Wilhelm Kirstein ist der Blockmalz-Mann. Er war es, als sein Großvater das dunkle, malzige Zuckerl Kindern weit über die Grenzen Österreichs hinaus schmackhaft machte. Und er blieb es, als sein Vater den Traditionsbetrieb, ohne die Familie in das Vorhaben einzuweihen, an die Konkurrenz verkaufte, infolgedessen die Marke unter wechselnden Eigentümern dem Vergessen anheimfiel. "Ich wurde ins Zuckerlgeschäft hineingeboren, und dieses ließ mich nie wieder los. Mein Großvater hat die Marke Kirstein wohl für mich erfunden."

Das Geheimrezept seines Zuckerls? "Frische Milch", sagt Wilhelm Kirstein, damit könnten nur wenige Süßwarenhersteller umgehen.
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Kirstein war Anfang 30, als sein Vater in den 70er- Jahren sämtliche Anteile und Markenrechte an der Fabrik an Englhofer veräußerte. "Ich wollte damals in schnellere Maschinen investieren, die Produktion in Zuckerln und Gummiwaren aufteilen." Er hätte damit Erfolg und bis heute Bestand gehabt, trotz aufstrebender deutscher Süßwarenriesen wie Haribo, ist sich Kirstein sicher.

"Doch ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Es war, als wäre ich im falschen Film." Kirstein wechselte als Manager in die internationale Industrie, arbeitete für Energiekonzerne wie die finnische Neste Oyi, lebte im Ausland – ohne dabei jedoch das Gedeih des Milchzuckerls aus den Augen zu verlieren. Er wartete ab. Mehr als 40 Jahre lang. Bis sich über einen geschickten Schachzug die Gelegenheit ergab, wichtige Markenrechte rund um das Wiener Blockmalz zurückzuholen.

Das war 2017. Nun ist er 78 und der vermutlich älteste Jungunternehmer des Landes. Als Start-up bezeichnet sich Kirstein nicht, lieber sieht sich der gelernte Konditor und Chocolatier als Arrangeur, der zwischen Vertriebs- und Produktionspartnern die Fäden zieht.

An jedem Bahnhof Österreichs war der Malzmann einst plakatiert, die Marke bekannt wie Manner, erzählt der Urenkel des Erfinders.
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Der Wiedereinstieg war leichter als gedacht, erzählt er. Denn kleine Fachhändler hätten das Aufleben des Traditionszuckerls freudig begrüßt. Als harte Nuss erweisen sich freilich große Supermärkte, in die sein Malzmännchen bislang keine Zehe bekam. "Aber damit bin ich in guter Gesellschaft. Auch Red Bull brauchte für eine Listung zwei bis drei Jahre."

Kirsteins Ugroßvater Ludwig erzeugte vor 140 Jahren als Bäcker erste Malzzuckerln. Dessen Sohn Emil schuf in Wien 1912 dafür eine Fabrik, die auf bis zu 200 Mitarbeiter heranwuchs. Der süße Markt war eine boomende Branche und der Großvater ein gewiefter, leidenschaftlicher Geschäftsmann, erinnert sich sein Enkel. "Er hatte eine der modernsten Zuckerlfabriken Europas – mit einer Marke so stark wie Manner." An jedem Bahnhof Österreichs sei der Malzmann großflächig plakatiert gewesen. Über Lizenznehmer fand er den Weg bis Barcelona. "Ein spanisches Kirstein-Sackerl hüte ich bis heute wie meinen Augapfel."

Kirsteins Ugroßvater Ludwig erzeugte vor 140 Jahren erste Malzzuckerln. Sein Sohn Emil schuf dafür eine eigene Fabrik.
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Emil Kirstein starb, sein Sohn verkaufte an den Grazer Fabrikanten Englhofer, der 1997 wiederum unter das Dach von Nestlé kam. Wenig später holte sich die deutsche Süßwarengruppe Storck das Zuckerl. Es duellierte sich bei ihr mit der Marke "Werther's Echte", zog den Kürzeren und ward bald im Handel nicht mehr gesehen.

Dass der gesamte Zuckerlmarkt seine goldenen Zeiten weit hinter sich hat, schreckt den Urenkel des Gründers nicht ab. "Schrumpfen – was für ein grausliches Wort." Er lässt das Blockmalz – "ein Hausmittel gegen Hustenreiz" – in drei Sorten bei einem bayerischen Familienbetrieb produzieren und über die Salzburg Schokolade vertreiben. "Einige hundert Händler" in Österreich und Bayern nahmen sie in ihr Sortiment auf, einzelne Lieferungen gehen bis nach Fernost.

Kirstein: "Mein Großvater hat die Marke für mich erfunden"
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Gewinne werfen die Zuckerln keine ab, was aber nach erst zwei Jahren nicht wirklich verwunderlich sei, sagt Kirstein. Was ihn mehr sorgt, ist der Blick in die Zukunft: Rein statistisch gesehen, lebe er ja gar nicht mehr. "Falle ich um, ist die Marke weg." Seine Kinder schätzten zwar sein neues Engagement als Unternehmer, sie stiegen aber eher nicht in seine Fußstapfen.

Also hält er nach starken Partnern wie Lindt oder Nestlé Ausschau, wie auch nach jungen Leuten, denen die Marke lieb sei und "die das Know-how eines alten Kerls wie mich brauchen können". (Verena Kainrath, 18.4.2019)