Reinhold Mitterlehners Milieuschilderung der ÖVP enthält wenig Christlich-Soziales.

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Sebastian Kurz bleibt bei seinem Stil: Immer wenn er offen Haltung zeigen müsste, verdrückt er sich. Das hat er, wie in Reinhold Mitterlehners Buch "Haltung" beschrieben, lange so gehalten, als es galt, den späteren Autor abzuservieren, er zeigt es seit Beginn seiner Kanzlerschaft, wenn es um die rechtsextremen und migrantenfeindlichen Umtriebe seiner Koalitionskrücke geht, und er tut es, bisher, wieder, indem er andere zur Verteidigung seiner Unantastbarkeit ausrücken lässt. So bleibt unwidersprochen, wenn Mitterlehners Milieuschilderung aus der ÖVP von 2017 wenig Christlich-Soziales enthält, sondern stilistisch eher an stalinistische Säuberungsaktionen erinnert als an die Energie russischer Revolutionäre. Noch in Funktion spürt das Opfer plötzlich, wie Dinge – unausgesprochen vorbesprochen – an ihm vorbeilaufen, als zöge schon ein anderer die Fäden. Tritt der dann hervor, verlangt er als letzten Dienst an der Partei freiwilligen Rücktritt, ein Geständnis aller Irrtümer samt Loblied auf den reinen Liquidator.

Auf Letzteres verzichtet zu haben war ein Fehler, der vormals nicht unterlaufen wäre und nun verspätet der einst siegreichen Fraktion auf den Kopf gefallen ist. Ohne Mitterlehners Erinnerungen als Anlass unmoralischer Erbauung überschätzen zu wollen, machen sie deutlicher, als es Kurz lieb sein kann: Wie lange das türkis-blaue Koalitionsgefährt immer weiterruckelt, der Lack seiner messagekontrollierten Kanzlerschaft ist ab. Weder der Koalitionspartner, dessen identitärer Verseuchung er sich ausgeliefert hat, noch das von Mitterlehner gezeichnete Charakterbild als innerparteilicher Intrigant wollen zum sorgfältig gepflegten Image eines sauberen jugendlichen Hoffnungsträgers passen, unter dessen Regierung das Land aufblühen wird. Die bisherigen Leistungen seiner Regierung haben es von Anfang an nicht getan. Da läuft alles nach dem intrigant anmutenden Rezept, unter möglichst harmlos klingenden Phrasen die Menschen gegeneinander auszuspielen, vor allem Österreicher gegen Migranten.

Schicksalsfrage

Mitterlehner hätte vielleicht gar nicht versucht, einen eingefrorenen Posthornton aufzutauen, stieße er sich nicht heftig an ebendieser Politik. So wie er damit in der Volkspartei nicht allein ist, gibt es dort auch welche, die in dieser Politik noch immer die Rettung der Partei sehen wollen. Es fällt auf, dass darunter einschlägig leidgeprüfte Funktionsvorgänger Mitterlehners sind, die nur auf weniger unfeine Art zum Abtreten veranlasst wurden und nun froh ihren Kotau vor Heiland Kurz machen. Der habe eine ÖVP auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit gerettet, meinte etwa Michael Spindelegger, und Josef Pröll fand, die ÖVP hätte kein Profil mehr gehabt. Auch das kann man als Selbstkritik nehmen.

In Wirklichkeit steckt hinter Mitterlehner gegen Kurz eine lange aufgeschobene Schicksalsfrage, was für eine Partei die ÖVP künftig sein will. Christlich-sozial und sozialpartnerschaftlich steht derzeit nicht im Kurs. Ob ihr die Auslieferung an die Strache-FPÖ ein eigenständiges Profil beschert, ja gar Rettung vor der Bedeutungslosigkeit bringt, die sich manche erhoffen, ist bisher nicht ausgemacht. (Günter Traxler, 18.4.2019)