Etwa in der Mitte der Transamazônica, bei Kilometer 2500, liegt das Schokoladenparadies. Über 60.000 Tonnen Kakaobohnen werden in der Region um Medicilândia im brasilianischen Regenwald pro Jahr produziert. Die Geschäfte für landwirtschaftlichen Bedarf sind vollgestopft mit Zubehör für den Anbau, die Restaurants bieten Kakaosaft aus dem säuerlichen Fruchtfleisch an, die Zwischenhändler überbieten sich in der Größe ihrer Schilder, und die Gemeinde wirbt für das jährliche "cacau fest".

Von hier aus wird die Bohne in die ganze Welt verschickt, vor allem nach Europa. Vor Ostern herrscht Hochbetrieb. Chocolatiers von Belgien über Österreich bis Italien schätzen das besonders milde und fruchtige Aroma des Kakaos. Aber auch in die USA gehen die Bohnen, und sogar Asiaten waren schon hier.

Auf mehr als 65.000 Hektar wird in der Region um Medicilândia Kakao angebaut.
Sandra Weiss

Der Anbau liegt in der Hand von Kleinbauern. Wie der Familie Vronski Brighenti. In der weiß gekachelten Küche von Rosa Brighenti, zehn Kilometer außerhalb von Medicilândia riecht es verführerisch süß. Die 60-Jährige conchiert auf ihrem Küchenbord gerade zwei Kilogramm Bohnen aus eigenem Anbau. "70 Prozent Kakao, der Rest Zucker und sonst nichts", sagt die kleine Frau stolz. Konservierungsmittel, zusätzliche Aromastoffe oder Fette kommen für sie nicht infrage. "Das braucht man nur für minderwertigen Kakao", sagt sie. Oder um die Gewinnspanne zu steigern.

Auf so eine Idee kommt Brighenti aber erst gar nicht. Bei ihr kommt nur das beste auf den Tisch. Das meiste stammt vom eigenen, knapp hundert Hektar großen Hof der Familie.

Vronski baut Bio an und hat sich mit 32 Nachbarn zu einer Kooperative zusammengeschlossen. Ein Label ermöglicht den Bauern, ihre Bohnen zwischen 30 und 100 Prozent teurer zu verkaufen. Die Familie ist damit zu bescheidenem Wohlstand gekommen. "Mit Zuckerrohr oder Früchten wäre ich arm geblieben", sagt Brighentis Mann Darcirio Vronski. Als Viehzüchter hätte er wegen der nährstoffarmen Böden hundertmal so viel Weideland gebraucht, um ähnliche Einnahmen zu erzielen.

Ein Label ermöglicht den Bauern, ihre Bohnen zwischen 30 und 100 Prozent teurer zu verkaufen.
Sandra Weiss

Mehr Geld machen jedoch weiterhin Zwischenhändler und Endverkäufer. Eine 100-Gramm-Tafel der österreichischen Marke Zotter beispielsweise, die den Kakao von Vronski verarbeitet und verkauft, kostet 3,50 Euro. Für einen Kilo Bohnen bekommt die Familie 20 Reais (rund 4,60 Euro). Das Doppelte von dem, was Kakaobauern üblicherweise erhalten. Rosa verkauft ihre etwas gröbere bittere Hausschokolade für 70 Reais das Kilo (16 Euro). Exportieren darf sie aber nicht, noch nicht einmal innerhalb Brasiliens liefern. "Mir fehlt ein Sanitätsstempel, und den bekomme ich nicht, weil die Transamazônica hier nicht asphaltiert und es in der Trockenzeit sehr staubig ist", seufzt sie.

Ademir Venturino hingegen hat den Kampf mit den Zwischenhändlern und der Bürokratie aufgenommen. Seine Kooperative besitzt die erste und bislang einzige Schokoladenfabrik von Medicilândia sowie einen eigenen Fabrikverkauf und ein knappes Dutzend in Franchise betriebene Läden in ganz Brasilien. "Ursprünglich waren wir Zuckerrohrbauern, weil die Militärregierung diese Region bei der Erschließung der Transamazônica dafür bestimmt und hier eine Zuckerfabrik hingestellt hatte", erzählt Venturino, kommerzieller Direktor von Cacauway.

Die Familie Vronski Brighenti produziert nicht nur Tafelschokolade.
Sandra Weiss

Rund um Medicilândia war der Anbau anderer Produkte verboten. Doch die Zuckerfabrik kam nie richtig in Schwung, wurde privatisiert, erneut verstaatlicht und ging 2000 pleite. Die Bauern standen vor dem Nichts, viele waren hoch verschuldet. Einige hatten Erfahrung mit Kakao und setzten in ihrer Verzweiflung darauf. Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend, bald zogen andere nach. Sie forsteten die grüne Zuckerrohrwüste wieder auf, das Mikroklima veränderte sich.

Für Venturinos Idee einer Kooperative konnten sich aber nur 45 Personen begeistern. Unterstützt wurden sie von sozialen Basisbewegungen im Umfeld der katholischen Kirche, finanziert unter anderem vom Hilfswerk Misereor. Nach dem Sieg der linken Arbeiterpartei ließ sich auch die Regierung von der Kakaoidee überzeugen und finanzierte den Bau der Schokoladenfabrik. Doch das war erst der Anfang des Abenteuers. Die Mitglieder konnten zwar Kakao produzieren, aber Vertrieb, Gütesiegel, Logistik und Transport sind bis heute eine Herausforderung.

Auch Pralinen werden vor Ort gefüllt – zum Beispiel mit Ananas.
Sandra Weiss

Doch Venturinos Team gab nicht auf. Heute arbeiten 15 Menschen bei Cacauway. Noch sind externe Berater notwendig, aber bald, so hofft Venturino, gibt es unter den Kindern der Bauern genug Fachleute. So wie die Agronomin Elsa Felix, die sich um die Qualitätskontrolle kümmert. "Nachfrage nach unserer Schokolade gibt es mehr als genug, doch wir haben noch nicht genügend Kakao, der unseren hohen Ansprüchen genügt", sagt sie.

Venturino sieht deshalb noch viel Spielraum zum Wachsen: "Mit entsprechender Wirtschaftspolitik und Professionalisierung der Plantagen könnte der Kakao der neue Boom von Amazonien werden, ohne Notwendigkeit, dafür den Wald abzuholzen", sagt er. Doch davon ist Brasilien derzeit weit entfernt. Der neue, rechte Präsident Jair Bolsonaro ist von Sojabauern und Viehzüchtern beeinflusst und sieht den Wald als Störfaktor. Die Banken, sagt Vronski, gäben zwar Kredite fürs Abholzen für den Anbau von Soja und die Rinderzucht, aber nicht für Familienbetriebe und die Verbesserung ihrer Kakaoplantagen.(Sandra Weiss aus Medicilândia, 17.4.2019)