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Ein Mitarbeiter befestigt das Logo von Gaz (Gorkovsky Automobile Plant) auf einem Auto. Der VW-Partner schlägt wegen Sanktionen Alarm.

Foto: Reuters/MAXIM SHEMETOV

Am Anfang war Amerika. Doch auch das Ende droht aus den USA: Beim russischen Autobauer Gaz herrschen Angst und Ärger. Der vor 90 Jahren mit technologischer Hilfe von Ford von der Sowjetunion aufgebaute Industriegigant kämpft nach Verhängung der US-Sanktionen um seine Existenz. "Die Fabrik wurde von den Deutschen während des Kriegs bombardiert und hat das überlebt. Wenn das Unternehmen aber bis zum 4. Juli nicht wieder zum normalen Geschäft zurückkehren kann, dann gibt es keine Chance zum Überleben", macht der Besitzer Oleg Deripaska die Lage deutlich.

Um Gaz zu retten, sei er bereit, seine Anteile abzugeben, "so wie ich es in der Vergangenheit schon getan habe", sagte er bei einer Fabrikbesichtigung in Nischni Nowgorod dieser Tage auf Nachfrage des STANDARD. Der Oligarch musste schon massive Zugeständnisse machen, nachdem er im April 2018 wegen seiner Nähe zum Kreml auf die schwarze Liste des US-Finanzministeriums gesetzt worden war. Sein gesamtes Firmenimperium von der Landwirtschaft über den Bausektor bis hin zu Metallurgie und Maschinenbau war damals ins Visier der US-Behörden geraten.

Lange Verhandlungen

Sein wichtigstes Aktivum, der Aluminiumriese Rusal, den er über die Investmentgesellschaft En+ kontrollierte, geriet unter Druck und verlor an einem Tag 25 Prozent seines Börsenwerts. Die Unsicherheit bei den Rusal-Partnern war zeitweise so groß, dass Lieferungen gestoppt werden mussten. Während Rusal wochenlang auf seinen Beständen festsaß, stiegen weltweit die Aluminiumpreise.

Erst nach langwierigen Verhandlungen ist es Deripaska gelungen, Rusal und En+ zu Jahresbeginn von der Sanktionsliste streichen zu lassen. Zu einem hohen Preis: Er selbst musste dafür ersatzlos die Kontrolle an beiden Unternehmen aufgeben.

Um sich vor neuerlichen Sanktionen zu schützen, hat das neue Management den Umzug von der Kanalinsel Jersey in die neue russische Steueroase Kaliningrad und den Aufbau einer Fabrik in den USA für 1,7 Milliarden Dollar beschlossen.

Bei Gaz sieht die Sache komplizierter aus: Laut Deripaska hat er einen ähnlichen Deal angeboten wie bei En+, doch die US-Regierung habe "keine Signale gegeben", was sie eigentlich wolle. "Seit Herbst ist sie einfach abgetaucht", Verhandlungen fänden nicht statt, klagte der Milliardär. Damit widersprach er Russlands Finanzminister Anton Siluanow, der noch am vergangenen Wochenende erklärt hatte, dass beide Seiten in Verhandlungen über eine Lösung seien.

Zwischen Angst und Frust

Bei den 40.000 Mitarbeitern in der Gaz-Gruppe, die vom ehemaligen Magna-Chef Siegfried Wolf gemanagt wird, schwankt die Stimmung zwischen Angst, Frust und Trotz. Eigentlich sollte es bei der Betriebsversammlung um die Perspektiven der Produktion gehen, doch die gebe es nicht, solange die Sanktionen über dem Unternehmen hingen, klagt einer. "In diesem Korpus sind vier Förderbänder, eines davon ist stillgelegt, die Hälfte der Mitarbeiter ist gegangen, die andere haben wir irgendwie in anderen Divisionen untergebracht, aber wir fürchten alle um unseren Arbeitsplatz", sagt Andrej Matjason, Vorarbeiter in der Schweißerabteilung.

Ex-Magna-Chef Siegfried Wolf leitet die Gaz-Gruppe.
Foto: APA/Punz

Stillgelegt ist seit Sommer die Produktion der Mercedes-Benz-Sprinter. Gespenstisch wirkt die konservierte Anlage und auf die Mitarbeiter zugleich bedrückend. Nach dem Beginn der Sanktionen kündigte ein Schlüsselzulieferer die Zusammenarbeit auf. Daimler stoppte daraufhin die Produktion, um einen neuen Zulieferer zu finden. "Aber so doll suchen die nicht, die haben wohl selbst Angst, von den Folgesanktionen getroffen zu werden", meint Alexej, der ebenfalls in der Fabrik arbeitet.

"Wo sollen wir hingehen, wenn die Fabrik dicht ist? Sollen wir wie in den 1990er-Jahren wieder als Verkäuferinnen arbeiten?", fragt die Gewerkschafterin Jelena Sagustina. Mit Zulieferern, Händlern und Transportunternehmern seien 400.000 Jobs gefährdet. "Das ist die Einwohnerzahl einer gar nicht einmal so kleinen Stadt", erinnert der Leiter der Montageabteilung, Igor Rostow.

Volkswagen wäre betroffen

Auch VW wäre davon betroffen. Die Wolfsburger wollen in diesem Jahr bei Gaz 65.000 Fahrzeuge vom Band laufen lassen. Das ist deutlich mehr als ein Viertel der Gesamtproduktion in Russland. Auf 350 bis 400 Millionen Euro beziffert Günther Heiden die Investitionen, die seit 2012 in das Joint Venture geflossen sind. Der Österreicher wechselte 2014 von Magna zu Gaz und verantwortet dort als COO die internationalen Projekte. Die Kooperation mit VW bewertet er als Erfolgsgeschichte. "2018 haben wir 25.000 Pkws in die EU exportiert, worauf wir sehr stolz sind, weil es davon zeugt, dass wir in hoher Qualität produzieren", sagt der 49-Jährige.

Doch weitergehen kann es nur, wenn Gaz aus der Sanktionsspirale herauskommt. Sonst sind alle Kooperationen tabu, und die Investitionen verfallen. Schon jetzt behindert die immer erst kurzfristig erteilte Fristverlängerung die Produktion. Neue Entwicklungen und Investitionen müssen warten, mit Zulieferern immer wieder neu über kurzfristige Engagements verhandelt werden. Selbst in den Kleintransportern und Trucks, die Gaz neben der VW-Montage in Eigenregie produziert, stammen schon je nach Modell zwischen 30 und 50 Prozent der Komponenten aus dem Ausland. Ohne internationale Kooperation ist Gaz nicht mehr wettbewerbsfähig, "nicht einmal, wenn die Fabrik verstaatlicht wird", meint Deripaska.

Hoffen auf Umdenken

Er hofft, dass nach dem Mueller-Bericht ein Umdenken in Washington einsetzt. Doch dort besteht im Fall Gaz wesentlich weniger Leidensdruck als bei Rusal, wo durch den Anstieg der Alu-Preise auch die einheimische Industrie in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Bei Gaz sind es vor allem deutsche Autobauer, die leiden. Da US-Präsident Donald Trump diese ohnehin als Gefährdung der nationalen Sicherheit betrachtet, wird der Kollateralschaden im Weißen Haus womöglich billigend in Kauf genommen. (André Ballin aus Moskau, 20.4.2019)