Paris – Dienstagfrüh kam die ersehnte Nachricht: "Der Brand ist zur Gänze gelöscht", sagte Gabriel Plus, Sprecher der Feuerwehr. Das Feuer in der Kathedrale Notre-Dame de Paris war Montagabend ausgebrochen und hatte sich sehr schnell auf rund 1.000 Quadratmeter ausgebreitet. Erst nach Stunden konnte die Pariser Feuerwehr – 400 Feuerwehrleute waren im Einsatz – vermelden, den Großbrand unter Kontrolle zu haben.

Ersten Erkenntnissen zufolge sind drei Menschen leicht verletzt worden. Dabei handle es sich um zwei Polizisten und einen Feuerwehrmann, teilte die Feuerwehr mit.

Nun sind alle Flammen komplett gelöscht, die Phase der Begutachtung beginnt. Zwei Drittel des Dachs und ein Spitzturm wurden zerstört. Die Mauern, die beiden monumentalen Türme und die drei Fensterrosen blieben weitgehend unbeschädigt. Mehrere kostbare Reliquien, darunter die Dornenkrone Jesu, und das Hauptkreuz der Kirche konnten gerettet werden. "Man kann annehmen, dass die Struktur von Notre-Dame gerettet und in ihrer Gesamtheit bewahrt ist", sagte Feuerwehrchef Jean-Claude Gallet. Dies soll nun auch mit Lasertechnik untersucht werden.

DER STANDARD

Schwachstellen betreffen vor allem Gebäudedecke

Die Struktur des weltberühmten Kirchengebäudes ist weitgehend stabil. "Im Ganzen hält die Struktur stand", sagte Innenstaatsekretär Laurent Nunez am Dienstag. Allerdings haben Fachleute einige Schwachstellen im Gewölbe und einem Giebel im nördlichen Querschiff entdeckt. Der Giebel müsse deshalb abgesichert werden.

ORF

Im Zuge der Absicherung der historischen Kirche seien fünf Wohnhäuser in der unmittelbaren Nachbarschaft geräumt worden, sagte Nuñez. Die Häuser lägen in einer schmalen Straße nördlich des Gotteshauses. Die Absicherungsarbeiten im Inneren der schwer beschädigten Kathedrale dürften rund 48 Stunden dauern, sagte der Staatssekretär.

Spanien kündigte unterdessen an, die Elektrik seiner bedeutenden Baudenkmäler überprüfen zu wollen. Das Feuer in Paris sei ein "Alarmsignal", sagte der spanische Kulturminister José Guirao am Dienstag dem Radiosender RNE. Alte Elektriksysteme stellten immer eine Gefahr dar und müssten überwacht werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Spitzturm der Notre-Dame Kathedrale wurde durch das Feuer zerstört.
Foto: AP/Ayanna

Staatsanwaltschaft ermittelt

Was den Brandschutz betrifft, sieht Patrick Chauvet, der Rektor des Gotteshauses, keine Sicherheitsmängel. Es gebe etwa Brandaufseher, die dreimal täglich den Dachstuhl prüfen, sagte Chauvet dem Sender France Inter. "Ich denke, dass man nicht mehr machen kann." Aber es gebe natürlich immer Vorfälle, die man so nicht habe vorhersagen können. Man müsse nun prüfen, was passiert sei. Die Staatsanwaltschaft in der französischen Hauptstadt leitete indes eine Untersuchung ein, an der 50 Ermittler arbeiteten. Es gebe derzeit keine Anzeichen für eine bewusst herbeigeführte Katastrophe, sagte Staatsanwalt Remy Heitz am Dienstag.

ORF

Der Brand könnte demnach mit Arbeiten am Dach der Kathedrale im Zusammenhang stehen, wo Baugerüste installiert waren. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung ein und befragte noch in der Nacht Bauarbeiter.

Fünf Unternehmen seien an den Arbeiten beteiligt gewesen, sagte Heitz. Etwa 15 Mitarbeiter seien am Montag mit Arbeiten betraut gewesen. Rund 50 Ermittler waren demnach im Einsatz. Das bei der Restaurierung von Notre-Dame federführende Unternehmen wies Anschuldigungen zurück, für den Ausbruch des Feuers verantwortlich zu sein. Alle Sicherheitsvorschriften seien eingehalten worden, sagte Julien Le Bras, Chef des Gerüstbauers Le Bras Freres.

Der Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris war Montagabend ausgebrochen und hatte sich sehr schnell auf rund 1.000 Quadratmeter ausgebreitet.
Foto: APA/AFP/Barrau

Erste Spenden für Wiederaufbau zugesichert

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte bereits am Montag an, die Kathedrale wiederaufbauen zu wollen. Am Dienstag nannte er in einer Fernsehansprache einen Zeitrahmen von rund fünf Jahren. Man könne das schaffen. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, schlug eine internationale Geberkonferenz vor. Der Wiederaufbau werde die besten Architekten und Handwerker "Frankreichs, vielleicht der ganzen Welt" auf den Plan rufen, sagte Valérie Pécresse, die Präsidentin des Regionalrats von Île-de-France.

Erste Spenden für den Wiederaufbau wurden bereits zugesichert: Die Region Île-de-France, die größtenteils dem Großraum Paris entspricht, kündigte am Dienstag eine Soforthilfe von zehn Millionen Euro an.

Foto: APA

600 Millionen von Milliardärsfamilien und Unternehmen

Die Familie des französischen Unternehmers und Milliardärs Bernard Arnault kündigte über Arnaults Luxuslabel LVMH an, sich mit 200 Millionen Euro an der Rekonstruktion beteiligen zu wollen. Zuvor hatte bereits die französische Milliardärsfamilie Pinault 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau versprochen. Die superreichen Franzosen Arnault und Pinault sind als Kunstliebhaber, Mäzene und Konkurrenten bekannt. 200 Millionen kommen von der Milliardärsfamilie Bettencourt-Meyers und dem Kosmetikriesen L'Oreal hinzu. 100 Millionen kommen vom Ölkonzern Total.

Auch die französische Profifußball-Vereinigung (LFP) hat finanzielle Unterstützung zugesichert, aber noch keine konkrete Summe genannt. Kreml-Chef Wladimir Putin hat Frankreich indes Wiederaufbauhilfe durch russische Spezialisten angeboten. Ein ähnliches Angebot kam aus Italien.

Der Vatikan wird keinen finanziellen Beitrag leisten, Frankreich sei finanziell "selbstständig." Man könne aber einen "technischen Beitrag" leisten, sagt der vatikanische Kulturminister, Kardinal Gianfranco Ravasi. Experten der vatikanischen Museen sollen zur Verfügung gestellt werden.

Eine Aufnahme der Notre-Dame Kathedrale aus 2014 (links) und eine Aufnahme des Gebäudes vom 16. April 2019 (rechts), einen Tag nach dem verheerenden Großbrand.
Foto: AFP

EU-Ratspräsident ruft Mitgliedstaaten zur Hilfe auf

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat unterdessen alle EU-Mitgliedstaaten zur Hilfe beim Wiederaufbau aufgerufen. "Ich weiß, dass Frankreich das alleine machen könnte, aber hier geht es um mehr als nur materielle Hilfe", sagte Tusk am Dienstagmorgen im Europaparlament.

Der Brand der Kathedrale habe vor Augen geführt, dass man in der EU durch etwas Bedeutenderes und Tiefergreifendes verbunden sei als allein durch Verträge. "Heute verstehen wir besser, was die Grundlage der Gemeinsamkeiten ist, wir wissen besser, wie viel wir verlieren können – und dass wir das zusammen verteidigen wollen", sagte Tusk.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach mit Blick auf den Brand von einem "schrecklichen Tag für alle, die Frankreich und Paris lieben" und kündigte an, dass die EU-Kommission alle Unterstützung leisten werde, die Frankreich möglicherweise benötigen könnte. "Gestern ist ein bedeutender Teil Frankreichs schwer verwundet worden, und wir sind alle ein bisschen Witwer und Witwen", sagte Juncker.

Zahlreiche Solidaritätsbekundungen

Als Zeichen der Solidarität hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf der Präsidentschaftskanzlei die französische Flagge hissen lassen. In einem Brief drückte das österreichische Staatsoberhaupt seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron seine Anteilnahme aus.

Auf Facebook bezeichnete Van der Bellen Notre-Dame als "ein wichtiges Symbol unserer gemeinsamen europäischen Kultur". Die Anteilnahme aus Europa und aller Welt zeige, "dass uns unser gemeinsames geistiges und kulturelles Erbe viel bedeutet". Die Brandkatastrophe bewege Millionen Menschen über Grenzen hinweg, in ganz Europa und weit darüber hinaus.

Landesweites Glockenläuten am Mittwoch

Bischöfe in Österreich und weltweit zeigten sich erschüttert. Kardinal Christoph Schönborn sprach von einem "ganz großen Schmerz." Um zwölf Uhr läutete in der Wiener Innenstadt die Pummerin: Die berühmte Glocke des Stephansdoms erklang fünf Minuten lang. Zeitgleich läuteten die Glocken vieler europäischer Dome und Basiliken. Das soll in Frankreich am Mittwochabend in großem Stil passieren: Um Punkt 18.50 Uhr – zu diesem Zeitpunkt wurde der Brand am Montagabend entdeckt – sollen die Glocken aller Kathedralen im ganzen Land läuten.

Der Papst äußerte die Hoffnung, dass die Kathedrale dank kollektiver Unterstützung bald wieder zum "wunderbaren Schrein" im Herzen der Stadt Paris werden könne, die sie bisher war.

Serbische Medien bezeichnen Brand als "göttliche Strafe"

Auch die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) zeigte sich erschüttert. Man trauere mit allen Christen sowie anderen betroffenen Menschen, die in Notre-Dame nicht nur ein Gotteshaus, sondern ein Kulturerbe für die Welt sehen würden. Sein Mitgefühl bekundete außerdem der Großimam der Al-Azhar-Moschee in Kairo sowie der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill.

In eine andere Kerbe schlugen zwei serbische Boulevardblätter: Sie bezeichneten den Brand als "göttliche Strafe" für das Hissen der kosovarischen Flagge bei einer Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges in der Pariser Kathedrale vor einem Jahr. "Der Zorn Gottes hat sie eingeholt", war am Montag nach Beginn des Feuers auf den Webseiten von "Alo" und "Informer" zu lesen. (APA, van, 16.4.2019)