Erzählt vom Schicksal ihrer polnisch-jüdischen Familie: Monika Sznajderman.

Foto: Michal Lepecki

Am 3. Juli 1941 wird Amelia Sznajderman bei einem Pogrom in der ukrainischen Stadt Zloczów erschossen. Sie war 37 Jahre alt, eine emanzipierte, schöngeistige Frau. Ihre beiden Kinder bleiben am Leben und kehren zu ihrem Vater nach Warschau zurück, ins Ghetto. Am Ende wird nur Marek, der ältere Sohn, überleben. Er ist sechzehn, als er in Auschwitz befreit wird: Monika Sznajdermans Vater.

Erzählt hat er von seinem Schicksal kaum etwas, genau das setzt das Erzählen in Gang: "Dieses Buch ist aus seinem Schweigen entstanden", bekundet die Tochter. Als eines Tages aus Amerika alte Familienfotos kommen, bricht die Geschichte auf: Sznajderman beginnt zu recherchieren und setzt stückweise eine Familiengeschichte zusammen, die gespaltener nicht sein könnte, denn ihre mütterlichen Vorfahren entstammen dem polnischen Adel – Gutsherren auf der einen, jüdische Opfer auf der anderen Seite.

Erinnerungen

Die polnischen und die jüdischen Großeltern lernten einander nie kennen, und das ist typisch für diese Gesellschaft: Jahrhundertelang lebten Polen und Juden nebeneinander. Auch davon erzählt Sznajdermans Buch, vom Leben in der Welt vor dem Holocaust, von dem schließlich die Familienfotos Auskunft geben, die dadurch selbst zur "symbolischen Erzählung" werden.

Über die Fotografien versucht sich die Autorin der Familie anzunähern, die einzige Möglichkeit, deren Geschichte als die ihre zu verinnerlichen: "Ich bin deine Erinnerung, Papa." Eine Erinnerung, die hundert Jahre vor ihrer Geburt, in Radom, bei den "fernen, exotischen Urgroßeltern" beginnt.

Mehrmals betont die Autorin das Brüchige dieser Welt, ihre Zerstörung im 20. Jahrhundert wird anfangs hintangehalten: "Darüber später." Solche Einschübe lenken die Erzählung, bis ein Seufzer die scheinbar unbeschwerte Zeit für beendet erklärt: "Doch das alles war in der alten Welt. In der neuen wird es ganz anders sein."

Die neue Welt heißt Pogrom, Ghetto, Auschwitz. Jene Wirklichkeit, die Martin Pollack in seinem Nachwort als die "tragische Geschichte Polens im 20. Jahrhundert" bezeichnet. "Und harmlos ist die Geschichte keineswegs." Weder die der beiden Familien noch die Geschichte allgemein.

Gespaltene Gesellschaft

Zur selben Zeit, als die polnischen Vorfahren ihr unbeschwertes Gutsherrenleben führen, geraten die jüdischen Vorfahren in die Todesmaschinerie des Dritten Reiches. An ihrer eigenen Familiengeschichte macht Sznajderman die Gespaltenheit der polnischen Gesellschaft sichtbar: Die einen aßen "herrliche Mahlzeiten", spielten Bridge und schauten bei Pferderennen zu, die anderen verhungerten im Ghetto oder verreckten im Viehwagon vor Durst.

Das Schmerzliche dabei: Der polnische Großvater ist Funktionär der Nationalen Partei, für die Juden ein "schädlicher Fremdkörper im polnischen Organismus" sind. Vielfach machen sich Polen zu Handlangern der deutschen Mörder und sind für zahlreiche Pogrome und Mordaktionen mitverantwortlich.

Das relativiert nicht den Holocaust und schmälert nicht die Schuld der Deutschen, aber es ist etwas, das im Polen von heute nicht gehört werden will, umso mehr, als die Mordaktionen auch nach dem Krieg fortgesetzt wurden: Ungefähr 1000 Überlebende der Shoah werden nach 1945 in Polen ermordet. Das Nachkriegspolen, darin war man sich einig, sollte "judenfrei" bleiben.

In Radom, wo die jüdischen Vorfahren der Autorin herstammen, werden 1945 die Juden auf Flugblättern aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Wer nicht gleich verschwindet, wird umgebracht. Je tiefer Sznajderman in der Wunde der Familiengeschichte gräbt, umso aktueller wird ihr Buch, denn es rührt an ein Thema, das in Polen zu einem umstrittenen Gesetz geführt hat.

Tödliche Gleichgültigkeit

Seither ist es strafbar, eine polnische Mitwirkung am Holocaust zu behaupten. Sznajderman durchbricht dieses Diskursverbot und formuliert eine schreckliche Wahrheit: dass Polen indirekt Nutznießer des Holocaust war. Schon 1941 wurde von einem Land "endlich frei von Juden, aber dafür (...) voller jüdischer Sachen" geträumt. Als hätte die 800-jährige Nachbarschaft "nur den Sinn gehabt, dass man sich am Ende bequem auf jüdischen Stühlen an den jüdischen Tisch setzen, mit jüdischem Besteck von jüdischen Tellern essen (...) konnte". 1945 ist Polen tatsächlich ein Land ohne Juden, aber voll "jüdischem Nachlass", und die Profiteure wollen die Beute nicht zurückgeben.

Heute ist die Fragestellung eine andere: "Kann Gleichgültigkeit töten?", fragt Sznajderman, und ein paar Seiten später: "Kann Gleichgültigkeit unschuldig sein?" Eine Frage, die die Autorin sich und ihren polnischen Vorfahren, der polnischen Nachkriegsgesellschaft, aber auch der Gesellschaft in ihrem Land heute stellt. Und offenbar ist der Umgang mit dieser Frage genauso schwer wie jahrzehntelang bei uns. Aber es ist schon viel, wenn gefragt wird.

Die Pfefferfälscher sind ein wichtiges, kenntnisreiches, trauriges und mutiges Buch. Dass wir es auf Deutsch lesen, ist Martin Pollacks Funktion als wachsamer Kulturvermittler und natürlich seiner beeindruckenden Übersetzung zu verdanken. (Gerhard Zeillinger, 20.4.2019)