Hannes Kartnig: "Natürlich war es ein Fehler, dass wir Gehälter schwarz gezahlt haben und bei den Abrechnungen nicht so genau waren. Aber das haben alle gemacht."

Foto: Richard Großschädl, ballesterer

Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #141 (Mai 2019) – Seit 19. April im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

SCHWERPUNKT: DIE WILDEN 1990ER JAHRE

DAS GELD LIEGT AUF DEM RASEN

Als der österreichische Fußball einem Geschäftsmodell glich

IM FREIEN FALL

Der SK Rapid an der Wipplingerstraße

TRANSFERKAISER

Der FK Austria unter Frank Stronach

KOFFERTRÄGER

Der FC Tirol von Klaus Mair

POSSE DER BOSSE

Der GAK unter Rudolf Roth

DER GEIST DER 90ER

Ein Anstoß zum Erbe der wilden Jahre

Außerdem im neuen ballesterer:

"BEIM SCHACH WÄRE ICH DIE DAME"

Josef Hickersberger über Karriere und Hobbys

VON ALTACH BIS ATHEN

Neue Wertschätzung für Damir Canadi

KEIN VERGEBEN, KEIN VERGESSEN

30 Jahre nach der Hillsborough-Katastrophe

PROFESSIONALISIERUNG MIT LÜCKEN

Über den Boom des spanischen Frauenfußballs

KAPITALE FEHLER

Die Roma steht wieder vor einem Umbruch

UKRAINISCHE AVANTGARDE

Weres Riwne ist der erste Mitgliederverein des Landes

ESKALATION IM EUROPACUP

Die Frankfurt-Fans streiten mit der Polizei

MAINZER HEIMWERKER

Die Fans haben sich ihr eigenes Haus gebaut

INSEL DER TRÄUME

Eine Reise durch Englands Stadien

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Deutschland, England und Israel

Hannes Kartnig geht es gut. Im Café Oper in der Grazer Innenstadt sitzt er an seinem Stammtisch, wo vor dem Interview mit dem "ballesterer" auch noch alte Weggefährten gesessen sind. Immer wieder redet der ehemalige Sturm-Präsident über die großen Erfolge des Vereins während seiner Amtszeit. 1998 und 1999 wurde der SK Sturm Meister und überstand in der Champions League die erste Gruppenphase. Der Verein und sein Präsident prägten das Bild des österreichischen Fußballs. Wenn er sich an früher erinnert, lacht er und schüttelt den Kopf: "Es war herrlich", sagt er dann.

2014 wurde Hannes Kartnig wegen schweren Betrugs, Steuerhinterziehung und anderer Delikte zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, die er zum Teil in der Justizanstalt Karlau und zum Teil mit Fußfessel absaß. Seit September 2017 ist er wieder frei. Zu Sturm-Spielen geht er trotzdem nicht mehr, mit seinem alten Verein hat er gebrochen. Aussicht auf Versöhnung gibt es keine.

ballesterer: Sie haben schon 1985 erfolglos als Sturm-Präsident kandidiert. Sieben Jahre später sind Sie dann gewählt worden. Warum wollten Sie unbedingt in den Fußball einsteigen?

Kartnig: Ich wollte Meister werden. Die Funktionäre, die damals bei Sturm am Werk waren, haben von Fußball nicht viel Ahnung gehabt. Ich habe schon immer viel Zeit mit alten Kickern verbracht und mir ist vorgekommen, ich könnte da etwas beitragen. Gleichzeitig sind die Vereine in Innsbruck und Salzburg immer besser geworden. Ich habe mir gedacht: "Wir müssen das doch auch schaffen."

ballesterer: Geschäftliche Interessen hatten Sie keine?

Kartnig: Nein, ich war ein Wahnsinniger. Ich habe bei der Übernahme des Vereins für einen alten Kredit von 30 Millionen Schilling gehaftet. Wirtschaftlich hätte das keinen Sinn ergeben. Natürlich habe ich davon profitiert, als Sturm Erfolg gehabt hat. Aber das ist mir passiert, das habe ich nicht wissen können.

ballesterer: Ist sportlicher Erfolg nicht planbar?

Kartnig: Glück spielt eine große Rolle. Es ist wie im Casino, du musst riskieren. Wenn du nicht setzt, kannst du nicht gewinnen.

ballesterer: Sie waren auch Präsident des Grazer Eishockeyvereins. Haben Sie da auch kein geschäftliches Interesse gehabt?

Kartnig: Nein, der Sport fasziniert mich. Ich gehe noch heute gerne in die Eishalle. Aber du hast den Sport gut verkaufen müssen. Die Leute haben keine Ahnung davon, die sehen nicht einmal den Puck, wenn sie bei einem Spiel sind.

ballesterer: Wie haben Sie das gemacht?

Kartnig: Da hat mir mein Trainer Peter Znenahlik sehr geholfen. Er hat gemerkt, dass den Zuschauern die Schlägereien irrsinnig taugen. Also habe ich die Anweisung gegeben, dass sich die Spieler öfter raufen sollen. Die haben sich nicht wehtun sollen, also Handschuhe anlassen und nicht mit den Stecken aufeinander einschlagen, aber die Leute wollten das sehen. Wir hatten eine Mörderstimmung.

ballesterer: Zurück zu Sturm: 1985 haben Sie die Abstimmung um das Präsidentenamt verloren. Warum wollte der Verein Sie nicht?

Kartnig: Die haben ihre Ruhe haben wollen, die hätte ich gestört. Ich wollte etwas machen. 1992 haben sie dann Geld gebraucht und waren plötzlich auf mich angewiesen. Ich habe den Verein saniert. Meine Vorgänger sind sich dafür zu schade gewesen. Die wollten bei den Buffets im VIP-Klub essen und zeigen, dass sie da sind. Ich war ein Macher. Ich habe auch meine Funktion im Eishockey nicht gleich aufgegeben, ich war für zwei Jahre Doppelpräsident – wie Silvio Berlusconi. Der war damals Präsident beim AC Milan und den Devils Milano, dem Mailänder Eishockeyverein. Mit denen haben wir in derselben Liga gespielt.

ballesterer: War Berlusconi Ihr Vorbild?

Kartnig: Nein, da komme ich nicht mit. Der hat viel mehr Geld als ich. Gegen den bin ich ein Mickey-Mouse-Präsident.

ballesterer: Aber wie Berlusconi wollten Sie auffallen. Dafür sind Sie oft angefeindet worden. Hat Sie das gestört?

Kartnig: Nein, das war Strategie. Es hat mich nie persönlich getroffen. Beim Meisterschaftsfinale 1996 haben die Rapid-Fans ein Spruchband gehabt: "Kartnig geh zum Minigolf, Meister wirst du nie." Die haben mich beleidigen wollen, aber für mich war es das Gegenteil. Die Fans haben das Spruchband gemalt, ins Stadion gebracht und hochgehalten. Das ist echte Arbeit. Mich hat das fast geehrt. Ich bin im Gespräch gewesen, und nach dem Spiel habe ich sogar mit einigen Rapid-Ultras ein Bier getrunken. Die haben dann gesagt: "Das ist eh ein leiwander Kerl."

ballesterer: Waren Sie ein Showman?

Kartnig: Ja, ich habe das genossen. Aber ich habe auch etwas getan dafür: Ich habe eingezahlt und Sponsoren angeworben, da darf man das. Der Sport braucht Figuren, die polarisieren. Das verkauft sich besser.

ballesterer: Hat es Momente gegeben, in denen Sie die Aufmerksamkeit genervt hat?

Kartnig: Nur teilweise. Der Osim und der Schilcher haben nicht mit den Medien reden wollen, also habe ich auch über das Sportliche Auskunft geben müssen. Dabei habe ich keinen Einblick gehabt, was die Mannschaft besprochen hat und was die Aufgaben der einzelnen Spieler war. Ich habe dann angefangen, mich in die Kabine zu setzen, um zu hören, was der Matchplan ist. Ich wollte im Fernsehen ja nicht wie ein Trottel dastehen.

ballesterer: Sie haben Ihren Manager und Sportdirektor Heinz Schilcher angesprochen. Welche Rolle hat er gespielt?

Kartnig: Ohne ihn hätte ich das gar nicht gemacht. Er war gut vernetzt und enorm wichtig. Es war seine Idee, den Ivica Osim zu holen. Ich wollte einen anderen, aber er hat mich überzeugt. Als der Osim die Mannschaft das erste Mal gesehen hat, war er völlig fertig. Das war ein echter Kulturschock. Die Spieler haben die Bälle nur von hinten hinausgedroschen. Er ist neben dem Schilcher gestanden und hat gefragt: "Was für einen Sport spielen die?"

ballesterer: Als wir Sie vor acht Jahren das letzte Mal interviewt haben, haben Sie von Ihrer Kindheit als Sturm-Fan in der Gruabn erzählt. 2005 haben Sie das Stadion in Finanznot verkauft. Hat das wehgetan?

Kartnig: Nein, das hat sein müssen. Außerdem hast du dort nicht mehr spielen können. Die Kabinen waren vollkommen veraltet, beim Duschen hast du den Kopf einziehen müssen, sonst hättest du dich angehaut. Ich habe dort herrliche Zeiten erlebt, aber das geht heute nicht mehr.

ballesterer: Waren die 1990er-Jahre die richtige Zeit für Sie, Präsident zu sein?

Kartnig: Ich weiß es nicht, ich glaube, ich war immer anders. Ich habe immer meine Meinung gesagt. Wenn einer ein Dodl ist, dann ist er ein Dodl, und ich sage ihm das auch.

ballesterer: Heute fallen die Präsidenten weit weniger auf. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Kartnig: Diese Präsidenten sind so schwach. Sie müssten Verantwortung übernehmen. Wenn es einmal nicht läuft, müssen sie auf den Tisch hauen und die Spieler auch einmal anschreien. Das kann nicht immer der Trainer machen. Stattdessen wollen alle fein sein. Niemand traut sich mehr, zu einem Spieler "Arschloch" sagen. Das habe ich immer gemacht.

ballesterer: Heute gehen Sie nicht mehr zu Sturm. Liegt Ihnen etwas an einer Versöhnung?

Kartnig: Sie haben mich nicht einmal zur 100-Jahr-Feier eingeladen, weil sie sich nicht getraut haben. Ich weiß nicht, ob ich hingegangen wäre, aber eine Einladung hätte ich verdient.

ballesterer: Wenn der Klub eine Hand ausstrecken sollte, würden Sie sie annehmen?

Kartnig: Ich habe derzeit kein großes Interesse an Sturm. Der Fußball ist eine Gemeinheit, und der Präsident ist ein Banker, der spart und spart. Er hat Angst davor, Geld auszugeben. Der soll den Weltspartag vermarkten, aber keinen Fußballverein. Es müsste nicht einmal sein eigenes Geld sein, er könnte ja Sponsoren auftreiben. Aber dafür ist er nicht demütig genug. Der Christian Jauk ist gewohnt, dass Leute ihn anbetteln.

ballesterer: Dafür steht Sturm auf soliden Beinen.

Kartnig: Aber was bringt das? Der große Wurf wird nicht gelingen. Und wie Sturm spielt, ist eine Katastrophe. Von diesen Kickern wäre kein einziger bei mir im Kader gestanden. Wenn sie unter Druck sind, hauen sie den Ball ins Out. Mehr können die nicht.

ballesterer: Kommen wir noch einmal zu Ihnen. Sie sind zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wie ist es Ihnen im Gefängnis gegangen?

Kartnig: Ich habe nie ein Problem gehabt. Die Leute haben mich gekannt und wollten Autogramme von mir. Häftlinge und Beamte. Ich finde mich überall zurecht, weil ich locker bleibe. Das Leben ist zu kurz, um sich zu verkrampfen.

ballesterer: Gibt es etwas, das Sie bereuen?

Kartnig: Natürlich war es ein Fehler, dass wir Gehälter schwarz gezahlt haben und bei den Abrechnungen nicht so genau waren. Aber das haben alle gemacht. Mich haben sie halt erwischt, weil mich ein Kollege aus dem Vorstand, Klaus Leutgeb, bei der Finanzpolizei angezeigt hat. Der wollte Präsident werden, dafür habe ich weg müssen.

ballesterer: Stört es Sie, dass Sie ins Gefängnis mussten und es gegen die Verantwortlichen des GAK noch immer keine Anklage gibt?

Kartnig: Ich war das Bauernopfer. Aber ich war auch frecher und auffälliger als alle anderen. Die Justiz hat nicht verstanden, dass das alles nur Show war. Dann hat die Staatsanwaltschaft bei mir sehr schnell ermittelt und war konsequent. Der Rudi Roth vom GAK hat ein Glück, dass das bei ihm länger dauert. Aber ich bin ihm nicht böse, ich bin ja schon wieder heraußen. (Moritz Ablinger, Martin Schreiner, 18.4.2019)