Die Fridays for Future ziehen viel Ressentiment auf sich. Nach Ansicht der Philosophin Elisabeth Nemeth sind die jungen Leute die rationalsten Akteure im Feld politischen Handelns. Im Gastkommentar erklärt sie, dass die Fridays for Future der derzeitigen Politik sogar etwas Entscheidendes voraushätten: den Bezug zur Realität.

Den jungen Leuten der Fridays-for-Future-Bewegung flogen vor kurzem Versatzstücke aus der Philosophie um die Ohren. Nico Hoppe bot Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf, um zu plädieren, dass "die Naturbeherrschung im dialektischen Sinne aufgehoben und auf höherer Stufe überwunden werden" solle. Was das bedeutet, sagte er nicht.

Den erhobenen Zeigefinger, mit dem die Individuen zu besserem Verhalten ermahnt werden, habe ich zuletzt bei der Umweltministerin gesehen. Ihrer Weisheit letzter Schluss: "Jeder muss sich halt selbst bei der Nase nehmen und vielleicht einmal mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren." Der Zynismus ist atemberaubend.

"Uns ist die Zukunft nicht egal": Protestbotschaft in Berlin.
Foto: APA/AFP/ODD ANDERSEN

Standardformeln ...

Warum ziehen die Fridays for Future so viel Ressentiment auf sich? Vielleicht liegt es ja daran, dass die jungen Leute derzeit die rationalsten Akteure im Feld politischen Handelns sind – zumindest in Österreich. Sie sind weit und breit die Einzigen, die darauf setzen, ihre politischen Ziele an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren, sie sachlich zu begründen und argumentativ zu rechtfertigen.

Aus den Äußerungen unserer Politikerinnen und Politiker sind wissenschaftliche Expertise, Argumente und Begründungen schon längst verschwunden. An deren Stelle sind Formeln wie "Es kann nicht sein, dass ..." und "Ich will nicht haben, dass ..." getreten – nichts als individuelles Gutdünken. Wenn sie zu Standardformeln der politischen Rede werden, suggerieren sie den Menschen die Illusion, die Welt könne je nach Gutdünken beliebig hierhin oder dorthin gesteuert werden – ohne Aufmerksamkeit für die Realität, ohne nachvollziehbare Begründung und koste es, was es wolle.

Fridays for Future am Wiener Ballhausplatz an die Politik: "Wir streiken, bis ihr handelt."
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... oder Realitätsbezug

Wer die politischen Forderungen der Fridays for Future im Internet liest, sieht sich in eine völlig andere, rationale politische Kultur versetzt. Und die Forderungen haben mit der Perspektive Horkheimers und Adornos sogar einiges gemeinsam. Die Aufgabe politischen Handelns sehen sie nämlich darin, mithilfe des enormen Wissens, das die Wissenschaften erarbeitet haben, die Wirkungen der modernen Naturbeherrschung selbst zu beherrschen und zu gestalten. Wissenschafter haben für diese nie dagewesene Herausforderung die Bezeichnung Anthropozän gefunden. In welchem Ausmaß es gelingen wird, dieser produktiv zu begegnen, ist völlig offen.

Die Fridays for Future haben der derzeitigen Politik etwas Entscheidendes voraus: den Bezug zur Realität. Deshalb werden sie sich auch nicht stoppen lassen. Und schon gar nicht durch pseudophilosophische Verwirrspiele. (Elisabeth Nemeth, 18.4.2019)