP / R S Iyer

Auf seiner Homepage schreibt Oikocredit, oft würde der Kauf einer Kuh reichen, um der Armut zu entkommen. Auf Kiva.org steht, ein Kredit für ein Schwein könne das Einkommen von Bauern dramatisch erhöhen. Beide Aussagen scheinen unter dem Strich einer seriösen wissenschaftlichen Betrachtung nicht standzuhalten.

Das heißt aber nicht, dass Mikrokredite schlecht sind. Dass viele Menschen sie in Anspruch nehmen, zeigt, dass sie gebraucht werden. Sie scheinen kein Weg aus der Armut zu sein, geben aber armen Menschen Zugang zu Krediten, die sie flexibler in ihren Entscheidungen machen, für was sie wann Geld ausgeben. Ein kaputtes Dach sorgt dann vielleicht nicht mehr dafür, dass eine Ziege verkauft werden muss.

Manche machen sich mit dem Geld selbstständig oder bauen ihren kleinen Betrieb aus. Für größere Betriebe sind die Beträge zu klein, und für die wenigsten ist es ein Schritt auf die Leiter aus der Armut. Die Kredite würden zwar helfen, aber nicht so, dass es Spenden an Mikrokreditorganisationen rechtfertige, sagt die Ökonomin Esther Duflo. Wenn ich Menschen aus der Armut helfen will, gibt es bessere Programme – denen sehr gute Studien bescheinigen, das sie helfen: Lesen Sie etwa hier und hier nach.

(Andreas Sator, 21.4.2019)

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