Es gibt immer einen noch größeren Fisch. Oder eben einen Wal. So könnte man zumindest die Ergebnisse interpretieren, die Hai-Forscher nach jahrelanger Beobachtung nun präsentiert haben.

Die Wissenschafter analysierten Daten von mit Peilsendern markierten Weißen Haien und solche, die aus insgesamt 27 Jahren Beobachtungen von Haien, See-Elefanten und Schwertwalen gewonnen worden waren. "Treffen Weiße Haie auf Orcas, verlassen sie sofort ihre bevorzugten Jagdgebiete und kehren für bis zu ein Jahr nicht mehr zurück, selbst wenn die Orcas nur durchwandern", sagt Salvador Jorgensen vom Monterey Bay Aquarium und Erstautor der aktuellen Studie.

Ein neuer Sheriff ist in der Stadt

Schauplatz dieses Kampfes um die Vorherrschaft im Viertel sind die Farallon-Inseln vor Kalifornien. Die rivalisierenden Gangs sind Weiße Haie, See-Elefanten und durchziehende Orcas. Die See-Elefanten versammeln sich zur Fortpflanzungszeit in riesigen Zahlen auf den Inseln. Die Raubfische leben das ganze Jahr über dort und ernähren sich von den fettreichen Robben.

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Groß: See-Elefant ...
Foto: AP Photo/Eric Risberg

Schwertwale jagen dort nicht jedes Jahr, sondern kommen bei ihren Wanderungen nur gelegentlich durch. Dementsprechend selten ist der direkte Kontakt zwischen den beiden Spitzenprädatoren. Im Beobachtungszeitraum kam es nur zu vier solcher Ereignisse. Jedes Mal flüchteten die Weißen Haie von den Inseln und kamen während der ganzen Jagdsaison nicht zurück.

Die ausgewerteten Daten zeigten, dass die Haie innerhalb von Minuten den Bereich verließen. Die Wale blieben oft nur für eine Stunde, schlugen sich die Bäuche am reich gedeckten Tisch voll und zogen weiter. Die Haie aber blieben fern und wichen entweder auf das offene Meer aus oder suchten andere Kolonien von See-Elefanten.

... größer: Weißer Hai ...
Foto: Byron Dilkes, Danah Divers

Nur einmal konnten die Forscher eine direkte Attacke auf einen Weißen Hai beobachten. Von ihrem Opfer fraßen die Orcas aber nur die Leber, die als Fett- und Ölspeicher dient und damit eine wertvolle Kalorienbombe darstellt. Ob Schwertwale also die Raubfische als Beute sehen oder sie nur als Nahrungskonkurrenten vertreiben und die gelegentliche Extramahlzeit ein positiver Nebeneffekt ist, können die Forscher nicht beantworten.

"Ich denke, das demonstriert, dass Nahrungsketten nicht immer linear sind", sagt Jorgensen. "Sogenannte laterale Interaktionen zwischen Spitzenprädatoren sind am Land einigermaßen gut bekannt, aber im Ozean viel schwieriger zu dokumentieren. Auch weil diese Vorfälle so selten sind, wird es wohl etwas länger dauern, die Dynamiken voll zu verstehen."

Die Wissenschafter stellen aber in den Raum, ob die Beschreibung "Spitzenprädator" für den Weißen Hai zu hinterfragen sei. "An der Spitze kann es nur einen geben", sagt Koautor Scot Anderson. Das wären die größeren und intelligenteren Orcas, die kommunizieren und strategisch in Gruppen jagen.

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... am größten: Orca.
Foto: AP Photo/Elaine Thompson

Wenn sich zwei streiten, freut sich der See-Elefant

Wenn Weiße Haie also auf weniger beliebte, aber dafür sichere Jagdgebiete ausweichen, profitieren die See-Elefanten davon. Zwar müssen auch sie gewisse Einbußen durch die Orcas hinnehmen – sobald diese aber weiterwandern, haben die Robben die Gewässer um die Inseln quasi für sich alleine. Die Daten der Forscher zeigen, dass in den Jahren, in denen die Haie vertrieben wurden, die Verluste der See-Elefanten auf ein Viertel sanken.

See-Elefanten übrigens sind selbst die größten Vertreter aus der Ordnung der Raubtiere. Vom Jäger zum Gejagten machen sie erst Orcas oder eben Weiße Haie. Es gibt eben immer noch einen Größeren. (pkm, 22. 4. 2019)