In der Ökobewegung gibt es wie in jeder politischen Bewegung merkwürdige, irrationale oder kontraproduktive Strömungen, sagt Florian Aigner. Aber wissenschaftliche Fakten könne man nicht als "romantische Ökospinnerei" abtun, erklärt der Physiker im Gastkommentar.

Es ist Zeit, in Panik zu verfallen. Das ist die Botschaft der Fridays-for-Future-Bewegung. Aber das ist anstrengend. Wer hat schon Zeit für eine anständige Panik? Und so wird weiterhin verharmlost und beschwichtigt.

Dass sich das Klima ändert, kann mittlerweile niemand mehr leugnen. Und so ziehen sich Klimawandelrelativierer auf die These zurück, dass schon irgendwie alles nicht so schlimm wird. Der dänische Publizist Bjørn Lomborg, der schon seit Jahren für seinen problematischen Umgang mit Klimafakten bekannt ist, sieht keinen Grund zur Sorge. Auch der Philosophiestudent Nico Hoppe durfte kürzlich über Klimapanik herziehen: Der Klimabewegung gehe es bloß um die Befriedigung des eigenen ökologischen Gewissens, meint er. Wir sollten uns nicht dem romantisierten Bild einer unveränderlichen "Mutter Natur" unterwerfen, sondern stolz den technischen Fortschritt vorantreiben.

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Retter gesucht.
Foto: AP/Martin Meissner

Kontraproduktive Strömungen

Da hat er nicht unrecht – aber niemand redet davon, eine unangetastete Natur zu bewahren. Die Forderung käme Jahrhunderte zu spät. Wir haben die Ökosysteme dieses Planeten verändert wie noch nie eine Spezies vor uns. Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die Frage ist nur, ob wir diesen drastischen Eingriff so gestalten können, dass wir keinen katastrophalen Schaden erleiden.

Es stimmt schon: In der Ökobewegung gibt es merkwürdige, irrationale oder kontraproduktive Strömungen – das ist in jeder politischen Bewegung so. Ja, es nervt, wenn jemand die Klimagefahr missbraucht, um sich und sein eigenes Verhalten moralisch zu überhöhen und andere Leute mit Verboten zu ärgern, die eher symbolischen Charakter haben und keine echten Probleme lösen. Doch nur weil jemand eine schlechte Antwort auf eine Krise hat, darf man diese nicht leugnen.

Schwer vorhersehbare Folgen

Es ist auch wahr, dass die Folgen des Klimawandels schwer vorhersehbar sind. Manche der weitverbreiteten Horrorszenarien stehen wissenschaftlich nicht auf soliden Beinen: Der Meeresspiegel steigt zwar, aber die Angst, das Meer könnte sprunghaft über die Ufer treten und ganze Städte wegreißen, ist vorerst bloß Stoff für Hollywoodfilme. Wir können auch noch immer nicht gut einschätzen, inwieweit der Klimawandel zu stärkeren Wirbelstürmen und anderen Naturkatastrophen führen wird. Doch wer daraus eine Entwarnung ableitet, der irrt: Wir Menschen greifen massiv in globale Systeme ein, von denen unser Überleben abhängt. Dass wir die Folgen nicht exakt vorausberechnen können, ist kein Argument für die Annahme, dass es keine Folgen gibt.

Wir wissen, dass sich die globalen Temperaturen verändern. Wir wissen, dass die Gletscher schmelzen. Wir wissen, dass wir es mit einem globalen Artensterben gewaltiger Dimension zu tun haben. Gleichzeitig wird unser Leben von einem komplexen Zusammenspiel aus Wirtschaft, Politik und technischem Fortschritt bestimmt, das alles andere als stabil ist. Schon eine vergleichsweise harmlose Flüchtlingsbewegung aus Syrien hat unvorhergesehene politische Folgen nach sich gezogen. Niemand hat auch nur eine Ahnung, was passieren wird, wenn durch den Klimawandel ganze Landstriche unbewohnbar werden, große Migrationsbewegungen einsetzen oder in dichtbevölkerten Ländern plötzlich Ernteausfälle zu gefährlichen Nahrungsmittelengpässen führen.

"Unser Haus steht in Flammen": Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter protestieren für bessere Klimapolitik.
Foto: APA/AFP/ANTON ROLAND LAUB

Falsches Bild vom Klimawandel

Immer noch haben viele Menschen ein falsches Bild vom Klimawandel: Wenn es ein paar Grad wärmer wird, lebt man dann eben in Wien so wie heute in Rom und in Kopenhagen so wie heute in Wien? Das ist aber leider zu einfach gedacht: Die große Gefahr sind sogenannte Kipppunkte im Gesamtsystem Erde.

Wenn ich mein Badezimmer überheize, dann kann ich das ziemlich exakt rückgängig machen, indem ich kurz das Fenster öffne. In komplexeren Systemen kann es sein, dass ein Punkt überschritten wird, der kein Zurück erlaubt. Man kann sich das ähnlich wie eine Kugel vorstellen, die stabil in einer Mulde liegt. Wenn man sie zum Wackeln bringt, wird sie immer wieder zum tiefsten Punkt der Mulde zurückkehren. Aber wenn man sie zu fest anstößt, rollt sie über die Schwelle zur Nachbarmulde und liegt dann plötzlich ganz wo anders.

Kaskade von Kippelementen

Dasselbe kann auch dem Weltklima passieren: Wenn wir es zu stark verändern, könnte es in relativ kurzer Zeit kippen und in einem neuen Gleichgewicht landen. Eine ganze Reihe von Kippelementen könnte das Leben auf unserem Planeten dramatisch verändern: Das Eis in Polnähe kann abschmelzen, sodass es das Sonnenlicht nicht mehr reflektiert, was die Erwärmung weiter anheizt. Meeresströmungen, der Monsun, das El-Niño-Phänomen könnten plötzlich kippen und sich völlig anders verhalten als bisher. Das Auftauen von Permafrostböden könnte Methan freisetzen, das den Treibhauseffekt noch viel stärker vorantreibt als CO2.

Zwischen all diesen (und vielen weiteren) Kippelementen bestehen komplizierte Zusammenhänge, sodass ganze Kaskaden von Kippeffekten möglich sind. Genau aus diesem Grund setzen sich Wissenschafter so stark dafür ein, die globale Erwärmung auf 1,5 bis zwei Grad Celsius zu beschränken. Man glaubt, dass man in diesem Bereich noch nicht mit katastrophalen Kippeffekten zu kämpfen hätte. Genau vorhersagen kann das aber niemand.

Die Wahrheit sagen: Klimaaktivistin in London.
Foto: APA/AFP/TOLGA AKMEN

Keine Ökospinnerei

Wer solche Fakten leugnet, verharmlost oder für romantische Ökospinnerei hält, der widerspricht damit nicht bloß ein paar demonstrierenden Jugendlichen, sondern der Wissenschaft – und das ist eine Position, auf der man selten gewinnt. Natürlich kann man den Konsens, den Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt über Jahrzehnte erarbeitet haben, einfach ignorieren. Aber dann sollte man sich über tragische Konsequenzen nicht wundern. (Florian Aigner, 19.4.2019)