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Ed O'Callaghan, William Barr und Rod Rosenstein (von links) bei der Pressekonferenz zum Mueller-Report.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/WIN MCNAMEE

Als Robert Mueller zum Sonderermittler berufen wurde, um die Russland-Akte unter die Lupe zu nehmen, bekam Donald Trump einen Wutanfall. "Oh mein Gott, das ist furchtbar. Das ist das Ende meiner Präsidentschaft", soll er getobt haben. Es gipfelte in Worten, die man vielleicht besser im Original wiedergibt: "I'm fucked!"

Jeder sagte ihm, wenn er es erst mit einem dieser Sonderermittler zu tun habe, sei seine Präsidentschaft ruiniert, schimpfte der Mann im Oval Office. Es dauere Jahre, und in dieser Zeit werde er zu nichts anderem kommen. Dies sei das Schlimmste, was ihm passieren konnte, beschwerte er sich bei Jeff Sessions, dem Chef des Justizressorts. Die Ernennung des Justizministers sei seine wichtigste Personalentscheidung gewesen. Nun aber lasse ihn Sessions im Stich, statt ihn, den Präsidenten, zu schützen, wie es ein Eric Holder im Falle Barack Obamas getan habe. "Wie konntest du das geschehen lassen, Jeff?"

448 Seiten Lesestoff

Offensichtlich war es Sessions, einst der erste Republikaner von Rang, der sich hinter den Kandidaten Trump stellte, später in Ungnade gefallen, der Mueller erzählte, was sich im Frühjahr vor zwei Jahren hinter den Kulissen des Weißen Hauses abspielte. Detailgenau schildert es Mueller in dem Bericht, den er nach 22 Monaten akribischer Recherche über das schrieb, was Kritiker Trumps die Russland-Affäre nennen.

Seit Donnerstag ist der Report publik, wenn auch nur in redigierter Fassung. William Barr, ein Justizminister, auf den Trump große Stücke hält, hat ihn freigegeben, allerdings mit geschwärzten Passagen, nachdem er im März kurz zusammengefasst hatte, was er für die Quintessenz hält. Seit Donnerstag lässt sich auf 448 Seiten nachlesen, was Mueller zu Papier gebracht hat. Mit Gewissheit zu beurteilen, was die brisantesten Aussagen sind, ist in der Kürze der Zeit so gut wie unmöglich. Was sich nach schneller Lektüre sagen lässt: Mueller skizziert in vielen Einzelheiten – auch, wie energisch sich Trump gegen seine Nachforschungen stemmte.

Den obersten Rechtsberater im Weißen Haus, Donald McGahn, rief er im Juni 2017 in dessen Wohnung an, um ihn aufzufordern, Mueller zur Einstellung seiner Ermittlungen zu zwingen. Sein früherer Wahlkampfmanager Corey Lewandowski wiederum sollte Sessions beibringen, dass Untersuchungen zur Causa Russland darauf zu beschränken seien, potenzielle Einmischungsversuche in Zukunft zu unterbinden.

Beide, sowohl McGahn als auch Lewandowski, ignorierten die Order. Der Versuch des Präsidenten, Einfluss auf die Untersuchungen zu nehmen, sei im Wesentlichen daran gescheitert, dass sich Personen in seinem Umfeld weigerten, Befehle auszuführen, konstatiert Mueller. Dies gelte auch für James Comey, den Ex-FBI-Direktor, den Trump aufforderte, Michael Flynn, seinen nach nur drei Wochen im Amt geschassten Sicherheitsberater, in Ruhe zu lassen.

Allein mit Comeys Rauswurf im Mai 2017 sehen Kritiker Trumps den Tatbestand der Justizbehinderung erfüllt (siehe unten). Mueller hingegen überließ es anderen, juristisch zu bewerten, was er an Fakten zusammengetragen hatte. "Während dieser Bericht nicht feststellt, dass der Präsident eine Straftat begangen hat, entlastet er ihn auch nicht", schreibt er. Allerdings: Hätte man nach gründlicher Faktenprüfung Gewissheit gehabt, "dass der Präsident die Justiz eindeutig nicht behinderte, hätten wir es so dargelegt".

Bereits vor knapp vier Wochen waren Barr und Rosenstein eilig zum Schluss gelangt, dass die gesammelten Beweise nicht ausreichten, um Trump wegen Behinderung der Justiz anzuklagen. Als Chef der Exekutive habe ein US-Präsident weitreichende Vollmachten, sodass es in seiner Macht stehe, einen FBI-Direktor zu feuern. Barr ging am Donnerstag, auf einer Pressekonferenz vor der Freigabe des Berichts, noch weiter. Noch eindeutiger, als man es erwartet hatte, stellte er sich vor den Präsidenten: Trump habe sich nach seinem Amtsantritt in einer Lage befunden, die es so noch nie gegeben habe, sagte er. Während das FBI sein Verhalten vor und nach der Wahl unter die Lupe nahm, während die Medien pausenlos über seine Schuld spekulierten, habe ihn der Ärger gepackt. Trump, so Barr, "war frustriert und verärgert".

Mueller soll vor Kongress

Im Übrigen, fügte der altgediente Jurist hinzu, habe das Weiße Haus ohne Abstriche mit Muellers Team kooperiert. Tatsächlich hatte es der Präsident nach langem Hin und Her abgelehnt, sich von Mueller befragen zu lassen. Auf viele der Fragen, die ihm der Sonderermittler schriftlich übermittelte, antwortete Trump, dass er sich an bestimmte Sachverhalte nicht erinnere – ganze 30 Mal.

Der parteiische Auftritt des 68-jährigen Barr dürfte jene Skeptiker bestärkt haben, die ihn voller Sarkasmus fragen, ob er nicht in den Kreis der persönlichen Advokaten um Trump wechseln wolle. Bei den Demokraten sitzt es einfach zu tief, das Misstrauen gegenüber dem Justizminister, den der Staatschef ja gerade mit Blick auf die Freigabe des Mueller-Berichts ins Amt gehievt hat. Nach wie vor verlangen sie die Veröffentlichung des vollständigen Texts. Sie wollen Mueller nun für eine Aussage vor dem Kongress laden, damit dieser seine Sicht darstellen könne. Das forderten am Abend der Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. (Frank Herrmann, 18.4.2019)

"COLLUSION"

Viel Rauch, aber kein Feuer beweisbar

Es ist jene Frage, die zentral war für die Bestellung von Sonderermittler Robert Mueller: Gab es eine geheime, systematische und verbotene Zusammenarbeit zwischen der Wahlkampagne Donald Trumps und dem Kreml – eine "collusion"?

Mueller hat in den zwei Jahre dauernden Nachforschungen keine Beweise dafür gefunden, er hält allerdings klar fest, dass es massive Einflussversuche Russlands gegeben habe. Außerdem werden im 448 Seiten langen Bericht "viele Verbindungen" zwischen Mitarbeitern der Trump-Kampagne und "Personen mit einem Naheverhältnis zur russischen Regierung" geschildert.

Doch genügend Beweise, um Anklage gegen Mitarbeiter wegen Betätigung als unregistrierte russische Agenten zu erheben, gebe es nicht.

  • Konkret heißt es im Bericht, die Kampagne Donald Trumps habe sich im Jahr 2016 "empfänglich" für Hilfsangebote aus Russland gezeigt. Allerdings hätten andere Mitarbeiter immer wieder Rückzieher gemacht, weshalb man nicht habe feststellen können, dass "die Kampagne sich mit den russischen Bemühungen zur Beeinflussung bewusst koordiniert habe".

  • Im Zusammenhang mit der Anklage gegen Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn – er wurde wegen Lügen über Kontakte zu Russlands US-Botschafter gefeuert – gibt es auch Andeutungen zu Trump. "Einige Indizien" würden andeuten, dass der spätere Präsident über die Anrufe Bescheid gewusst habe. Beweise gebe es nicht.

  • Auch im Fall der Veröffentlichung mutmaßlich von Russland gehackter E-Mails der Demokraten durch Wikileaks gibt es Belastendes: Trump habe Zeugen den Eindruck vermittelt, dass er über Veröffentlichungen im Vorhinein Bescheid gewusst habe. Seine Kampagne habe ihre Strategie in Vorabwissen auf Enthüllungen aufgebaut.

  • Beweise hat Mueller für Kontakte von Trump-Sohn Donald Jr. zu Wikileaks gefunden. Dieser habe von Wikileaks das Passwort für eine Website erhalten und sei in direktem Kontakt mit der Organisation gestanden. (mesc)

JUSTIZBEHINDERUNG

Trumps Mitarbeiter nahmen Mueller die Entscheidung ab

Wie so oft in der Politik, wären es fast nicht seine Taten selbst gewesen, die Trump juristisch zur Strecke gebracht hätten, sondern Vertuschungsversuche. Elf Fälle, in denen er Trump der Justizbehinderung verdächtigt, listet Mueller in seinem Bericht auf. Hätten er und sein Team festgestellt, dass Trump kein Verbrechen begangen habe, "dann hätten wir das gesagt", heißt es. "Leider konnten wir nicht zu diesem Schluss kommen." Erst Justizminister William Barr sprach den Präsidenten frei. Unter anderem geht es um diese Punkte:

  • Die Entlassung von FBI-Chef James Comey im Frühsommer 2017, nachdem Trump diesem vergeblich ein Loyalitätsversprechen abverlangt und ihn aufgefordert hatte, "diese Wolke über meiner Präsidentschaft zu heben". Im Bericht hält Mueller fest, dass es "substanzielle Beweise" dafür gebe, Trump habe Comey wegen dessen "Unwillens gefeuert, öffentlich zu sagen, dass gegen ihn nicht ermittelt werde".

  • Außerdem sieht Mueller seine eigene versuchte Entlassung als mögliche Justizbehinderung. So forderte Trump den Rechtsberater des Weißen Hauses, Don McGahn, im Sommer 2017 auf, Mueller zu entlassen. "Mueller muss weg", habe Trump gesagt, "ruf mich an, wenn es erledigt ist." McGahn habe diesem Befehl aber nicht entsprochen.

  • Später soll Trump auch McGahn aufgefordert haben, über diese versuchte Entlassung Muellers zu lügen. McGahn räumte im Oktober 2018 seinen Posten.

  • Zudem geht es um Versuche, die Aufsicht über die Mueller-Ermittlungen in die Hand zu bekommen. Darunter fällt, dass Trump den später entlassenen Justizminister Jeff Sessions aufgefordert hatte, seine an Vize Rod Rosenstein abgegebene Befehlsgewalt über Mueller wieder an sich zu nehmen.

  • Schließlich geht es um Andeutungen Trumps, angeklagten Weggefährten wie Flynn, Anwalt Michael Cohen oder Ex-Wahlkampfchef Paul Manafort dann eine Begnadigung in Aussicht zu stellen, wenn diese nicht gegen ihn aussagen. (mesc)