Kira Lappé entwickelt ein 3D-Modell menschengemachter Sedimente unter der Hauptstadt.

Foto: privat

Unter Geologen wird seit einiger Zeit die Benennung eines neuen Erdzeitalters diskutiert. Das Anthropozän soll den maßgeblichen Einfluss des Menschen, der sich an geologischen Schichten ablesen lässt, beschreiben.

Die Grenze ziehen die meisten Forscher Mitte des 20. Jahrhunderts, als erste Atombombentests weltweit radioaktive Nuklide verteilten, die der Erde deutlich einen menschlichen Stempel aufdrückten. Auch Plastik zählt für viele zu den Indikatoren des neuen Zeitalters.

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt lotet nun den menschlichen Einfluss im Untergrund Wiens aus, insbesondere zu Beginn des Anthropozäns. Kira Lappé von der Uni Wien analysiert hierfür Daten von rund 1200 archäologischen Grabungen sowie von mehr als 60.000 Bohrungen, die seit der ersten Messung im Jahr 1844 vor Bauvorhaben durchgeführt wurden.

Die Wissenschafterin erstellt ein 3D-Modell der Stadt zur Mindesttiefe, in welcher menschengemachte Ablagerungen – fachsprachlich "Anschüttungen" – zu finden sind.

Ziegelstein als Indikator

In den meisten Fällen handelt es sich bei dem Indikator um Ziegelstein, der farblich heraussticht und von der Römerzeit bis heute vorkommt. Zu den massivsten menschlichen Sedimenten vor 1900 gehören mit einer Dicke von bis zu zwölf Metern die Überreste der Festungsmauern aus dem 16. Jahrhundert entlang der Ringstraße.

Viel tiefer geht es an den Mülldeponien Richtung Stadtrand: Jene am Rautenweg (22. Bezirk), die in den 1960er-Jahren errichtet wurde, zeigt mit 42 Metern die größte Anschüttung. In der Menge an Beschreibungen stieß Lappé auch auf Kurioses, etwa den Fund eines Gummikrokodils auf einer ehemaligen Deponie, die heute unter der Parkanlage Löwygrube (10. Bezirk) liegt.

Fest steht: Im vergangenen Jahrhundert wurden in Wien mehr anthropogene Hinterlassenschaften in den Boden eingebracht als in der gesamten vorhergehenden Zeit. Im weiteren Verlauf möchte Lappé die Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg in die Visualisierung einbeziehen.

Die 1987 geborene Wienerin studierte klassische Archäologie sowie Alte Geschichte und setzte das Fernstudium der Geoinformatik der Uni Salzburg drauf, das sie bald abschließen wird. "Auf archäologischen Tagungen habe ich gemerkt, dass immer mehr mit diesen Methoden gearbeitet wird und sie auch in Geisteswissenschaften gut eingesetzt werden können", sagt die Forscherin.

Gelebte Interdisziplinarität

Am Anthropozänprojekt, das vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) gefördert wird, schätzt sie vor allem die gelebte Interdisziplinarität: Eine Geologin (Maria Meszar, Sedimentologie, Uni Wien) ergänzt die Daten um die geochemische Analyse aktueller Proben, eine Künstlerin (Katrin Hornek, Universität für angewandte Kunst) arbeitet daran, mittels einer Videoinstallation das Wiener Anthropozän zwischen Natur, Kultur und Technologie zu animieren.

Neben diesem Projekt bleibt Lappé ihrem Steckenpferd, der römischen Militärgeschichte, treu: Sie erforscht anhand schriftlicher und archäologischer Quellen die Goteneinfälle ins Römische Reich, welche sich im dritten Jahrhundert im Balkanraum zugetragen haben.(Julia Sica, 22.4.2019)