Macron will Notre-Dame wieder aufbauen. Gemeinsam mit allen Franzosen.

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Passanten blieben bestürzt vor dem brennenden Wahrzeichen in der französischen Hauptstadt stehen.

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Die Rede war schon im Kasten. Um 20 Uhr sollte der feierliche Auftritt des französischen Präsidenten von den wichtigsten TV-Stationen des Landes am Montagabend ausgestrahlt werden – mit einer Reihe konkreter Antworten auf die schwere sozialpolitische Gelbwesten-Krise. Politbeobachter orteten bereits einen "Wendepunkt" in Macrons fünfjähriger Amtszeit, Macrons Berater stellten eine "dicke Überraschung" in Aussicht.

Welche? Das bleibt nun in der Schwebe. Denn um 18.30 Uhr, anderthalb Stunden vor der Ausstrahlung der Rede, ertönte in der Notre-Dame-Kathedrale der Brandalarm. Von einer Ausstrahlung der so lange geplanten Macron-Rede konnte nicht mehr die Rede sein. "Gott ist Macron ins Wort gefallen", kommentierte der Psychoanalytiker Joseph Agostini.

Am Dienstagabend verschob er die Verkündung seiner Reformmaßnahmen gar auf unbestimmte Zeit. Im Moment sei nicht die richtige Zeit dafür, sagte der Präsident in einer kurzen Fernsehansprache.

Spitze der Solidaritätswelle

Macron besuchte noch am Montagabend die brennende Basilika sichtlich ergriffen und die Hand seiner Gattin Brigitte haltend. Gegen 23.00 Uhr, als das Feuer weitgehend gelöscht war, kehrte er ein zweites Mal zurück und sagte in die Mikrofone, direkt in die Kamera blickend: "Ich verspreche Ihnen, wir werden die Kathedrale wieder aufbauen. Wir alle."

Am Tag nach dem Brand äußerte sich Macron in einer kurzen TV-Ansprache erneut zu den Geschehnissen. In Frankreichs Geschichte habe man stets große Städte, Häfen oder andere fantastische Bauwerke errichtet, die Feuern oder Revolutionen zum Opfer fielen, und immer habe man diese wiederaufgebaut. Die Zeit zum Wiederaufbau der Kathedrale sei noch nicht gekommen. Wenn es dann aber so weit sei, wolle er Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wiederaufbauen und zwar noch schöner als zuvor. "Wir schaffen das", so Macron.

Die Feuerwehrleute hätten ihr Bestes gegeben, jeder hätte sein Möglichstes getan. "Ich teile euer Mitleid. Ich teile eure Hoffnung", sagte der Präsident angesichts der globalen Solidaritätsbekundungen.

Damit stellte sich der Präsident an die Spitze einer Solidaritätswelle, die seither über Paris schwappt: Bürger, Firmen und Behörden stellten am Dienstag hunderte von Millionen Euro für den Wiederaufbau des Mittelschiffes zur Verfügung. Macron, der Kathedralenbauer, der die aufgewühlte Nation eint: Dieses schöne Bild wurde von den Élysée-Beratern noch mit Whatsapp-Kommentaren unterstrichen.

Dramatische nationale Momente

Die Franzosen zeigen sich nur mäßig beeindruckt. Sie sind solche Posen gewohnt: Alle französischen Präsidenten benützen dramatische nationale Momente – François Hollande etwa die Terroranschläge von 2015 –, um sich als schützender Landesvater zu präsentieren.

Macrons Problem ist, dass er zu jung ist und zu wenig Charisma hat, um überzeugend zu wirken. An sich hat er die passende politische Position, um als Mittler und Einiger der Nation anzutreten. Doch sosehr die Franzosen von der Feuersbrunst im Herzen von Paris berührt sind, so wenig fühlen sie sich in ihrer nationalen Eintracht von Emmanuel Macron geleitet.

Politisch verschafft der Brand der Notre-Dame dem Staatschef eine politische Atempause, mehr nicht. Seine Rede, die wird er trotzdem halten – und vielleicht revidieren – müssen. Die Spannung, mit der die Franzosen am Montagabend den Auftritt ihres Staatschefs erwartet hatten, weicht fürs Erste kollektivem Desinteresse: Das Malheur der so geschichtssymbolischen Basilika verdrängt die Pläne des Präsidenten schlicht. Je länger er aber zuwartet mit seinen Ankündigungen, desto mehr gerät er in die Kampagne für die Europawahlen von Ende Mai.

Der tiefe Griff in die Tasche

Dieser Urnengang ist der erste seit Macrons Amtsantritt vor knapp zwei Jahren und droht sich unter dem Eindruck der "Gilets jaunes" in ein Plebiszit für oder gegen den Präsidenten zu verwandeln. Je näher die Wahlen rücken, desto tiefer muss Macron in die Tasche greifen, um die französischen Wähler zu befriedigen. Tut er das aber, wird ihm der Vorwurf nicht erspart bleiben, er finanziere seinen Wahlkampf mit teuren Steuergeschenken an die Bürger.

Seine politischen Rivalen verschonen ihn nicht: Linkenchef Jean-Luc Mélenchon twitterte schon nach dem Notre-Dame-Brand, Macron "täte besser daran zu schweigen", als sich als Vaterlandsretter in Szene zu setzen. Er selbst setzte seinen Wahlkampf für einen Tag aus; die meisten anderen Spitzenkandidaten französischer Europawahllisten taten es ihm gleich.

Vorschub für Verschwörungstheorien

Die Wahlkampfpause wurde nur von einem Politiker gestört: Der Rechts-außen Nicolas Dupont-Aignan, ein früherer Verbündeter von Marine Le Pen, stellte am Dienstag die Frage, ob der Brand wirklich ein Betriebsunfall sei – oder "ein Attentat". Damit leistete er Komplotttheorien Vorschub, die in den sozialen Medien seit Montagabend grassieren. Zutreffend ist, dass französische Kirchen seit längerem von Vandalen und Dieben heimgesucht werden – im März etwa Gotteshäuser in fünf französischen Regionalstädten. In Sachen Notre-Dame stellte die Pariser Präfektur aber klar, dass keinerlei Indizien vorlägen, die auf eine Brandstiftung schließen ließen. Die Justizuntersuchung lautet denn auch nur auf "fahrlässige Zerstörung". (Stefan Brändle aus Paris, 16.4.2019)