Durch Funkenflug fing das Dach des Stephansdoms am 14. April 1945 Feuer.

Foto: ÖNB-BILDARCHIV/ALBERT HILSCHER

Am Nachmittag des 12. April stürzte die Hauptglocke, die 22 Tonnen schwere Pummerin, in die Tiefe und zerschellte.

Foto: Domarchiv St. Stephan/Nachlass Dompfarrer Hugel.

Wer heute den Wiener Stephansdom besucht, kann sich kaum vorstellen, dass auch diese gotische Kathedrale schwerste Verwüstungen erlitt, die denen in Notre-Dame gleichen.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, im April 1945, kam es in Wien zu schweren Kämpfen ("Wien ist zum Verteidigungsbereich erklärt worden", verkündete die NS-Herrschaft). Die Rote Armee drang nicht, wie erwartet, hauptsächlich von Süden, sondern von Westen vor, die Wehrmacht und die SS hingegen zogen sich am 9. April größtenteils über den Donaukanal nach Norden zurück.

Eine Zwischenphase nutzten Plünderer, Zivilisten und Soldaten, um die Geschäftshäuser am Stephansplatz auszuräumen und in Brand zu stecken. Durch Funkenflug (es herrschte starker Südwestwind) fing dadurch am 11. April auch das Dach des Stephansdoms Feuer.

Die langjährige Diözesan-Archivarin des Doms und Mitarbeiterin von Kardinal König, Annemarie Fenzl, hat die Ereignisse genau rekonstruiert. Der Dom geriet nicht durch Artilleriebeschuss in Brand (obwohl es dazu einen Befehl des Waffen-SS-Generals Sepp Dietrich gab, der aber ignoriert wurde), sondern eben durch Brandlegung in der Umgebung. Zunächst konnte der Domkurat Lothar Kodeischka kleinere Brandherde allein (!) löschen. In der Nacht vom 11. auf den 12. April begann jedoch das Gerüst auf dem (unvollendeten) Nordturm zu brennen. Die zweitgrößte Glocke des Doms, die Halbpummerin, stürzte in das linke Querhaus.

"Alles brannte lichterloh"

Dann begann das Dach zwischen den beiden Domtürmen zu brennen. Der riesige Dachstuhl aus Lärchenstämmen stürzte auf die gotischen Gewölbedecken, die dem zunächst noch standhielten. Auf die Orgel fielen Gluttrümmer, die Orgelpfeifen begannen zu brennen und gaben Ohrenzeugen zufolge dabei unheimliche Laute von sich.

Am Nachmittag des 12. April stürzte die Hauptglocke, die 22 Tonnen schwere Pummerin, in die Tiefe und zerschellte. Dennoch schien das Innere des Doms halbwegs intakt, ehe plötzlich am Freitag, dem 13., um 4:15 früh das gesamte Deckengewölbe einstürzte und die Orgelempore, die Kaiserloge und das Chorgestühl unter sich begruben. "Alles brannte lichterloh, wir wussten: Jeder weitere Versuch einer Hilfe war völlig aussichts- und zwecklos", sagte später der Domkurat.

Wie Notre-Dame und praktisch alle gotischen Kathedralen ist St. Stephan aus Kalkstein erbaut. Abgesehen davon, dass es in Wien keine Feuerwehr mehr gab – sie war schon Tage vorher abgezogen –, waren durch einen Bombenangriff am 12. März die beiden Wasserleitungen in der Nähe des Doms zerstört worden.

Der Dom schien verloren. Dennoch erklärte Kardinal Theodor Innitzer angesichts der rauchende Trümmer: "Na, wir werden es halt wiederaufbauen müssen".

Die Aufräumarbeiten begannen am 25. April, zwei Tage bevor die provisorische Regierung Renner zusammentrat. Die Bevölkerung beteiligte sich rege am Wegräumen des Schutts. Der Beschluss zum Wiederaufbau wurde in den ersten Nachkriegsjahren stufenweise umgesetzt, wobei die Arbeiten zunächst nur durch Spenden finanziert wurden. Die Dachkonstruktion wurde nun aus Voest-Stahl statt aus Holz hergestellt, die Gewölbe wurden erneuert. Am 23. April 1952 wurde der fast völlig wiederhergestellte Dom wiedereröffnet, Tage zuvor war die neue Pummerin aufgestellt worden (sie befindet sich heute im Nordturm). Bis 1965 konnten die Restaurierungsarbeiten auch im Inneren weitgehend abgeschlossen werden. Es dauerte also rund 20 Jahre, bis der Dom zumindest äußerlich wieder unversehrt war. (rau, 16.4.2019)