Nach dem Angriff wieder zu unterrichten sei ihm sehr schwer gefallen, sagt Kiki Leyba. "Ich hatte Angstgefühle. Ich konnte kaum erwarten, dass endlich Pause war und meine Schüler das Klassenzimmer verließen." Als der Englischlehrer endlich allein war, schaltete er das Licht aus, schloss die Tür von innen ab und legte sich hinter seinen Tisch auf den Fußboden, wo ihn eine Panikattacke überkam.

In langen Gesprächen mit Laura Farber, einer ehemaligen Schülerin, hat Leyba geschildert, was in ihm vorging, als seine Schule versuchte, zu etwas zurückzukehren, was Außenstehende ein wenig vorschnell, ein wenig unbedacht Normalität nennen. Farber hat es zu einem Film verdichtet. Nicht nur Leyba kommt darin zu Wort, auch vier ihrer einstigen Mitschüler beschreiben, wie das Leben nach dem ersten Schusswaffenmassaker an einer amerikanischen Schule weiterging.

20. April 1999: Schüler flüchten, beschützt von Polizisten, vom Gebäude der Columbine High School.
Foto: AFP / Mark Leffingwell

Am Samstag ist es 20 Jahre her, dass zwei Jugendliche in Trenchcoats in die Columbine High School in Littleton, Colorado, marschierten und zwölf Schüler und einen Lehrer umbrachten, bevor sie sich selbst das Leben nahmen. Farbers Dokumentation ist in den USA in aller Munde, gerade jetzt, rund um den Jahrestag.

Angst vor neuem Angriff

Für Aufregung sorgte dieser Tage auch eine 18-Jährige, die laut FBI eine Besessenheit in Bezug auf das Columbine-Massaker an den Tag legte und als "bewaffnet und gefährlich" eingestuft worden war. Aus Angst vor einem möglichen Angriff waren die Columbine High School und weitere Schulen im Großraum Denver am Mittwoch geschlossen geblieben. Kurze Zeit später wurde die 18-Jährige tot aufgefunden. Laut den Behörden hat sie vermutlich Suizid begangen.

Was die Doku von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass keiner der beiden Schützen auch nur ein einziges Mal beim Namen genannt wird. Es geht allein um die Überlebenden. Um Amy und Jaimi, heute Frauen Mitte dreißig, die eine Sozialarbeiterin, die andere Krankenschwester. Um Gus, der Rapper wurde. Um Zach, der als Sportlehrer an die Schule zurückkehrte.

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Gedenkveranstaltung in Littleton am 25. April 1999, fünf Tage nach dem Blutbad.
Foto: AP/Eric Gay

Es habe sich angehört, als laufe eine Musikkapelle über den Flur, "nur dass die Leute ihre Instrumente nicht spielten, sondern darauf einzuhämmern schienen", beschreibt Amy, was sie wahrnahm, als sie in der Kantine unter einem Tisch kauerte. Heute, sagt sie, suche sie schnell das Weite, wenn sie das Gefühl habe, ein Streit könnte sich hochschaukeln, eine Situation außer Kontrolle geraten.

Schlafstörungen und Drogenkonsum

Jaimi, seinerzeit Kapitänin der Basketballmannschaft, litt lange an Schlafstörungen und begann Marihuana zu rauchen. Bis vor drei, vier Jahren habe sie es in keinem Raum ausgehalten, dessen Tür sie nicht sehen konnte, weil sie mit dem Rücken zur Tür saß. Bis zum 19. April 1999, erzählt Zach, habe er sich hauptsächlich Gedanken darüber gemacht, ob seine Klamotten cool genug waren. "Vom nächsten Tag an beschäftigte mich, wie sich jemand fühlt, wie man sich kümmern kann."

Das Blutbad von Littleton hat die Amerikaner nicht nur aufgewühlt, es ließ auch den Ruf nach strengeren Kontrollen laut werden. Direktoren ließen Metalldetektoren aufstellen, um zu verhindern, dass Waffen in die Klassenzimmer geschmuggelt werden. Mancherorts sind sie wieder verschwunden, versprechen sie doch keinen wirklichen Schutz: Amokläufer reihen sich nicht vor Unterrichtsbeginn in eine Warteschlange ein, sie kommen unangekündigt.

Der Trailer zu Laura Farbers Dokumentarfilm "We are Columbine".
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Wächter, die mit Waffe Patrouille gehen, sind ebenfalls selten zu sehen: Eine Schule sei keine Kaserne, wehren die Gegner solchen Maßnahmen ab. Versuche, den Erwerb halbautomatischer Gewehre zu erschweren, scheiterten regelmäßig im Parlament, sie scheiterten am Einfluss der National Rifle Association, der Waffenlobby.

Von Geiselnehmern ausgegangen

Was sich seit Columbine verbessert hat, ist die Kommunikation. Sobald Direktoren oder Polizisten Gefahr im Verzug sehen, senden sie SMS auf tausende Handys. Beamte reagieren deutlich schneller, als es in Littleton der Fall war. Dort vergingen 47 Minuten, bis Sondereinheiten der Polizei das Gebäude betraten. Zunächst glaubte man, es mit Geiselnehmern zu tun zu haben, die Forderungen stellen würden. "Dass die beiden nicht verhandeln wollten, sondern nur töten, darauf war niemand eingestellt", schreibt der Journalist Dave Cullen in einem preisgekrönten Buch. Hingen damals in weniger als einem Fünftel der Schulen Überwachungskameras, so sind sie inzwischen in über 90 Prozent installiert.

Trailer der preisgekrönten Doku "Bowling for Columbine", in der Michael Moore, ausgehend vom Columbine-Massaker, den Waffenhandel in den USA thematisiert.
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Und zum Alltag gehören Übungen für den Fall, dass jemand zu schießen beginnt. Vorhänge zuziehen, das Klassenzimmer verdunkeln, unter Tische oder in Schränke kriechen. Mindestens zweimal im Jahr wird der "lockdown" trainiert, auch etwas, was man vor Columbine nicht kannte. In Laura Farbers Film erzählt Frank De Angelo, der Schuldirektor, irgendwann von den vielen Details, die sie nach dem Blutbad ändern mussten. Zum Beispiel den Speiseplan. Am 20. April 1999 war chinesisch gekocht worden, darauf mussten sie später lange verzichten. Es hätte, sagt De Angelo, traumatische Erinnerungen geweckt. (Frank Herrmann aus Washington, 19.4.2019)