"Post & pray" reicht nicht gegen Fachkräftemangel: Dejan Jovicevic (Der Brutkasten), Susanne Pauser (Wüstenrot Württembergische Versicherung), Christian Moser (Parkside) und Markus Tomaschitz (AVL List). Karin Bauer hat die Diskussion zum Fachkräftemangel beim Personalkongress "PoP – Power of People" in Rust moderiert.

Foto: Thomas Magyar

Die Not ist groß: Das sagen Firmen zum Thema Fachkräftemangel. Glaubt man den Erhebungen der Wirtschaftskammer, dann fehlen in Österreich quer durch die Professionen über 100.000 speziell ausgebildete Leute, vom Koch bis zur Data-Scientist.

Es gibt sie nicht, sie kommen nicht, sie bleiben nicht, es gibt immer weniger Junge, die Leute wollen nur in den urbanen Hotspots arbeiten – die Liste der Erklärungen vonseiten der Firmen ist lang. Was stimmt? Woran liegt es wirklich? Und: Liegt nicht vielleicht doch ein Teil der Schuld bei den Unternehmen?

Diese Fragen haben auch das Jahresforum für die Personalwirtschaft in der Vorwoche in Rust beschäftigt. Es ging hart zur Sache und hart ins Gericht: "Eine gesunde Selbstkritik ist schon angebracht", sagt Dejan Jovicevic, Co-Gründer des Tech- und Innovationshubs "Der Brutkasten". Oftmals, sagt er, seien die Versprechen super, was dann an Wirklichkeit in Unternehmen erlebt werde, passe mit dem Hochglanz aber gar nicht zusammen. "Das ist natürlich fatal." Es gehe um die Stimmigkeit des gesamten Prozesses, so Jovicevic. "Candidate-Experience" heißt das modern, alles, was Menschen im Kontakt mit dem jeweiligen Unternehmen erleben, ist gemeint.

Keine Antwort

Laut Umfragen gehört dazu, dass zwei Drittel auf Bewerbungen nicht einmal eine Antwort erhalten. "Torten und Obst sind auch nicht der Catcher, sondern authentische Arbeitsumgebungen und -inhalte." Auf Festivals tolle Neuerungen zeigen und die Leute dann kasernieren in Prozessen und Abläufen sei ein Teil des Fachkräfteproblems, ist er überzeugt.

Susanne Pauser, im Vorstand der Wüstenrot und Württembergischen Versicherung für Personal zuständig, stimmt ein: "Wir Personalverantwortlichen müssen uns schon fragen, ob wir Teil der Lösung oder Teil des Problems sind." Die Antwort fällt unangenehm aus. Pauser fordert "fachliche Exzellenz" ein, die koste "keinen Cent": Wer ruft Bewerber zurück? Wie schnell fallen Entscheidungen? Wie intensiv versuche ich zu messen, ob die Leute zu Hause beim Remote Working auch wirklich ihre acht Stunden abarbeiten?

Als Versicherer mit "wenig sexy Produkten in Stuttgart" habe sie ein Standortthema. "Die Leute wollen nach Hamburg, Frankfurt, Berlin, München. Da brauche ich Führungskräfte, die nicht die Krise kriegen, wenn einer sagt, er will nur drei Tage im Büro anwesend sein." Apropos: Mobiles Arbeiten versucht sie gerade in den Tarifvertrag hineinzuverhandeln. Mit der Güte der Führungskräfte geht sie allerdings hart ins Selbstgericht. Auch was ihren aktuellen Mangel an Gutachtern für Schadenfälle betrifft. Da habe man jahrelang nichts gemacht, nun sitze man auf dem Ergebnis

Drei Berufe

Markus Tomaschitz, Personalchef des mit rund 10.000 Mitarbeitern in der Antriebstechnik international tätigen AVL List, sagt es klar: "Mindestens 95 Prozent der Leute verlassen die Firma wegen der Führungskraft. Es ist eigentlich erschütternd, dass wir da nicht sehr viel weiter gebracht haben." Tomaschitz hat aktuell 808 Positionen offen, 291 davon in Graz. "Ich könnte heute besetzen, wenn es die Leute gäbe." Es fehle das Skill-Set, etwa spezielle Kalibrateure in seinem Fall. Tomaschitz: "Da gibt es niemanden in Österreich, zwei in Europa – und wie kriege ich die nach Graz?"

Abgesehen von solchen speziellen Anforderungen ist die Runde schnell bei der mangelnden Berufsorientierung. Tomaschitz: "Junge kennen drei Berufe. Den der Mutter, den des Vaters und noch den des Lehrers."

Wiewohl: Politik und Rahmenbedingungen werden nicht als Sündenböcke herangezogen in dieser Diskussion. Ja, es gebe strukturelle Hemmnisse, wie etwa die Auflagen der Rot-Weiß-Rot-Karte, die eine bestimmte Verdiensthöhe und das Vorhandensein einer Wohnung verlangt. Ja, und der Umgang mit qualifizierten Asylwerbern erfreut die Runde auch nicht. Grundsätzlich sehen sich die Personalverantwortlichen aber selbst im Handlungsimperativ.
Und was geschieht?

Tomaschitz ist mit vielen Projekten in Schulen, finanziert sechs Stiftungsprofessuren, arbeitet in Graz mit 300 Studierenden, bezahlt eine Menge an Headhunter und Personalvermittler, investiert heftig in Arbeitgebermarketing und versucht über algorithmische Sucherweiterung elektronische Spuren der gesuchten Spezialisten zu finden.

Also eher die Frage: Was macht ihr nicht? "Wir machen alles, was möglich ist." Erfolgreich sei etwa auch, die Leute länger im Unternehmen zu halten. "Ich habe aktuell über 100 Menschen über dem Pensionsantrittsalter, ich war damit sogar im ORF", lacht er. Weiters habe AVL List eine Reihe Start-ups zugekauft, um das dort tätige Personal zu integrieren. Das sei mäßig erfolgreich: "Wir verlieren 50 Prozent wieder."

Auf Augenhöhe

Christian Moser, Personalchef des Software-Engineering-Unternehmens Parkside in Graz, wirkt da eher wie ein Exot. Er hat nicht wirklich Probleme, Developer zu finden, schaffte es kürzlich sogar, einen Fachmann aus Kolumbien gegen ein Angebot von Amazon zu engagieren. Sehr viel gezahlt? "Gar nicht, wir zahlen marktübliche Gehälter." Aber man begegne einander auf Augenhöhe, nichts sei outgesourct im Recruiting oder in der Suche oder im Onboarding.

Der Beitrag, den Unternehmen selbst gegen den sogenannten Fachkräftemangel leisten können, wird in diesen 90 Minuten gut sichtbar. Die rund 200 Personaler im Publikum machen Notizen. Letztlich bleibt vereinfacht: Dort, wo die Kultur stimmt, ist es leichter. Dort, wo die Menschen als solche gesehen werden statt als Ressource, die zweckdienlichst eingesetzt wird, klappt es besser. Dort, wo Personalchefs selbst gerne arbeiten, ist nicht "ein anderer" verantwortlich. (Karin Bauer, 20.4.2019)