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Immer mehr Unternehmen erkennen, dass es sich lohnt, Stellung zu beziehen, etwa zugunsten der LGBT-Community.

Foto: Reuters / Tyrone Siu

Unternehmen stehen zuweilen im Ruf, von Profitgier getriebene Moloche zu sein, die für ihren Vorteil bereit sind, die Umwelt zu zerstören, Konsumenten zu täuschen und Arbeitnehmerrechte mit Füßen zu treten. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Beispiele für Unternehmen, die aktiv soziale Verantwortung wahrnehmen.

So setzten sich Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon für die Rechte der LGBT-Community in Texas ein. Zuletzt hat das Textilunternehmen Patagonia angekündigt, künftig keine Kooperationen mehr mit der Tech- und Finanzbranche im Silicon Valley und der Wall Street einzugehen. Denn das sei nicht im Sinne des Firmenmottos, welches lautet: "Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten."

Exemplarisch ist auch der Fall Khashoggi: Der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi wurde 2018 mutmaßlich im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. In der Folge haben zahlreiche namhafte Unternehmen, darunter etwa JPMorgan, Siemens oder Ford, aus Protest ihre Teilnahme beim Wirtschaftsgipfel "Davos in the Desert" in Saudi-Arabien abgesagt.

"Unternehmen mischen sich zunehmend in politische Belange ein", sagt Markus Scholz, Leiter des Center for Corporate Governance & Business Ethics an der Fachhochschule Wien der Wirtschaftskammer Wien (WKW). "Wir beobachten, dass sich viele Firmen aktiv für Menschenrechte, die Umwelt oder Minderheitenrechte einsetzen."

Doch wie passen diese beiden Befunde – Profitstreben und soziale Verantwortung – zusammen? Eine theoretische Erklärung, die viel Beachtung gefunden hat, ist das CSV-Modell (Creating Shared Value) der beiden Harvard-Professoren Michael Porter und Mark Kramer.

Win-win-Denken und seine Grenzen

Es besagt im Kern, dass sozial verantwortliches Handeln von Unternehmen Werte für sie selbst schafft, aber zugleich auch für ihre Umwelt bzw. die Gesellschaft, innerhalb derer sie agieren. Dadurch entstehe eine Win-win-Situation, bei der alle Beteiligten profitieren. Win-win-Denken funktioniere immer dann gut, wenn Unternehmen vor der Aufgabe stehen, Situationen zu identifizieren, bei denen soziales oder nachhaltiges Handeln zugleich einen ökonomischen Profit bringt, meint Scholz.

So unterstützt Coca-Cola im Rahmen ihrer Initiative "5by20" weltweit Frauen dabei, eigene Unternehmen zu gründen und so unabhängig zu werden. Für den Getränkekonzern ist das zugleich eine Chance, neue Absatzmärkte zu schaffen und bestehende zu stärken. "Ein klassisches Win-win", befindet Scholz. Es gibt allerdings Herausforderungen, bei denen das Win-win-Denken an seine Grenzen stößt, meint er.

Sobald Unternehmen mit einer von außen an sie herangetragenen, heiklen Situation konfrontiert werden, reicht das Win-win-Denken nicht mehr aus, um befriedigende Antworten zu liefern. Ein Beispiel dafür bietet der Internetriese Yahoo, der 2002 von der chinesischen Regierung aufgefordert wurde, E-Mail-Adressen vermeintlicher Regimekritiker herauszugeben.

Yahoo kam der Aufforderung nach. In der Folge wurden Journalisten eingesperrt, einer beging sogar Selbstmord. Dafür wurde Yahoo stark kritisiert. "So eine Situation ist mit einer Win-win-Logik nicht mehr zu lösen", sagt Scholz. "Hier muss ein Unternehmen verstärkt auf ethische Reflexion zurückgreifen."

Moralische Normen finden

Solche Fälle treten insbesondere dann ein, wenn es keine oder nur unklare rechtlichen Normen gibt, die einen Sachverhalt regeln. Etwa wenn die Arbeitsbedingungen in einem Zulieferbetrieb nach Standards der westlichen Welt unakzeptabel wären, im jeweiligen Land aber durchaus im Rahmen der dortigen Gesetze liegen. Unternehmen, die von solchen Betrieben beliefert werden, müssen hier Stellung beziehen.

Für Scholz ist es deshalb nötig, das CSV-Modell um ethische Komponenten zu erweitern. Unternehmen bzw. ihre Manager brauchen strategische Werkzeuge, um moralische Normen auszuwählen und in ihren Entscheidungen anzuwenden, wie Scholz u. a. in einer kürzlich veröffentlichen Studie analysiert. Vielleicht nützt es ja etwas. (Raimund Lang, 17.4.2019)