Sie sei "Gerechtigkeitsfeministin", sagt Miriam Cahn. Erst wenn es gleiche Rechte gebe, könne man anfangen, über Unterschiede zu sprechen.

Foto: Rudolf Sagmeister/Kunsthaus Bregenz

Depp. Arschloch. Blöd. Doof. Miriam Cahn redet so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Unverblümt. Direkt. Und so malt sie auch. Pornografisches. Tabuisiertes. Sex und Gewalt. Männer und Frauen als Täter wie Opfer. Aber auch weniger Intimes. Bis zu fünf Zeitungen liest sie pro Tag. Die Nachrichten kriechen in ihre Bilder. Krieg. Flugzeugträger. Raketen. Flüchtlinge.

Cahn taucht viele ihrer Motive in Farben, deren Grellheit oft vibriert. In ihren Anfängen allerdings schuf die 1949 in Basel geborene Künstlerin nur Zeichnungen. Mit schwarzer Kreide und dem Einsatz des ganzen Körpers füllte sie riesige Blätter. Die Unmittelbarkeit, das Körperliche ist zentral. Ihr Zeichnen wird performativ. Ein Rückenleiden zwang sie, sich neu zu erfinden. Ihre Malerei ist nicht weniger dynamisch. Nichts wird korrigiert. Distanz lehnt sie ab.

Gewalt und Erregung: o.t. (19. + 24.09.2017) von Miriam Cahn.
Foto: Markus Tretter - Galerie Jocelyn Wolff/Meyer Riegger - Miriam Cahn, Kunsthaus Bregenz

70 wird Cahn heuer. Fünf großen Solos – in Bern, München, Warschau Madrid und eben in Bregenz – sind ihr gewidmet. Strahlend, ja euphorisch ist sie, als wir sie im Kunsthaus zum Interview treffen.

STANDARD: Wütend, zornig, aggressiv. Das taucht oft auf, wenn man über Ihre Arbeit liest. Sind Sie ein wütender Charakter?

Cahn: Zornig sein ist ein guter Motor. Das heißt ja nicht, dass ich ständig zornig bin. Es ist aber in der Kunst ein gutes Verfahren.

STANDARD: Es klingt aber sehr provokativ, wenn Sie sagen, aggressiv sein sei gut, Frauen müssten sich wehren und zuschlagen.

Pornografie und Feminismus: o.t. (27.06.2018) von Miriam Cahn.
Foto: Markus Tretter - Galerie Jocelyn Wolff/Meyer Riegger - Miriam Cahn, Kunsthaus Bregenz

Cahn: Das Wort Aggression ist psychologisch negativ besetzt, im Gespräch kann sie jedoch manchmal nützlich sein. Frauen müssen zornig sein und im Zorn handeln. Genauso wie ich im Zorn male oder schreibe, ihn als Werkzeug nutze. Frauen müssen wirklich lernen, sich mehr zu wehren. Die Sozialisation als sanft und mütterlich und dieses ganze Gerümpel, das ist jetzt wirklich lange passé.

STANDARD: Wie aus einer anderen Zeit wirkt die Aussage: "Frau sein, aber wie ein Mann leben, wie ein Mann arbeiten." Warum war Ihnen in der Formulierung diese Unterscheidung wichtig?

Cahn: Als Kind wollte ich "Künstler" werden. Ich hatte Bücher über Picasso. So wollte ich werden! Als Kind macht man die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern nicht, und das finde ich wertvoll. Denn es geht um das, was man sieht: die Arbeit.

Liebe und Unterwerfung: "zähne zeigen" (2018, rechts) und andere Bilder von Miriam Cahn.
Foto: Anne Katrin Feßler

STANDARD: "Wie ein Mann arbeiten" bezieht sich also nicht auf die Vorstellung vom männlichen Genie, der sich viel rücksichtloser nur auf das Schaffen konzentrieren kann und das Familiäre delegiert?

Cahn: Doch, das heißt es natürlich auch. In meiner Generation musste man sich entscheiden. Ich wollte keine Familie, ich wollte nur die Kunst. Aber ich hab hintendran nicht das Huscherle, das alles für mich macht, kochen, Büro und alles. Ich habe keine Assistentin. Ganz bewusst nicht. Daher ist alles vereinfacht. Ich glaube, das macht die Frische dieser Ausstellung aus. Dieses Vereinfachen des Kunstbetriebs, der sich aufplustert, damit alle ihr Geld verdienen. Es ist gut, dort sein Geld zu verdienen, das war auch mein Ziel. Aber ich fand nie, dass ich deshalb ein Unternehmen gründen muss. Aber ich arbeite sonst tatsächlich wie ein Mann. Ich bestimme, was geht. Ich bin die Chefin.

Krieg und Tod: "MARE NOSTRUM" (2008 + 27.06.2017) von Miriam Cahn
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, Galerie Jocelyn Wolff, Paris, und Meyer Riegger, Berlin / Karlsruhe © Miriam Cahn, Kunsthaus Bregenz

STANDARD: Ich weiß nicht, wie oft Georg Baselitz gesagt hat, Frauen könnten nicht malen. Würden Sie ihm gerne mal die Meinung geigen?

Cahn: Ach, das ist ein Arschloch. Wenn er das noch immer findet, muss ich leider sagen: "Wenn Malen diese schlechte Malerei ist, die Sie machen, dann muss ich gar nicht malen können." Der ist einfach eingebildet! Seinen Trick mit dem Umdrehen der Leinwände, den kennt jede Künstlerin, jeder Künstler – das kann schnell passieren im Tun. Aber der Baselitz-Trick verkauft sich gut, alle finden den großartig. Dieses Bedienen der Kunstwelt ist superschlau. Vom Verkauf von Kunst verstehen er und sein Galerist etwas.

"Da kriegt man ja Glöckle", kommentiert Miriam Cahn geschlechtliche Ungerechtigkeiten – so etwa den Umstand, dass erst im Jahr 2010 eine Frau (Kathryn Bigelow 2010) den Regie-Oscar gewann. Gute Laune machte Cahn hingegen die Hängung ihrer Ausstellung in Bregenz.
Foto: Rudolf Sagmeister/Kunsthaus Bregenz

STANDARD: Was bedeutet es für Sie, im Heute Feministin zu sein?

Cahn: Ich zitiere immer wieder gern Pipilotti Rist. In den Nullerjahren, als der Feminismus out war und man sagte, das sei gegessen, sagte sie: Feminismus ist Ehrensache. Das stimmt für mich. Es ist ja eine Schande, dass #MeToo noch nötig ist. Also bin ich Feministin. Wenn es nicht mehr nötig ist, über Machtverhältnisse zu sprechen, bin ich es nicht mehr.

STANDARD: Als Feministin malen Sie bewusst auch pornografische Bilder. Ihre Frauen schauen zurück, lachen den Betrachter an. Wofür steht das Lachen?

Cahn: Dieses Lachen ist ein Zähnezeigen. Das kennen wir alle. Frauen machen das wahnsinnig oft: Jemand ist bös zu dir, und eigentlich müsstest du dem eine schwingen, aber du schaffst es nicht, also lachst du. Bei den Hunden und Wölfen und anderen Tieren ist das genauso: Sie ziehen die Lefzen hoch, werfen sich auf den Rücken und zeigen dem Feind den Bauch. Diese Unterwerfungsgeste finde ich sehr interessant – wir sind ja auch Säugetiere. Diese Geste zeigt natürlich den Zustand.

Sich auf schmalen Pfaden die Bildwelten Cahns erwandern (Einblick in die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz).
Foto: Markus Tretter - Galerie Jocelyn Wolff/Meyer Riegger - Miriam Cahn, Kunsthaus Bregenz

STANDARD: Apropos Zustand. War das eine typische Respektlosigkeit gegenüber Frauen, was bei der Documenta 7 geschah? Rudi Fuchs hatte Arbeiten eines anderen zu Ihren dazugehängt, woraufhin Sie Ihre Bilder zurückzogen.

Cahn: Ich wollte nicht abhängen, ich hab furchtbar heulen müssen. In dem Fall war es das Konzept, und es traf auch andere: Jonathan Borofsky tigerte verzweifelt herum, und ich sah diesen Riesenmann heulen, weil Fuchs ihm Malerei zur Installation seines raumgreifenden Hammering Man dazuhängte. Er konnte nicht so wie ich seine Arbeit unter den Arm nehmen und ins Hotel bringen. Ich konnte das. Ich hab die Zeichnungen abgerissen und zusammengelegt. Was allerdings frauenspezifisch war, war, nachher vor der Weltpresse zu sagen: Frau Cahn ist neurotisch. Das war wirklich das Letzte. Unverzeihlich. (Interview: Anne Katrin Feßler, 18.4.2019)

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Wie alles im Innersten zusammenhängt

Miriam Cahn serviert im Kunsthaus Bregenz schwere Kost, raffiniert in Szene gesetzt

Bregenz – Dem "Bettongg" sei gedankt. Zwar hat Miriam Cahn mit Peter Zumthors Betonbau gerungen – viel zu sakral erschien ihr das Kunsthaus –, aber das Ergebnis ist Etage für Etage grandios geworden. Der schweren, dominanten Architektur stellt sie etwa erst recht kleine Bilder entgegen, lockt so, gemäß dem Ausstellungstitel "Das genaue Hinschauen", ganz nahe heran.

Original oder Kopie? Das interessiert hier nicht. Vielmehr holt Miriam Cahn die Besucher mit kleinen pornografischen Bildern ganz nah heran.
Foto: Markus Tretter - Galerie Jocelyn Wolff/Meyer Riegger - Miriam Cahn, Kunsthaus Bregenz

Oder: Weil sie dem brachialen Material der Wände nicht mit Nägelchen zu Leibe rücken konnte, hat sie ihre Zeichnungen kurzerhand in diagonalen Bahnen auf dem Boden ausgelegt, lässt so ihre Bildwelten auf Betrachtungspfaden durchwandern. Übermannsgroße Blätter schweben an Fäden wie Theaterprospekte, verwandeln den Raum in eine Bühne. Zum Schluss bekommen Farbe und Malerei ihren großen Auftritt, lässt Cahn große und kleine Leinwände rhythmisch wechseln.

Wie Theaterprospekte hängen ihre großformatigen Arbeiten von der Decke, schaffen ein bühnenartiges Setting.
Foto: Anne Katrin Feßler

Der Leichtigkeit der Inszenierung stehen die Inhalte oft entgegen. Brutal direkt sind ihre pornografischen Variationen auf Gustave Courbets "Ursprung der Welt": Pralle Geschlechtsteile leuchten im Zustand der Geilheit, werden aber durch herausfordernd lachende Gesichter ergänzt. Burkas werden gelüpft, Schwänze bearbeitet, Fäuste in Gesichter gedonnert. Daneben: Augenwesen, menschliche wie tierische. Existenzielles neben Pflanzen. Und nahe beim Ekstatischen Ertrinkende im Blau des Mittelmeers. Für Cahn ist alles, auch das Unbegreifliche, Teil desselben Kosmos. Arg und intensiv. (kafe, 18.4.2019)