Dem ehemals angesehenen oststeirischen Arzt wirft die Grazer Staatsanwaltschaft vor, seine Kinder gedemütigt und gequält zu haben. Sie mussten seine Suizidversuche und Selbstverletzungen mitansehen.

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Graz – Seit Minuten starrt der Angeklagte unbewegt auf den großen Monitor, der hinter dem Richtertisch platziert ist.

Seine Mimik, seine Körperhaltung werden sich in den nächsten Stunden kaum verändern. Der grauhaarige Arzt stützt seinen Kopf auf den linken Arm, eine rote Couch kommt ins Bild, auf der seine heute 29 Jahre alte Tochter vor einem runden weißen Tisch, auf dem drei Mikrofone stehen, Platz nimmt.

Sie will ihren Vater, wie ihre anderen drei Geschwister, die schon befragt worden sind, nicht mehr sehen, und wird im Nebenraum vom Grazer Richter per Kamera über die schweren Jahre ihrer Kindheit, über die Selbstmordversuche des Vaters, das Ritzen, das Blut, die Sucht und die Erniedrigungen einvernommen werden.

"Ich habe ihn vergöttert"

Dem oststeirischen Arzt wird vorgeworfen, seine vier Kinder jahrelang gequält zu haben.

"Ich hab ihn vergöttert und immer versucht, ihm eine gute Tochter zu sein, dass er stolz auf mich ist", sagt die angehende Ärztin weinend. "Eduard war Gott, er war alles", sagt die Tochter.

Und was mit der Mutter gewesen sei, fragt der Richter nach. "Mama habe ich auch enorm geliebt." Aber der Vater war eben der Held, der beste Arzt, wie er sich selbst gelobt habe. Er habe aber immer "schlecht über die Mama geredet und mir eingebläut, ich dürfe kein Wort, worüber sie reden, der Mutter erzählen." So banal es auch immer gewesen sein mag. "Wenn er rauf ins Bad gegangen ist, die Post holen oder er Kaffee trinken war, hat er immer gesagt, ich darf es der Mama nicht sagen. Ich habe das alles als Kind nicht verstanden. Ich wusste nur, ich darf ihr nichts sagen, sonst lässt sie sich scheiden, und ich bin schuld."

"Abgefuckte" Tochter als "Borderlinerin"

Er habe sie herabgewürdigt. "Ich schau so abgefuckt aus, aus mir wird nie was, hat er g'sagt. Ich habe nur geweint. Nach meinem ersten Suizidversuch hat er mich als Borderlinerin bezeichnet. Er konnte die schlimmsten Sachen machen, mich zum Weinen bringen, aber da war dann wieder sein Lächeln, und dann sagte er, du bist meine Lieblingstochter. Heute erkläre ich es mir, dass es ihm Spaß gemacht haben muss, andere zu demütigen und zu quälen."

Die Bilder der Vergangenheit lassen die Dämme brechen. Weinkrämpfe. Der Richter muss unterbrechen, die Zeugin braucht psychologische Betreuung. Im Gerichtssaal herrscht betroffene Stille. Der Arzt sitzt ruhig da. Wie immer.

Wenig später fragt der Richter sanft nach: "Aber warum blieb er nach all dem noch immer der große Star?" Die einst drogenabhängige Tochter: "Er hat mich ja gebraucht, ich musste doch aufpassen, dass er sich nicht umbringt."

Pistole an der Schläfe

Ja, es sei viel Schlimmes passiert in der Familie. "Es hat in der Kindheit begonnen, und ich habe heute noch Angst vor ihm." Er habe sich damals eine Glock gekauft, Sprengstoff fürs Haus und Säure fürs Gesicht der Mutter. Das habe sie gehört. Vor und nach der Scheidung sei es am schlimmsten gewesen. Seine Selbstmorddrohungen seien immer häufiger gekommen. "Das erste Mal, da war ich acht, hat er sich die Waffe an die Schläfe gehalten. Ich hab gesagt: Bitte tu's nicht." Heute wisse sie: Er habe sich ohnehin nicht umbringen wollen.

Sie habe das damals nicht erkennen können. Einmal, im Schuppen habe sie ihn angetroffen mit einem Strick um den Hals, der Kopf war schon rot angelaufen. Als sie voller Angst in Vorahnung in die Hütte geeilt kam, habe er nur gemeint: "Warum kannst du mich so erschrecken, wegen dir bekomm' ich noch einen Herzinfarkt." Er sei mit beiden Beinen auf dem Boden gestanden und habe sich selbstständig wieder befreit."

Immer wieder geritzt und geschnitten

Die anderen in der Familie hätten viel nicht mitbekommen, weil sie ja nichts habe sagen dürfen. Es wurde nichts geredet, auch nicht über die Selbstverletzungen. "Er hat sich immer wieder geritzt und geschnitten. Durch Gewand ist das Blut durchgekommen, am Oberkörper." Auch sie habe sich später geritzt. Mit Rasierklingen, "um den Schmerz auszuhalten und den Druck abzubauen".

Einen Satz hat sie noch frisch in Erinnerung. Als sie nach ihrem Suizidversuch aus dem Krankenhaus kam, "war das Erste, was er sagte: Du bist so mutig, ich hätte mir das nicht getraut."

Das Urteil wird für Mitte Mai erwartet. (Walter Müller, 16.4.2019)