"Was ist ein Mann?" – Über diese Frage lässt es sich lange diskutieren mit dem Performance-Künstler Dorian Bonelli. Wir sind uns einig, dass eine rein biologische Begriffserklärung zu kurz greift. Nicht nur der Körper bestimmt das Geschlecht.

Wir befinden noch "typische" Verhaltensmuster und Attribute sowie das persönliche Verhältnis zum Geschlecht als relevante Variablen. Zu einer genauen Definition gelangen wir nicht. "Männlichkeit ist etwas, worauf wir uns beziehen, das außerhalb dieser Bezugnahme aber nicht existiert", bemerkt Bonelli. Er setzt sich in seinem Schaffen regelmäßig mit der Genderthematik auseinander.

Playfights nennt er die Workshops, bei denen die Teilnehmenden miteinander im Zuge von spielerischen Rangeleien in Kontakt treten. Sie lernen ihr Gegenüber, sich selbst und ihre Geschlechterrolle besser kennen.

"Manche Männer haben ein Problem damit, wenn sie beim Playfight plötzlich unten liegen, ihr Rollenbild aber ein aktiv-dominantes ist. Manche Frauen wissen nicht, was sie tun sollen, wenn sie oben sind", teilt Bonelli seine Beobachtung, welche die Verinnerlichung von stereotypen Genderzuschreibungen offenbart. Er selbst hat Erfahrung mit beiden.

Dorian Bonelli ist Transgender. Die Erklärung, dass er als männliche Person im Körper einer weiblichen auf die Welt kam, ist für ihn verkürzt, das Genderkonstrukt Frau/Mann findet er problematisch: "Für mich ist Trans das Verständnis, dass eine zweiwertige Logik das Leben in seiner Vielfalt nicht zu beschreiben vermag. Sowohl beim biologischen als auch sozialen Geschlecht gebe es nicht nur zwei Ausprägungen, sondern viele Abstufungen.

In Bonellis Wahrnehmung wird von Transpersonen jedoch erwartet, das Narrativ der Transformation von A nach B zu bedienen. Dorian Bonelli will sich nicht in ein zweiwertiges Geschlechterkonzept einordnen lassen. Trotzdem definiert er sich als Mann. Ein Widerspruch, dessen er sich bewusst ist: "Er lässt sich nicht auflösen. Ich beziehe mich positiv auf Männlichkeit, hinterfrage aber damit verbundene Konstrukte."

Dorian Bonelli trägt ein Hemd von Louis Vuitton.
Foto: Rafaela Proell

Im Werden

Bonelli erzählt von seiner Kindheit. Versuche der Mutter, ihm Kleider oder Röcke schmackhaft zu machen, blieben erfolglos. Er durfte also alles so ausleben, wie er es fühlte. "Ich wusste relativ früh, dass mir die Burschenrolle mehr entspricht", erinnert er sich. Doch weder das Wort noch das Konzept "Transgender" existierten für ihn.

Es gab keine Transmänner in seiner Umgebung, die ihm als Referenz dienen hätten können. Einzige Bezugsperson hierfür war sein eineiiger Zwilling, ebenfalls transident: "Wir haben unsere Geschlechtsidentitäten nicht aktiv reflektiert. Es war ein unausgesprochenes gegenseitiges Verständnis."

Dass sich Betroffene so früh ihrer Geschlechteridentität bewusst sind, wird in der Forschung als Indiz dafür gesehen, dass man sich Transsexualität nicht aussucht. Man nimmt an, dass genetische Dispositionen und hormonelle Einflüsse im pränatalen Stadium dafür verantwortlich sein könnten.

Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für Anpassungen körperlicher Merkmale an das gefühlte Geschlecht transidenter Personen, wenn zuvor nach ICD10 Transsexualität diagnostiziert wurde. Das geschieht auf psychiatrischer, klinisch-psychologischer und psychotherapeutischer Ebene.

Diese Vorgehensweise empfindet Bonelli als pathologisierend. Erst im Alter von 30 Jahren hat er sich dazu überwunden, sich dem Prozedere auszusetzen. Danach konnte er die medizinische Behandlung beginnen.

Die Entscheidung, Testosteron zu nehmen, war für Bonelli nicht einfach. "Aber Hormone erleichtern öffentliches Auftreten und soziale Kontakte. Die Veränderung der Stimme war eine sehr positive Entwicklung", schildert der heute 37-Jährige. Die Entscheidung zur Brustamputation fiel ihm hingegen leicht.

"Ich bin jetzt körperlich mehr ich, obwohl etwas weggenommen wurde", berichtet der Transmann von der Erleichterung nach der Operation. Heute stehen in seinem Pass das männliche Geschlecht sowie der Vorname Dorian. Inoffiziell trägt er diesen schon seit seiner Jugend.

Beziehungsweise

Transsexualität sagt nichts über die sexuelle Präferenz einer Person aus. Dorian Bonelli bezeichnet sich selbst als zu 80 Prozent homosexuell. Auch in Sachen Beziehungskonzepten entspricht er nicht unbedingt der Norm. Bonelli ist polyamourös. Seit mehr als zehn Jahren führt er Beziehungen mit zwei oder drei Menschen gleichzeitig. Seine beiden aktuellen Partner leben jeweils in einer anderen Beziehung.

Erste amouröse Erfahrungen mit Männern hatte Bonelli in Chats. Dort konnte er Fantasien anonym ausleben und eine Beziehung zum Schreiben aufbauen, die in in seinem künstlerischen Schaffen noch heute mitschwingt.

An der Akademie der bildenden Künste hat er Konzeptkunst bei Marina Grzinic studiert. Gemeinsam mit seinem Zwilling, ebenfalls Kunststudent, veranstaltete Dorian Bonelli Performances, bis sein Bruder 2005 starb. "Danach habe ich lange Zeit gar nichts gemacht. Er war weg, und mit ihm auch die Lust an der Kunst."

Er konnte die Trauer überwinden, und nun gibt Bonelli verschiedene künstlerische Workshops wie Playfights oder Transformatives Schreiben. "Ich schaffe Erfahrungsräume, in denen sich Menschen unvoreingenommen begegnen können. Man akzeptiert sich gegenseitig", erklärt der Künstler. Das Gefühl, selbst akzeptiert zu werden, hat er nicht immer.

Er könne bei gewissen Communitys gut andocken, ein Gefühl des Zuhauseseins erfahre er jedoch nur temporär. Nichts Außergewöhnliches, laut Dorian Bonelli: "Man kommt ohnedies nie an. Die Transformation ist nie abgeschlossen, der Mensch nie fertig." (Michael Steingruber, RONDO, 19.4.2019)

Rafaela Proell hat den Performance-Künstler Dorian Bonelli in einem Hemd von Wilfried Mayer fotografiert.
Foto: Rafaela Proell
Das T-Shirt ist von Marc O'Polo, die Hose von Ader Error, und die Schuhe sind von Wilfried Mayer.
Foto: Rafaela Proell
Hemd und Hose sind von Jil Sander.
Foto: Rafaela Proell
Jacke und Hose sind von Issey Miyake, und das Sakko darunter ist von Georgio Armani.
Foto: Rafaela Proell
Top und Jumpsuit sind von Dries Van Noten.
Foto: Rafaela Proell
Jumpsuit von Fomme.
Foto: Rafaela Proell
Sakko und Latex-Shorts von Arthur Avellano, Rollkragenpullover von Prada, Sandalen von Yves Saint Laurent.
Foto: Rafaela Proell
Das Sakko ist von Wendy+Jim, die Kette von Dorian Bonelli selbst.
Foto: Rafaela Proell