Twitch-Streamerin "Pokimane" mit einem Fan.

Foto: Erin Fan/Twitch

Zum ersten Mal findet die TwitchCon in Europa statt. Menschen in Kostümen oder mit Selfie-Stick strömen in die Berliner Veranstaltungshalle CityCube. Bei der Hausmesse der Streaming-Plattform Twitch können sich populäre Streamer mit ihren Fans treffen und kleinere Streamer von den erfolgreichen Usern der Plattform lernen. Keine Convention der Welt ist besser dokumentiert, sind hier tausende Menschen mit laufender Kamera vertreten. Eine Million Zuseher schalten täglich auf Twitch ein – Tendenz steigend. Es ist also nicht verwunderlich, dass auf der TwitchCon Goldgräberstimmung herrscht, schließlich geht es hier um die Zukunft des Live-Fernsehens.

Wie alles begann und Status quo

2007 ging Twitch unter den Namen Justin.tv online. Die Idee der Macher war es, eine Online-Plattform zu bieten, bei der sich jeder Internetnutzer beim Gaming zeigen kann und dabei mit Zusehern interagiert. Die Nutzerzahlen der Website wuchsen kontinuierlich. 2014 wurde auch Online-Versandriese Amazon auf das boomende Portal aufmerksam und übernahm dieses kurzerhand für 970 Millionen US-Dollar (rund 850 Millionen Euro). Heute weist Twitch mehr als drei Millionen Streamer auf. Die prominentesten Vertreter wie "Ninja", "DrDisrespect" oder "Shroud" sind dank des Portals Multimillionäre geworden.

WhiteyDude

Österreichische Streamer

Von Millionen können die österreichischen Streamer "WhiteyDude" und "MissRage" noch träumen, für sie ist Streaming auf Twitch aber immerhin ein lukrativer Vollzeitjob geworden. Die Kärntnerin und den Salzburger trifft man auch auf der TwitchCon zwischen Fans und Sponsoren. "WhiteyDude" schauen rund 2.000 Menschen zu, wenn er sich live auf Twitch durch die Massen begibt. Dem Salzburger mit den Dreadlocks und dem Faible für Apfelsaft kann man fast täglich beim Spielen zuschauen. Anfangs noch ein PUBG-Streamer, setzt er mittlerweile auf eine größere Auswahl an Games. Was "WhiteyDude" spielt, ist allerdings sekundär. "Die Leute schalten bei mir auch ein, wenn ich mich beim Busfahren zeige", merkt der Salzburger im Gespräch mit dem STANDARD an.

MissRageLoL

Die Qual der Wahl

Gaming und E-Sports machen auf Twitch zwar immer noch den Löwenanteil aus, allerdings gibt es immer mehr andere jugendfreie Aktivitäten, die User einschalten lässt. Bei "AkwardsTravel" kann man etwa einem Pärchen beim Reisen zuschauen. Live-Mittelaltermusik bekommt man bei dem Österreicher "KawauTV" zu hören. Vor der Kamera gezeichnet und gekocht wird bei "VenusWorld" und "CookingForNoobs". Sie alle haben es geschafft, eine treue Community aufzubauen. Ein Wort, das man bei der TwitchCon fast im Minutentakt zu hören bekommt. Der Tenor lautet: Du kannst es genauso schaffen, ein erfolgreicher Streamer zu werden, du musst nur deine Community finden. Gefragt sind Einzelunterhalter, die irgendwie aus der Masse stechen. Es ist also wohl kein Zufall, dass David Hasselhoff bei der TwitchCon eine 25-minütige Motivationslaudatio halten darf.

Mootality

Gefragte Werbefiguren

Für Unternehmen sind Streamer höchst gefragte Werbefiguren. Electronic Arts soll beim Start ihres Battle-Royale-Games Apex Legends allein eine Million Dollar an "Ninja" gezahlt haben, damit dieser den Titel ein paar Stunden lang spielt. Kritische Töne darf man hierbei nicht erwarten. Immerhin einen Hinweis auf einen bezahlten Stream findet man dann aber doch.

Neben Gaming-Firmen haben aber auch Unternehmen wie Red Bull oder Gillette das Werbepotenzial von Streamern für sich entdeckt. Abseits der beschönigten Welt von Instagram soll man auf Twitch nämlich Authentizität geboten bekommen. Die Streamer zeigen sich ja zumeist aus ihren Schlafzimmern und unterhalten sich sogar mit ihrem Publikum, da schenkt man dem Gebotenen deutlich mehr Glauben.

Bonjwa

Ein steiniger Weg zum Erfolg

Der Weg zum gefragten Streamer, der davon leben kann, ist trotz authentischen Auftretens allerdings steinig. Auch "WhiteyDude" hat dies so erlebt. "Ich habe monatelang für eine Zuseherin gestreamt, und das war meine Freundin", erzählt der Salzburger. Zumindest in seinem Fall hat sich die Hartnäckigkeit allerdings gelohnt. Millionen andere Streamer haben nicht das Glück, dass das Publikum auf sie aufmerksam wird.

Die erfolgreichsten Streamer zeigen sich außerdem deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche vor der Kamera. Ein oder gar mehrere Tage ohne Stream, und die Masse zieht weiter, und somit auch der Monatsverdienst. Die Haupteinnahmequelle der Twitch-Protagonisten sind nämlich Abonnements, die monatlich ab 4,99 Euro kosten und Vorteile wie Emotes oder Zugang zum Chat bringen. Streamt man nicht, werden Abos nicht abgeschlossen oder verlängert – durchbeißen ist also angesagt.

Traditionelle Medien ohne Relevanz

Hat man es dann einmal geschafft, ist man nicht nur online, sondern auch offline ein Star mit riesiger Gefolgschaft. Die bekanntesten Streamer können auf der TwitchCon nur wenige Meter gehen, bis sie wieder für ein Selfie und ein kurzes Gespräch angehalten werden. Journalisten oder Fernsehteams sind auf der Messe übrigens kaum bis gar nicht vertreten. Das junge Publikum der TwitchCon hat es ohnehin nicht mehr so ganz mit traditionellen Medien. So erzählt auch Jens Taubert vom deutschen Streamer-Kollektiv Bonjwa dem STANDARD, dass sie durch einen größeren Artikel im "Spiegel" nicht mehr Zuschauer lukrieren konnten: "Wir sind durch den Bericht nicht gewachsen. Twitch hat sich ein eigenes Publikum aufgebaut". (Daniel Koller aus Berlin, 21.4.2019)